Tamara Wernli / 13.07.2017 / 19:58 / 15 / Seite ausdrucken

“Transphobisches Stück Scheisse!”

Meine wohl couragierteste Revolte gegen Lehrer während der gesamten Schulzeit war das Vollkritzeln meines Pultes mit Graffiti. Ein Aufstand, der mich in meinen Augen auf die Ebene einer Jeanne d'Arc hievte. Gemessen an den heutigen Auswüchsen an Schulen, zugegeben, eine etwas mickrige Aktion. Aber damals trauten wir uns nicht mehr Respektlosigkeit zu, und begriffen unbewusst, dass es zum Erwachsenwerden gehört, Lehrern einen gewissen Anstand entgegenzubringen.

Heute sind Lehrpersonen die Fussabtreter einer jungen Gesellschaft, die, Privilegien-trunken wie sie ist, nicht mehr weiss, wie daneben sie sich benehmen soll. Das wohl krasseste Beispiel liefert derzeit Professor Jordan Peterson. Seine Vorlesungen werden gegenwärtig fast durchgehend gestört von einer Meute Studenten, die sich, selbstverliebt lächelnd, mit Zwischenrufen und Trötenlärm der Unverschämtheit verschrieben haben. "Transphobic piece of shit!", "Transphobisches Stück Scheisse!" riefen sie ihm während einer seiner letzten Auftritte an einer kanadischen Universität im Chor entgegen – ein vorläufiger Tiefpunkt spätpupertärer akademischer Dekadenz.

Der 55-jährige Peterson ist Psychologieprofessor an der Universität Toronto, er gilt als Koryphäe auf seinem Gebiet. Vergangenes Jahr sprach er sich öffentlich gegen ein neues Gesetz in Kanada aus, was ihn im Handumdrehen zum Hassobjekt der LGBT-Aktivisten machte. Das Gesetz Bill C16 schützt Transgender vor Benachteiligungen, es stützt sich auf die Meinung, dass das biologische Geschlecht unabhängig ist von Gender und Identität – was bedeutet, dass man schon nur für den Nicht-Gebrauch von gender-gerechten Pronomen ("zhe", "zir") oder für das Infrage stellen eines Geschlechts, egal, ob ein medizinisches Attest vorliegt, rechtlich belangt werden kann. Wenn eine Frau sich also als Mann fühlt und zum Mann erklären lässt, muss sie als Mann angesprochen werden – trotz langem Haar und Highheels.

Ein Versuch, Sprache zu kontrollieren

Ja, Peterson ist wahrscheinlich kein bequemer Zeitgeist. Das ist aber schon alles. Er lehnt Transmenschen nicht ab, hetzt nicht gegen die LGBT-Community. Er ist nicht grundsätzlich gegen ein Gesetz, das Transgender-Menschen schützen soll. Schaut man sich Petersons Vorträge an, stellt man fest, dass er ein sehr liberaler Mensch ist. Einer, der sich einfach der Weiterentwicklung der Gesellschaft in eine für ihn fragwürdige Richtung entzieht und sagt: "Da mach ich nicht mehr mit." Das ist sein gutes Recht, ist weder asozial noch transphobisch. Er stemmt sich gegen das Gesetz, weil es Menschen dazu zwinge, an eine fremde politische Ideologie zu glauben und eine fremde Sprache zu benützen. In einem TV-Interview sagt er: "Diese Wörter sind ein Konstrukt von Leuten, die ich als gefährlich empfinde. Für mich ist es ein Versuch, Sprache zu kontrollieren in eine Richtung, die nicht natürlich ist." Seine Weigerung, gender-neutrale Pronomen zu benützen, kostete ihn bislang einen Zuschuss für wissenschaftliche Arbeiten und handelte ihm zwei Warnbriefe seiner Universität ein, er möge aufhören über das Thema zu sprechen.

Natürlich kann man dagegenhalten, bis zu einem gewissen Punkt habe er sich der Mehrheit zu beugen, die das Gesetz unterstützt, weil er ja sonst den Fortschritt aufhalte. Nur: Eine Gesellschaft, wo jeder seine eigene Gender-Wahrheit konstruieren und gemäss seinem gerade aktuellen Selbstverständnis eine von mittlerweile über 80 Identitäten (Cis, Androgyn, Intersex, Genderqueer, Pangender, Intergender, Cross-Gender, Drag, Zwitter, Transfeminin, Two-Spirit usw.) in seinen kanadischen Pass eintragen lassen kann, ist für so manchen eben kein Fortschritt.

Kanada ist weit weg. Was dort aber derzeit geschieht, ist symptomatisch für die westliche Welt. Immer mehr werden Menschen per Gesetz gezwungen, ihre moralischen Werte aufzugeben, ihr Denken und ihre Kommunikation anzupassen an ein von oben diktiertes Gedankenkonzept, sei es durch Internetzensur oder durch staatliche Institutionen wie Universitäten, wo sich Studenten, mit freundlicher Unterstützung der Leitung, hemmungslos austoben, Vorlesungen stören und gestandene Professoren mit "Transphobic piece of shit!"-Rufen diffamieren dürfen.

Die Universität ist zur Hochburg moralischer Überlegenheit mutiert

Die Frage, wie man Probleme lösen kann, die Minderheiten betreffen, ist gut und wichtig. Nur ist das hier nicht der springende Punkt; die grosse Mehrheit der westlichen Bevölkerung steht Transgender wohlgesinnt oder neutral gegenüber. Das Problem sind jene LGBT-Aktivisten, denen alltägliches aneinander vorbei- oder zusammen leben nicht genügt, die nach anhaltender universaler Umarmung verlangen und mit einem abstrusen Forderungskatalog das aktive Mittun der ganzen Gesellschaft erzwingen wollen.

Prallen zwei gegensätzliche Ideologien aufeinander, wäre das für Studenten und Professoren ja eigentlich Anlass für spannende Debatten – Petersons kritisches Denken basiert auf jahrzehntelanger Analyse, er hätte viel Wissenswertes zu vermitteln – würde man ihn denn lassen. Ausserdem erweitern abweichende Meinungen den Horizont, lassen neue Argumente gedeihen. Die Universität ist aber offensichtlich keine Umgebung mehr, wo kontroverse Theorien auf intellektueller Basis auseinandergenommen werden. Sie ist zur Hochburg moralischer Überlegenheit mutiert, wo sich die Administration hinter der Political Correctness verschanzt und das Kuschen vor zwanzigjährigen Flegeln zum Alltag gehört.

Der Beitrag erschien zuerst in der Basler Zeitung. Tamara Wernlis Kolumne gibt es auch als Videobotschaft, man kann sie auf ihrem YouTube-Kanal abonnieren. Folgen Sie ihren täglichen Wortmeldungen auch auf Twitter. Tamara Wernli arbeitet als freiberufliche Moderatorin und als Kolumnistin bei der Basler Zeitung. In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gesellschaftsthemen.

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Wilhelm Entenmann / 14.07.2017

Wenn ich das mit dem C-16 richtig verstanden habe, dann wird man in Kanada für den Fall bestraft, wenn man sich als Mann darüber beschwert, dass man nach einer Kontaktanzeige (“Frau für gewisse Stunden gesucht”) etwas falsches geliefert bekommen hat. Die Macher von South Park hatten 1999 eine Vorahnung, als sie MAC (“Mothers Against Canada”) das Lied “Blame Canada” singen ließen, weil Kanada die Kinder verderbe. Als Kinder gab man uns Peter Bichsels Kurzgeschichte “Ein Tisch ist ein Tisch” zu lesen, die ich als Kind schrecklich langweilig, weil selbstverständlich fand - Jordan Peterson forscht über die Psychologie religiöser und ideologischer Glaubenssysteme, wie passend.

Frank Gausmann / 14.07.2017

„Das Problem sind jene LGBT-Aktivisten, denen alltägliches aneinander vorbei- oder zusammen leben nicht genügt, die nach anhaltender universaler Umarmung verlangen und mit einem abstrusen Forderungskatalog das aktive Mittun der ganzen Gesellschaft erzwingen wollen.“ Genau hier sehe ich das große gesellschaftspolitische Problem: Links-grünes Gedankengut verlangt seit geraumer Zeit – immer gepusht durch entsprechende „Berufsaktivisten“ – nach Universalität. Die vermeintliche moralische Überlegenheit der Position legitimiert dann ggf. das undemokratische Auftreten, z.B. des studentischen Mobs, und schwups sind wir durch die Symbiose von Jakobinertum und Opportunismus in einem neuen totalitären System angekommen. Herzlichen Glückwunsch westliche Welt!

Jaco Sandberg / 14.07.2017

Unfassbar - so etwas macht mich sprachlos. Ich frage mich ernstlich: Was ist das Ziel? Das ist, also goutiere man die Ideologien Pol Pots, Maos und Stalins—und verrühre sie zu einer kranken westlichen Ideologie. Entsetzliche Vorstellung.

michel o. neland / 14.07.2017

Gibt es in Canada eigentlich noch Frauenparkplätze in Parkhäusern oder anderswo?

Oliver Hoch / 14.07.2017

Das Einknicken von Universitäten vor randalierenden Studenten ist im Laufe der Geschichte schon in einigen Ländern erfolgt. Niemals hatte das positive Folgen - wie auch, wenn sich Vernunft der Gewalt beugt. An Universitäten wird doch auch Geschichte gelehrt. Wird dort nicht auch etwas aus der Geschichte gelernt?

Sören Voit / 14.07.2017

„Wohlan, mein Freund, Wie steht es mit der Diktatur? – Ist es nicht so, dass sich die Demokratie selber auflöst durch eine gewisse Unersättlichkeit in der Freiheit? Wenn sich Väter daran gewöhnen, ihre Kinder einfach gewähren und laufen zu lassen wie sie wollen und sich vor ihren erwachsenen Kindern geradezu fürchten, ein Wort zu reden, oder wenn die Söhne schon so sein wollen, wie die Väter. Also ihre Eltern weder scheuen, noch sich um ihre Worte kümmern, sich nichts mehr sagen lassen wollen, um ja recht erwachsen und selbständig zu erscheinen. Und auch die Lehrer zittern bei solchen Verhältnissen vor ihren Schülern und schmeicheln ihnen lieber, statt sie sicher und mit starker Hand auf einen geraden Weg zu führen, so dass die Schüler sich nichts mehr aus ihren Lehrern machen. Überhaupt sind wir schon so weit, dass sich die Jüngeren den Älteren gleichstellen, ja gegen sie auftreten in Wort und Tat, die Alten aber setzen sich unter die Jungen und suchen sich ihnen gefällig zu machen, indem sie ihre Albernheiten und Ungehörigkeiten übersehen oder gar daran teilnehmen, damit sie ja nicht den Anschein erwecken, als seien sie Spielverderber oder gar auf Autorität versessen. Auf diese Weise werden die Seele und die Widerstandskraft aller Jungen allmählich mürbe. Sie werden aufsässig und können es schließlich nicht mehr ertragen, wenn man nur ein klein wenig Unterordnung von ihnen verlangt. Am Ende verachten sie dann auch die Gesetze, weil sie niemand und nichts mehr als Herr über sich anerkennen wollen, und das ist der schöne, jugendfrohe Anfang der Tyrannei.“ PLATON

Bernd Matzkowski / 14.07.2017

Sehr geehrte Frau Wernli! 1. Die Stoßrichtung Ihres Beitrages teile ich zu 100%! 2. Was die (Ihre) Kritzeleien auf dem Schulpult angeht: Ich habe in meiner über dreißigjährigen Tätigkeit als Lehrer diese Kritzeleien nicht als Sachbeschädigung gesehen, sondern als eine Art “Untergrundliteratur” verstanden. In einem Unterrichtsprojekt habe ich Schüler einmal die Inschriften, Comics, Zeichnungen und Symbole auf den Pulten der gesamten Schule erfassen und auswerten lassen. Das hat viel über das Denken, Fühlen,den Humor und die Weltsicht von Schülern ausgesagt, zeigte ihre Vorlieben ebenso auf wie das, was sie ablehnen. Leider wurden die Schulmöbel aus Holz irgendwann durch Pulte ersetzt, deren Oberfläche so behandelt war, dass sie kaum noch als “Wandzeitung” dienen konnten. 3. zuletzt- sehen Sie es dem Deutschlehrer nach -:Jugendliche durchlaufen die Pubertät, also sind die von Ihnen kritisierten Studenten spätpubertär. Mit freundlichem Gruß Bernd Matzkowski

Stefan Schultz / 14.07.2017

Das ist symptomatisch für die gesamte westliche Welt. Es gab mal den Ausspruch der spätrömischen Dekadenz. Ich nenne es auch Wohlstandsverwahrlosung. Eine Gesellschaft, die im Überfluss lebt und nie den Mangel kennengelernt hat. Für jede Minderheit wird Politik gemacht. Es gibt keine Grenzen mehr. Es ist eine interessante Phase der Menschheitsgeschichte.

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