Deutschland hat sich seine geografische Lage nicht ausgesucht. Es gibt nur wenige Staaten, die so viele direkte Nachbarn haben. Und nicht alle waren friedlich. Das führte dazu, dass sich die deutschen Kleinstaaten oft großen Nachbarn anschlossen und für diese die Kriege austrugen. Sie kämpften dann gegeneinander. Das war, um nur zwei Beispiele zu nennen, im Dreißigjährigen Krieg so und bei Napoleons Eroberungszügen durch Europa.
Gut 25 Jahre nach der Wiedervereinigung hängt Deutschland wieder einmal zwischen allen Fronten. Wie die Kanzlerin schon sagte, werden wir uns militärisch nicht beteiligen. Das war überflüssig. Niemand hat erwartet, dass Deutschland sich beteiligt, deshalb wurde es gar nicht erst gefragt. Und wie beschrieben, wären wir dazu auch kaum in der Lage. Wir sind einfach nur ein ziemlich großmäuliges Land, das vor allem mit moralischen Appellen sich selbst besoffen redet, wenn tausende Menschen getötet werden. Die Toten, egal ob durch Giftgas oder Bomben ermordet, sind die Kollateralschäden der Friedensaktivisten auf der äußerst linken wie rechten Seite, sind Opfer von Zynismus und Feigheit.
Was denkt sich zum Beispiel Maybrit Illner, wenn sie Alexander Rahr in ihre Palaverrunde einlädt, ohne dem Zuschauer seine Verzahnung mit Russland zu erklären? Er wird als Vorstandsmitglied des deutsch-russischen St. Petersburger Dialoges vorgestellt. Hört sich gut an. Aber dass er hoch bezahlter Lobbyist von Gazprom – wie auch Gerhard Schröder – ist, wird verschwiegen, genauso, dass sein Vater von Putin die russische Staatsangehörigkeit erhalten hat. (Quelle: Die Welt) Zu seinen Kernthesen gehören die Aussagen: „Die Amerikaner haben den Deutschen das Hirn amputiert" und „Putins Regierung ist authentischer als das demokratische Chaos von Boris Jelzin".
Es ist nichts dagegen zu sagen, dass ein solcher Lobbyist auftritt, aber der Zuschauer sollte wissen, wer da spricht, wenn einer sagt, Putin sei klar in der letzten Wahl bestätigt worden. Ja, ich will wissen, wer bei uns auftritt, für den die Pressefreiheit und eine unabhängige Justiz keine Rolle spielen. Nur so ist zu erklären, wie jemand dazu kommt, diese Propagandashow in Russland mit einer freien Wahl zu vergleichen.
Kann das Russland Putins ein Partner werden?
Alexander Rahr war auch für das Berthold-Beitz-Zentrum in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtigen Politik tätig. Das erinnert mich an eine Reise mit meinen Kollegen Dieter Balkhausen, Berthold Beitz und Wolff von Amerongen nach Moskau, anlässlich einer ZDF-Sendung noch zu Zeiten von Generalsekretär Juri Andropow. Wir waren im Gästehaus der Sowjetregierung untergebracht. Jeder hatte ein eigene Suite mit Butler, Krimsekt und Kaviar zum Frühstück und einen perfekten Service. Am Abend tranken wir noch von erlesenen sowjetischen Spirituosen, und irgendwann zur späten Stunde meinte dann Berthold Beitz: „Sehen Sie, so schlimm ist das hier doch alles nicht." Nach meiner Rückkehr versprach ich meiner Frau, ich würde nur noch DKP wählen, um immer Kaviar und Krimsekt von einem Diener serviert zu bekommen.
Alexander Rahl und Gerhard Schröder leben in dieser Welt. Die Toten des mörderischen Regimes von Assad, dass die Russen schützen und stützen, spielen für sie keine Rolle. Und damit wird die entscheidende Frage deutlich: Kann das Russland Putins ein Partner werden, oder trennen uns grundsätzliche Unterschiede einer gesellschaftlich verankerten Wertegemeinschaft? Diese Frage ist für die Westmächte geklärt. Für Deutschland nicht, da geht ein Riss mitten durch die Gesellschaft. Und die Frage lautet, was sind die grundsätzlichen Werte, in denen gesellschaftliche Gruppierungen und Parteien in Deutschland verankert sind?
Die Russland-Versteher wie Matthias Platzeck und die Linken weisen gerne daraufhin, dass der Westen nicht genug Rücksicht auf Putin genommen habe. Seine Angebot, zum Beispiel für ein gemeinsames europäisches Haus von Lissabon bis Wladiwostok, wurde nicht aufgegriffen. Sie übersehen dabei, dass man in einem gemeinsamen Haus auch gemeinsame Regeln für eine Hausordnung haben muss. Für den Westen ist die Grundvoraussetzung eine Demokratie mit allen Freiheiten und eine Gewaltenteilung, die eine unabhängige Justiz garantiert. Dazu war und ist Putin nie bereit gewesen. Das sind aber auch Grundvoraussetzungen für alle Staaten, die in dieses Haus einziehen wollen oder schon eingezogen sind. Dazu gehören Polen und Ungarn, denen die Tür gewiesen werden muss, wenn sie sich als Hausfriedensstörer erweisen. Dazu gehören alle rechten und linken Krakeeler, die autoritäre Strukturen fordern.
Missverstandener Putin, aggressive Amerikaner
Unzuverlässig ist auch die Diskussion über die Erweiterung der NATO nach Osten. Dabei wird vor allem den baltischen Staaten das Recht abgesprochen, sich frei zu entscheiden, wem sie mehr vertrauen wollen, wo sie sich sicherer fühlen. Wieso soll Russland ein Vetorecht über die Souveränität osteuropäischer Staaten eingeräumt werden? Mir ist nicht bekannt, dass Russland sich für seine Gewalttaten und Massenmorde unter Stalin vor und nach dem zweiten Weltkrieg an Esten, Letten, Litauern, Tataren, Tschetchenen, um nur einige zu nennen, entschuldigt hat – oder sonst irgendwelche vertrauensbildenden Maßnahmen ergriffen hat, die diese Staaten beruhigen könnten? Für Russlands Ansehen in der Welt ist die Regierung in Moskau zuständig und mit dem Großmachtgehabe und militärischen Übergriffen wie in der Ukraine, Georgien und jetzt in Syrien wächst eher das Misstrauen.
Was also, außer nicht rationalen Emotionen, ist es, was die Russophilen über alle rüpelhaften Tatsachen der Moskauer Führung hinwegsehen lässt? Am einfachsten ist diese Frage für diejenigen zu beantworten, die Interessen als Wirtschaftspartner haben. Russland war für einige Unternehmen ein angenehmer Geschäftspartner. Das war schon zu sowjetischen Zeiten so. Der Staat zahlte pünktlich, hielt sich an Verträge, sicherte ordentliche Gewinne und sorgte für Ruhe und Ordnung an der Heimatfront. Deutsche Unternehmen hatten weder Skrupel noch politische Hindernisse. Dies sicherte ihnen die Vorteile, die US-Unternehmen zum Beispiel nicht hatten.
Dazu kam, dass Russland vor allem Rohstoffe lieferte und fertige sowie landwirtschaftliche Produkte abnahm. Menschenrechte, Oligarchenkapitalismus, Korruption in unvorstellbarem Ausmaß spielte dabei keine Rolle. Zu dieser Kategorie der persönlichen Gewinnmaximierer zählt auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der scheinbar überhaupt keine Skrupel hat, wenn es darum geht, ein paar Euro zu verdienen.
Ein Grund für Putins Gerassel mit militärischen Aufrüstungserfolgen ist sicher auch, dass, so groß sein Land auch ist, es eher zu den wirtschaftlichen Mittelmächten gehört. Das Bruttoinlandsprodukt entspricht ungefähr dem der Größe Italiens. Einen Aufrüstungswettbewerb mit den USA, selbst mit einem europäischen Bündnis, würde die Wirtschaft seines Landes ruinieren. Er müsste schon nach wenigen Jahren aufgeben, bei gleichzeitiger Verarmung der Bevölkerung. Deshalb sind Atomwaffen für Russland so wichtig. Nur sie garantieren Putin den Rang, den er gerne für sein Land hätte. Helmut Schmidt nannte die Sowjetunion einst: „Ein Obervolta (heute Burkino Faso) mit Atomwaffen“. Viel hat sich daran nicht geändert.
Die Moskau-Nostalgie der Linken
Verwunderlich ist die Haltung der Linken zu diesem Putin-Russland. Mit den Idealen des Kommunismus hat das nun wirklich nichts zu tun. Zwar gibt es noch unzählige Lenin-Denkmäler, und selbst Stalin erfährt eine gewisse Renaissance, aber von den Ideen Lenins, zumindest was die Arbeiterklasse angeht, ist Putin unendlich weit entfernt. Eher erhalten geblieben sind die Repressionen, die Unterdrückung der freien Meinung, die Geheimpolizei und das ganze Spektrum der staatlichen Übergriffe. Was also fasziniert die Linke immer noch an Moskau?
Dr. Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken, hat in Moskau studiert. Sind das also nostalgische Jugenderinnerungen an die Zeit, in der Moskau den Ton angab und alle zu folgen hatten? Diese Stadt war einfach das Symbol des Antiwestens – zählt das heute noch? Die Unterdrückungssystematik hat diese politischen Überbleibsel des Sowjetreiches früher nicht gestört, warum sollte es sie jetzt stören?
Noch irrer sind die Symphatien der AfD für das korrupte Unterdrückungsregime in Russland. Ihre Motivation ist vor allem mit ihrem pathologischen Antiamerikanismus und mit ihrer Ablehnung einer freiheitlichen liberalen Demokratie zu verstehen. Dies wirft auch einen Blick darauf zu, wie die AfDler gepolt sind: Sie schreien „Merkel muss weg, weil sie ihren Eid gebrochen hat" und in der Flüchtlingskrise den Schaden von Deutschland nicht abgewendet hat, aber gleichzeitig bewundern sie den autoritären Putin.
Die direkte Anbieterung an das Assadregime unter anderem mit der Reise nach Damaskus unter der Führung des AfD NRW-Abgeordneten Dr. Christian Blex wird von großen Teilen der AfD mitgetragen, wie beim Interview des bayerischen AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystro und des AfD Niedersachsen MdB Achim Paul Hampel, die Assad als die legitime Verhandlungsperson zur Lösung des Syrienkonflikts akzeptieren. Sie beweisen damit, dass die AfD eine zutiefst illiberale Partei ist, die nichts mit dem Wertekanon der westlichen Demokratien im Sinn hat. Offensichtlich ist die völkisch-nationale Rechte immer noch von der Idee eines starken Mannes fasziniert.
Auf der Suche nach hemmungslosen Potentaten
So gesehen ist es auch nicht erstaunlich, dass bei allen Umfragen zurzeit mehr Deutsche vor dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump Angst haben als vor dem Russen Wladimir Putin, dass sie Russland mehr vertrauen als den Vereinigten Staaten. Die Befragten beweisen damit viel Geschichtsunkenntnis und vergessen völlig, wer Deutschland nach 1945 überhaupt wieder einen Anfang ermöglichte.
Sie verdrängen auch, wer Deutschland und vor allem Westberlin schützte und schließlich die Wiedervereinigung ermöglichte. Gleichzeitig schimmert bei diesen Umfrageergebnissen immer noch ein Misstrauen gegenüber einer Demokratie, gegenüber einer freiheitlichen und deshalb komplizierten Gesellschaftsordnung durch.
Die „Werte des Westens" – sie waren einmal klar definiert – sind aber zu verschwommenen Begriffen verkommen, die damit für viele Menschen keine Orientierungspunkte mehr darstellen. Die „Werte des Westens": Gewaltentrennung, Meinungs- und Pressefreiheit, wehrhafte Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, wirtschaftliche und soziale Sicherheit, Eigenverantwortung, um die wichtigsten zu nennen – Werte, die wir gegen einen Donald Trump und einen Victor Orbán genauso aufrecht erhalten müssen, wie gegen einen Recep Tayyip Erdogan und einen Wladimir Putin. Gelingt dies nicht, wird sich die Vorstellung eines starken Mannes nicht nur in Russland und der Türkei, sondern auch in Deutschland wieder durchsetzen. Davon habe ich mehr Angst, als vor einem Atomkrieg, der eh das Ende der Zivilisation bedeuten würde.
Den ersten Teil dieses Beitrages finden Sie hier.