Roger Letsch / 28.11.2016 / 11:00 / 0 / Seite ausdrucken

Facebook: Tipps zum Überleben im Denunziantenstadl

Tausende kleine, emotional gestörte, selbsternannte oder beauftragte Zensoren sind Tag und Nacht auf Facebook unterwegs, um anderen Menschen dort – besonders den kritischen – das Leben schwer zu machen. Muss man zum Trollen und Haten noch aus der Deckung kommen und sich (oder sein feiges Fake-Profil) angreifbar machen, nutzt der Denunziant von heute die „Melden“-Funktion von Facebook, wissend, dass er so hübsch anonym bleiben kann.

Es bedarf schon einiger dieser rattigen Denunzianten-Klicks, um die dummen Algorithmen von Facebook zum Handeln zu bewegen, aber wenn man nichts Besseres zu tun und genügend Hilfe von Gleichgesinnten hat, klappt das schon! Und so kommt es, dass Blogger wie Anabel Schunke oder Imad Karim immer wieder gesperrt werden, obwohl deren einziges „Vergehen“ darin besteht, ihre Meinung zu sagen. Auch die Achse-Autoren Vera Lengsfeld und Joachim Steinhöfel können ein Lied davon singen.

Ein Rechtsverständnis aus dem Buch „Hexenhammer“

Im aktuellen Fall von Anabel Schunke kommt es sogar noch dicker! Sie wurde gesperrt, weil sie eine ziemlich heftige sexuelle Beleidigung öffentlich machte, indem sie diese auf Facebook postete. Facebook handelt hier nicht anders als die Scharia, wo eine vergewaltigte Frau mit harter Strafe rechnen muss, wenn sie die geforderten vier Zeugen nicht aufbringen kann. Facebook fragte nicht mal nach Zeugen, Facebook sperrte gleich. Das muss man sich klar machen: Wir schreiben das Jahr 2016 und dennoch kann es geschehen, dass das Opfer einer Beschimpfung, Beleidigung oder Angriffs wie ein Täter bestraft wird. Unterstützt und gefördert wird diese Ungeheuerlichkeit durch eine private Stiftung, die aus Mitteln des Justizministeriums finanziert und von diesem beauftragt worden ist.

Mal ganz abgesehen davon, dass die Sperrung von Anabel Schunke falsch, eine Unverschämtheit und ein willkürlicher Akt ist, hält sich Facebook nicht nur in diesem Fall nicht an die eigenen Statuten. Erste Sperre bei Facebook: drei Tage. Zweite Sperre: sieben Tage – diese Sperre wurde bei Anabel Schunke als Irrtum erkannt und mit ausdrücklicher Entschuldigung durch Facebook aufgehoben. Nun meine Frage, liebe Gesichtsbuchinquisitoren: wie kann es sein, dass Anabel Schunke nun gleich für 30 Tage gesperrt wurde, wo ihr doch selbst eingeräumt habt, dass zumindest die zweite Sperre unrechtmäßig war? Hätte die aktuelle Sperre denn nicht erst die zweite sein dürfen, da es offiziell noch keine wirksame zweite Sperre gab? 

Mir scheint, Facebook hat sein Rechstverständnis aus dem Buch „Hexenhammer“. Darin heißt es „Es gibt vier Arten, den Angeklagten zu überführen. Entweder durch das Recht, wie zum Beispiel Folter oder Zeugen, oder durch Evidenz der Tat, oder durch Auslegung des Rechts, zum Beispiel, dass der Angeklagte öfters vorgeladen sei, oder durch heftigen Verdacht.“ Da die „Angeklagte“ schon mehrfach vorgeladen war, griff man im Strafregister gleich eine Oktave höher. Was ist das hier, eine neue Art der Inquisition? Zählen falsche Verdächtigungen und fehlerhafte Anschuldigungen jetzt schon genauso viel wie Tatsachen und Fakten?

Vorbereitungen für das Exil

Solche Fälle von willkürlicher und unberechtigter Sperrung sind nicht selten. Allerdings stehen viele Betroffene nicht so in der Öffentlichkeit wie Frau Schunke, weshalb man nur von den wenigsten Fällen erfährt. Die Abhängigkeit, in der man sich als Blogger in Sachen Kommunikation von großen Plattformen wie Facebook und Twitter befindet, ist beängstigend. Ich halte es deshalb für eine gute Idee, einige minimale Vorkehrungen zu treffen, bevor es zu einem solchen kommunikativen Supergau wie der Sperrung bei Facebook kommt. Hier einige „Prepper-Regeln“, die von Fall zu Fall noch ergänzt werden sollten.

  • Vertraue nicht darauf, dass du morgen noch die Menschen über Facebook und Co. erreichst, die dir wichtig sind. Du solltest die echten E-Mail-Adressen für eine Fall-Back-Kommunikation speichern.
  • Falls Du regelmäßig bloggst, ist eine eigene Webseite eine gute Idee. Am weitesten verbreitet ist sicherlich WordPress, entweder über den Blog-Anbieter wordpress.com oder als kostenlose Software, die man auf dem eigenen Webspace installieren kann.
  • Veröffentliche deine Beiträge auf Deinem Blog und benutze Facebook nur, um auf diesen Artikel zu verweisen.
  • Sichere die Blogdaten regelmäßig (Datenbank und Programmdaten) und verwende sichere Passwörter. Im Falle eines Hacks oder der Sperrung durch den Provider kannst Du schnell an einen anderen Ort im Web mit deinem gesamten Blog, allen Artikeln und Kommentaren umziehen.
  • Für den Fall dass Du bei Facebook gesperrt werden solltest, benenne rechtzeitig ein oder zwei vertrauenswürdige Freunde, die auf Deiner Wall schreiben dürfen und die Nachricht von Deiner Sperrung dort posten können. Diese können sich auch um die Schmierfinken und Trolle kümmern, die die Abwesenheit der Hausherren gern nutzen, um ihren kranken Mist zu verbreiten. Denn merke: Facebook fesselt und knebelt dich in seinem eigenen Haus, lässt aber alle Türen offen – und Du kannst nichts dagegen tun.
  • Sichere Deine Kontakte und Blogs nicht nur in der Cloud, egal wie bequem das ist. Ein gut und regelmäßig aktualisierter USB-Stick kann dafür sorgen, dass Du „auf Sendung“ bleibst.
  • Wenn’s passiert, sofort handeln! Widerspruch einlegen, und auf allen Dir noch zur Verfügung stehenden Kanälen senden und wenn möglich einen Anwalt einschalten. Mich fragen, ich gebe gern Adressen von Spezialisten weiter.

Meinungs- und Redefreiheit sind das Fundament unserer Demokratie. Geben wir die auf oder überlassen es einer staatlichen oder privaten Zensur, zu entscheiden, was gesagt werden darf und was nicht, stehen alle anderen demokratischen Werte auf Treibsand. Wer nicht zu Mord oder Verbrechen aufruft, muss das Recht auf freie Meinungsäußerung uneingeschränkt besitzen. Einen Mord „Mord“ zu nennen und ein Verbrechen als „Verbrechen“ zu bezeichnen, ist ebenfalls durch dieses Grundrecht geschützt. Es ist eine bittere Tatsache, dass heute ausgerechnet jene Menschen auf digital gepackten Koffern sitzen müssen, die auf Missstände hinweisen, indem sie dieses Recht in Anspruch nehmen. Denunziert ausgerechnet von Menschen, für deren Recht auf freie Meinungsäußerung sie auch eintreten.

Blame the cause, facebook. Don’t shoot the messenger! 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

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