Falls Sie sich jetzt denken, „hä, wo war das WM-Tagebuch gestern“, dann haben Sie da ziemlich recht, denn ich war gestern sozusagen Ohrenzeuge im Camp der Regenbogenmannschaft, und da konnte ich natürlich nicht schreiben – aber im Ernst: Wollen Sie wirklich wissen, wie Schweden gegen Korea (gewonnen), Belgien gegen Panamana (düpdüdürüdü) (belgischer Pflichtsieg) und England gegen Tunesien (England did the match) gespielt haben? Sehen Sie – ich auch nicht. Wie mein Freund Albert zu sagen pflegt: „Hinten kackt die Ente“, oder, wie es Helmut Kohl ausdrückte: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt“. Ein paar Favoriten (und Belgien) werden die nächste Runde schon erreichen.
Das liegt aber auch daran, dass ich von den fantastischen Dribblings von Horst Seehofer so begeistert bin, das ich gar keine WM gucken mag. Einfach grandios, wie er von der rechten Seite um Merkel herumdribbelt – nur reinmachen will er ihn nicht. Den Ball. Das zieht sich. Dadurch ist mir die WM mehr egal (oder „egaler“?) als Erdogan die Opposition.
Der Spieltag gestern startet mit der Partie (oder besser Party) Kolumbien gegen die kleinen Japaner. Eigentlich eine klare Sache: Kolumbien liegt in Südamerika, Japan nicht. Und weil das die Kolumbianer wissen, beschließen sie – fair ist fair – den Insulanern einen kleinen Vorsprung zu geben – fair ist fair. In der 6. Minute blockt Sanchez einen Schuss von Kagawa mit der Hand, was erfahrungsgemäß immer zu einem Platzverweis und einem Elfer führt. Man fährt ja auch nicht über eine rote Ampel, an der ein Blitzer hängt. Zur Überraschung der Kolumbianer verwandeln die Japaner das Geschenk, und die Kollegen aus Südamerika liegen hinten.
Die Partie wird so ruppig wie ein Schlussverkauf bei Primark, und in der 30. Minute hat der Trainer der Kolumbianer die Schnauze voll und wechselt das erste Mal. Das zahlt sich dann neun Minuten später auch nicht aus, weil ein anderer Kolumbianer per Freistoß das 1:1 erzielt. Der Typ hat einfach unter der hochhüpfenden japanischen Mauer drunter durchgeschossen. Kann man machen, schließlich haben sich ja auch Republikflüchtlinge gerne mal unter der Mauer durchgemogelt. In der zweiten Hälfte lassen es die Cafeteros (warum auch immer die Kolumbianer ihre Mannschaft so nennen) ruhig angehen und lassen höflich den Japanern den Ball, die sich regelrecht kaputt spielen. Leider vergessen sie zu kontern, und so machen die Japaner dann in der 73. Minute das 2:1. Und dabei bleibt es auch, weil die Cafeteros heute einfach zu müde sind, und in Tokio fallen sich wildfremde Menschen weinend in die Arme. Die Ahnen sind stolz auf sie.
Wie man das von öffentlichen Baustellen kennt
Das nächste Spiel ist Polen gegen den Senegal. Polen hat Lewandowski, der Senegal Mane. Zwei B-Stars gegeneinander. Das Spiel selbst ist recht lebhaft für die Polen, die Senegalesen haben augenscheinlich beschlossen, den Polen durch haltlos verschossene Bälle auf den Senkel zu gehen und gelegentlich zu kontern. Das funktioniert dann in der 37. Minute auch, und der Senegal führt One to Zero. Aber noch ist Polen nicht verloren, selbst, wenn der Schrecken tief sitzt. Ein ums andere Mal stürmen unsere Nachbarn auf das senegalesische Tor, aber es nutzt nichts. Es geht nichts zusammen, was eigentlich zusammen gehört.
Grinsend machen die Senegalesen in der 60sten ihr 2:0 bei einem der wenigen Male, wo sie vor dem polnischen Tor auftauchen. Lewandowski und all die andern Kowskis mühen sich redlich und geben sich Mühe, wie man das ja auch von öffentlichen Baustellen in Deutschland kennt, aber die Senegalesen sind heute einfach zu clever. Beide Trainer schöpfen verzweifelt ihr Wechselkontingent aus und endlich, in der 86sten Minute, bekommt ein Pole den Ball derart unglücklich an den Kopf, dass er im senegalesischen Tor landet. Das ist dann Pech, für die Senegalesen. Die stolzen Polzen geben noch einmal alles – aber es nutzt heute nichts. Mit dem Schlusspfiff hat Polen eben doch verloren, auch wenn es noch nicht ganz verloren ist. Aber sie müssen ja noch mal gegen Japan ran. Das wird als Pechvogelmannschaft nicht einfach.
Den Abend beschließt das Match zwischen Russland und Ägypten. Mit nordafrikanischen Staaten haben die Russen ja recht gute Erfahrungen gemacht, und so ist es auch diesmal. Die Ägypter sind durch das Uruguay-Match sowieso schon angeschlagen, während die Russen quasi wie gedopt (war nur ein Scherz, liebe russischfreundliche Leser) auf den Platz kommen. Das Spiel selbst ist recht munter, von den Ägyptern ist halt wenig zu sehen, weil sie wie Ägypter laufen. Dafür machen zwar die Russkis das Spiel, aber leider kein Tor, und so geht es unentschieden in die Pause.
Es scheppert in der ägyptischen Grabkammer
Zum Pech für die Nordafrikaner, die ja ganz zu unrecht auch „die unbesiegbaren Löwen“ genannt werden, kommen die Russen früher mental aus der Kabine und deswegen scheppert es kurz nach dem Anpfiff in der ägyptischen Grabkammer. Man gewinnt beinahe den Eindruck, die Ägypter sind nur mit fünf Mann auf dem Platz, so viele Russen sind zu sehen. Gut, Leute haben sie ja, in Putins Reich.
Nur 12 Minuten später rappelt es wieder bei den Ägyptern, bei denen es jetzt nur noch darum geht, die Niederlage möglichst nicht ähnlich schmachvoll wie die überrollten Araber zu kassieren. Obwohl doch beide Völker derartiges aus ihrer Nachbarschaft zu Israel eigentlich gewohnt sein müssten. Aber der Widerstand – so es ihn je in der zweiten Halbzeit gab – wird nur drei Minuten später durch das 3:0 der Russen zerniert. Es ist aus. Um die Niederlage nicht zur Katastrophe werden zu lassen, bekommen die Ägypter in der 73sten Minuten noch via Videobeweis einen Elfer geschenkt, den der russische Torwart auch durchlässt.
Und so erlöst der Schlusspfiff die „immerhin nicht so hoch wie die Araber verlorenen“ Ägypter in die Freizeit und bei uns im Schtetl gibt es einen einstündigen Autokorso russischer Einwanderer, bei dem gelegentlich auch Schüsse zu hören sind. Ich wusste gar nicht, dass wir doch so viel Russen hier haben und bin im nachhinein froh, dass die Polen verloren haben...
Im DFB-Hauptquartier von Regenbogenland in Takatuka gibt es Gesprächsbedarf. Joachim Löw muss irgendwie die Mannschaft umbauen, so sagt man. Aber da er an der gleichen Vermarktungsfirma wie Özil und Gündogan hängt, ist das gar nicht so einfach, zumal auch der DFB und die Kanzlerin es sicher nicht hilfreich fänden, wenn so gar kein „türkischer Spieler mit deutschem Segregationsvordergrund“ in der Elf stünde. Özil möchte jedenfalls dazu nichts sagen, und Gündogan bemalt T-Shirts. Der Zeugwart erklärt die Diskussion für beendet! Basta!
PS. Ich fliege heute in ein fernes Land in Urlaub und bin gespannt, wie es mir von da gelingt zu schreiben.