Inspiriert durch die WM hat meine örtliche FDP-Gruppe heute eine gesellige Wanderung über sage und schreibe 14 Kilometer angesetzt, und ich Depp hatte mich angemeldet. Man könnte schön durch den Wald laufen und über Politik und Sport fachsimpeln, das war wohl die Idee. Also ähnlich, wie auf dem Fußballplatz. Ich muss dazu sagen, dass ich Entfernungen von mehr als zwei Fahrzeuglängen grundsätzlich für fahrfähig halte und leidenschaftlicher Zigarillo-Raucher bin. Deswegen geriet dieser kleine Spaziergang für mich zum Höllen- und Survival-Trip, und außerdem habe ich mich am Ziel der Wanderung versehentlich betrunken, weil es doch so heiß war und die Wirtin uns Schnäpse ausgegeben hat. Wenigstens ein Wähler erinnert sich noch positiv an unsere letzte Legislaturperiode...
Leider bin ich immer noch nicht in WM-Laune und schaue mit einer Mischung aus Spannung und Ekel mehr nach Berlin als nach Moskau, und ich vermute dahinter die gleiche morbide Faszination, die schwere Autounfälle oder ein Spiel der argentinischen Mannschaft auf Menschen haben. Allerdings hatten der VfS München und der FC Merkel heute spielfrei, und so durften auch die kleineren Mannschaften einmal etwas sagen, aber irgendwie hat das keinen interessiert. Mich jedenfalls nicht.
In Russland ist heute Großkampftag. Gleich vier Spiele sind angesetzt, und den Auftakt machen die nicht mehr ganz so frischen Franzosen gegen die Australiener, die Italiener Ozeaniens. Ich mag es, die Marseillaise zu hören, untermalt vom mitsingenden Publikum und den mahlenden Kiefern der Equipe Tricolore. Ich kriege da selbst jedes Mal Lust, ein Gefängnis zu stürmen, aber dann müsste ich von der Couch aufstehen. Und gelaufen bin ich heute genug! Die Franzosen sind jedenfalls in Stürmerlaune und schnüren die armen Australier in der eigenen Hälfte enger ein als die Schrottpresse auf dem Todesstern Han Solo. Die beiden Versuche einer Gegenwehr durch die Australier sorgen aber für Beruhigung, als die Franzosen merken, dass ihr Gegner durchaus auch in der – wenn auch nur versehentlichen – Lage ist, in den eigenen Strafraum zu kommen. Daher wird das Spiel etwa in der Hälfte der ersten Halbzeit (also nach einem Viertel der Spielzeit, für die Rechenschwachen) merklich ruhiger, und die Zuschauer machen sich selbst durch La-Ola-Wellen warm, möglicherweise unterstützt von Elektroschocks, die die Russen unter den Sitzen montiert haben, um stimmungsvolle Bilder zu kriegen. Putin kann und muss man alles zutrauen.
Den Aussis auch mal einen Elfmeter gönnen
Nach der torlosen ersten Hälfte fällt Griezmann im australischen Strafraum, was dem Schiedsrichter so gut gefällt, dass er sich das gleich noch einmal auf Video anschaut. Jawohl, Elfmeter, Griezmann schießt und trifft, und die tapferen Aussis liegen plötzlich hinten. Damit aber die Partie nicht abflacht, beschließen die Franzosen nach fünf Minuten ganz fair, den Ball im eigenen Strafraum in die Hand zu nehmen und den Aussis auch mal einen Elfmeter zu gönnen, den die dann auch konsequent verwandeln, und die Partie ist wieder offen. Beide Trainer wechseln spaßeshalber ihre Mannschaften so weit als möglich aus, damit jeder mal dran war, und kurz vor Schluss verschießt Drogba einen Pass, der versehentlich hinter der australischen Torlinie landet. Und da wir ja nicht mehr Wembley 1966 haben, entscheidet die Torlinienkamera, dass die Australier wieder hinten liegen. In den letzten zehn Minuten können die Aussis dann auch nichts mehr reißen, und so bleibt es bei dem hart erstolperten Ergebnis. Fazit des Spiels: Hätten wir noch 1966, dann wäre Ludwig Erhard noch Kanzler, ich wäre noch nicht geboren und Australien hätte 1:0 gewonnen. Haben wir aber nicht. Glückwunsch an Frankreich.
Ich schmiere mir meine schmerzenden Beine mit „Gehwohl“ ein (Scheckanfragen bitte an die Achse) und freue mich auf das erste Kracherspiel des Tages. „Kracher“ deswegen, weil eigentlich niemand, den ich kenne, die arroganten Argentinier leiden kann und Island mit seinem „Hu!“-Publikum und seinen kickenden kaufmännischen Angestellten sowieso schon Meister der Herzen ist! Außerdem käme kein Isländer auf die Idee, sich mit Erdogan fotografieren zu lassen. Allerdings ist Island auch nicht über Land oder mit dem Schlauchboot erreichbar. Jedenfalls sind die Argentinier klarer Favorit, denn sie haben einen Messi. Die Isländer lediglich Moral. Erste böse Überraschung für die doch sehr argen Tinier: Die „Wikinger“ sind durchaus nicht bereit, sich überspielen zu lassen und spielen tatsächlich mit. Erst in der 19. Minute fällt Agüero mehr oder weniger zufällig in den Ball und locht zum 1:0 für die Südamerikaner ein. Die sind anscheinend der Ansicht, dass das dann auch genügt, und während die Argentinier noch jubelnd über den Platz laufen, mogeln sich die Isländer durch, und ausgerechnet ein Augsburger Spieler macht den vielleicht nicht verdienten, aber ersehnten Ausgleich. So etwas hat die Welt noch nicht gesehen!
In der Folgezeit behalten die Argentinier den Ball mal lieber sicherheitshalber für sich und weigern sich, ihn den Isländern zu geben. Dadurch bekommen sie zwar kein Gegentor – allerdings machen sie auch keines, und so mutiert das Spiel zu einer argentinischen Trainingseinheit zum Thema Ballbesitz. Nicht schön, dafür aber ineffektiv. Wie unsere Regierung.
Obwohl die doch diesen Dings, diesen Messi, haben
In der zweiten Halbzeit tut sich auf argentinischer Seite nicht sonderlich viel mehr, obwohl die doch diesen Dings, diesen Messi, haben, die Lichtgestalt des argentinischen Fußballs, den Franz Beckenbauer der Anden, den Donald Trump der Fußballwelt. Die Isländer müssen etwas weniger laufen als die Argentinier, da sie meist in der eigenen Hälfte stehen, aber ein 1:1 wäre ja auch im Vergleich zum prognostizierten 7:0 bereits eine Sensation. Schließlich hat der Schiedsrichter nach 60 Minuten Mitleid mit dem strauchelnden Favoriten und schenkt der Albiceleste mal spontan einen Elfmeter. Und den setzt Messi – ausgerechnet Messi – in den Sand. Gebe Gott, dass Argentinien nie gegen England ins Elfmeterschießen gehen muss – das kann sich länger als eine deutsche Regierungsbildung ziehen... Ebenso, wie es die letzten 30 Minuten tun. Die Argentinianer rennen sich ein- ums andere Mal in der isländischen Hälfte fest, ein Kompromiss ist auch nicht in Sicht, und als der Schlusspfiff die sichtlich frustrierten Südamerikaner erlöst, ist die Sensation perfekt: die Insel Island ist nicht untergegangen. Hu!
Filme, in denen Leute schweben, statt zu laufen
Danach bin ich dann eingeschlafen, weil ich von der dämlichen Wanderung so platt war und die Gunst meiner Herzensdame noch morgen für das erste Spiel der Internationalmannschaft gegen Mexiko brauche. Ich tröstete mich mit etwas Popcorn, um die verbrauchten Kalorien zu ersetzen und guckte heute lieber nur noch Filme, in denen Leute schweben, statt zu laufen. Daher sei der Chronistenpflicht Genüge getan, wenn ich die Ergebnisse von Peru gegen Dänemark (1:0 für die Dänen) und Kroatien gegen Nigeria (2:0 für die Beuteösterreicher) einfach kommentarlos verkünde.
Im Zentrum der Internationalmannschaft herrscht högschte Konzendratzion, weil Gündogan daran gehindert werden muss, Putin ein signiertes Trikot zu schenken („meinem zweitliebsten Präsidenten nach Steinmeier und noch vor Kim Jong-un“) und im Spiel Seehofer gegen Merkel herrscht immer noch ein Unentschieden. Özil möchte sich dazu nicht äußern, und Manuel Neuer erklärt die Diskussion jetzt für beendet. Basta!