Bernhard Lassahn / 10.03.2010 / 08:42 / 0 / Seite ausdrucken

Teil 1:  Idioten Ost - Die Sache mit dem Privateigentum

Der Genitiv der Idioten

Der „Genetiv der Idioten“, auch „Doofen-Apostroph“ - wie in „Holger’s Bistro“ - wird allgemein beklagt, belächelt und bespöttelt, in manchen Restaurantempfehlungen sogar mit einem Punktabzug in der B-Note berücksichtigt. Er hat inzwischen den Westen erreicht und erfolgreich unterwandert. So findet sich etwa am Mexico-Platz, was immer im Westen Berlins war, das „Bahnhof’s Bistro“, das bestimmt auch ohne Punktabzug in der B-Note bei einer Restaurantempfehlung nicht gut weg kommen würde.

Eine eindrucksvolle Sammlung findet sich als Apostrophen-Alarm im Internet. Da zeigt sich dann allerdings auch, dass es sich nicht ausschließlich um ein Problem im Umgang mit dem Genitiv handelt, sondern ebenso mit der Pluralbildung, womit uns eine Brücke geschlagen wird zu den „Idioten-West“ aus dem Teil 2. Und es zeigt sich auch, dass gelegentlich zu schnell gelacht wird. Da haben sich nämlich Beispiele eingeschlichen, bei denen der Apostroph als Auslassungszeichen durchaus seine Berechtigung hat.

Besonders lustig ist es sowieso nicht. Für jeden, der schon mal im ICE gereist ist, ist ein Witz, der darin besteht, dass jemand kein Englisch in der Schule hatte, nicht unbedingt der Brüller. Da hat man mehr Spaß an Oettinger auf you tube. Klar, ich erinnere mich auch gerne an eine Speisekarte in Mecklenburg Vorpommern, auf der ich kurz nach der Wende einen „Schießburger“ entdeckt habe. Das musste ich schon lachen. Aber ich will den Ossi auf keinen Fall auslachen. Denn er ist nicht doof.

Mit dem Genitiv der Idioten meinen wir zwar das kleine einsame Gänsefüßchen – man könnte aber auch den großen Genitiv der Idioten meinen, den riesengroßen Genitiv; den, der sich seinen Namen im Schweiße des Angesichts verdient hat und der schon so klingt, wie er ist. Er war nicht zu übersehen. Er hatte seinen festen Platz in der Propaganda der DDR, dem Staat der Arbeiter und Bauern. Er war so etwas wie die Sprachformel für die Lüge des Sozialismus. Wir denken sofort an den „Palast der Republik“, an das „Haus der jungen Talente“ (kurz HdjT), oder an die „Allee der Kosmonauten“, die es inzwischen sowohl als Straße, als Film und als Musikgruppe gibt. Als Ideologie hat sie ins Nichts geführt.

Mancher erinnert sich vielleicht noch an das „Gastmahl des Meeres“ und fragte sich damals schon, ob die Speisekarte womöglich das Ergebnis einer ‚Tauchfahrt des Schreckens’ war (wie der Gruselfilm über Ungeheuer im Bermuda-Dreieck hieß). Mancher erinnert sich auch noch an die Tafel draußen vor der Tür mit der „Empfehlung des Tages“, an der mit Kreide geschrieben zu lesen stand: „Pommes frites sind aus“.

Der Genitiv ist auch aus. Endlich. Schluss ist mit dem Genitiv der falschen Großartigkeit. Es gibt ihn noch als Flagschiff der Peinlichkeit in einer Szene, in der man es gerne schrottig und trashig hat und sich selbst kultig findet, wenn man etwa den Gruppennamen „Chaussee der Enthusiasten“ wählt für die „schönsten Schriftsteller Berlins“. Das soll vermutlich ironisch sein. Doch gerade das war der Genitiv der Idioten nicht, auch wenn er immer an B-movies erinnerte, an die ‚Nacht der reitenden Leichen’, oder die ‚Insel der Wollust’,  und an noch viel schlechtere Filme, bei denen man sich die Titel gar nicht erst merkt.

Großartig und billig zugleich – eine schwere Hypothek für das Selbstbewusstsein und den aufrechten Gang bei einem intellektuellen Mindeststandard. Wie konnte man unter solchen Bedingungen überhaupt noch normal reden?

Die Genetiv-Metaphorik (habe ich mir sagen lassen) ist eine Spezialität des Russischen, daher weht also der Wind. Wenn man an den „Platz des himmlischen Friedens“ denkt, könnte es sogar von noch weiter östlich kommen. So erklärt sich auch, dass mit dem Rückzug der russischen Soldaten der große Genitiv ein schnelles Ende fand, und es erklärt sich die damalige Begeisterung für ‚Winds of Change’ – ich war schon lange auf der Suche nach einer Erklärung dafür, was an dem Song so toll ist.

Er ist toll. Er war ein Megahit, und führte zu einer deutsch-russische Begegnung der besonderen Art: 1991 wurden die Scorpions von Michael Gorbatschow zu einem Gedankenaustausch im Kreml empfangen - ein in der Geschichte der UdSSR und zugleich in der Rockwelt einzigartiges Ereignis. Gorbi zeigte sich bei einem Schluck Krimsekt besonders von der Genetiv-Dichte des Textes beeindruckt: „take me to the magic of the moment on a gloy day, where the children of tomorrow ...“  (vermute ich zumindest).19

Doch gerade der große Pomp floppt. Groß aber hohl sind diese Genetive. Vielleicht kommen sie aus Russland. Ich hatte auf Österreich getippt. Sie erinnerten mich außerdem an Friedrich Schiller, wie wir ihn schon als Schüler nicht mochten, an „des nackten Wahnsinns fette Beute“, die unfreiwillig komisch wirkt. Auch an Gerald Uhlig und dem unvergessenen „Postbote meines Blutes“ aus einer Zeit, als es noch keine E-Mails gab. Und natürlich an André Heller und seinem „Würgeengel der Melancholie“, bei dem ich mich schon immer gefragt habe, wer hier eigentlich wen würgt.

Denn die Bezüge sind - so großartig sie klingen - nicht deutlich. Auch nicht in dem aktuellen Fall eines Idiotengenitivs, der diesmal aus dem Westen kommt: „Deutsch - Sprache der Ideen“ heißt die jüngste Kampagne unseres Außenministers, eine „Prinzipienfrage“, wie er sagt – wir fragen uns da sofort: Sind es speziell deutsche Ideen, die so eine schöne Sprache hervorbringen oder ist es die deutsche Sprache, die gute Ideen freisetzt, wenn man sie richtig nutzt? Die Frage ist auch hier wieder: Wer würgt wen? Wer ist für wen - oder was - verantwortlich?

Das weiß keiner so genau. Das liegt unter dem Schleier des Rätselhaften. Das ist ja das Dumme bei dem Genetiv. Er entspricht der Logik des Zirkelschlusses und den Aussagen dieser gefürchteten Statistiken, die kühn eine Korrelation darstellen, aber deswegen noch lange nichts Gültiges zum Ursache-Wirkungs-Verhältnis sagen können: Wie ist es denn nun? Bringt die Erderwärmung ein erhöhtes CO2-Aufkommen mit sich, oder verursacht erst das CO2 den Temperaturanstieg? Macht Kiffen in Einzelfällen paranoid, oder gibt es einfach nur ein paar Leute, die sowieso zur Paranoia neigen und obendrein gerne kiffen? Dahinter steht eine der großen philosophischen Fragen, die bereits die Vordenker der ‚Schwarze Grütze’ auf die Bühne gebracht haben - und die immer noch nicht beantwortet ist: Was war zuerst da? Das Hühnerfrikassee oder der Eiersalat?

Wer war denn nun in der DDR verantwortlich für den ganzen Schlamassel? Das Volk natürlich. Aber die Verantwortung verteilte sich auf dermaßen viele Schultern, dass sich keiner mehr zuständig fühlte und sich der Arbeiter und Bauer nur noch ab und zu ein paar Schuppen vom Jackett wischte, als wären das die kläglichen Reste, der ihm zugeteilten Einheiten von Verantwortung - und von seinen Möglichkeiten der Mitgestaltung.

Und wem gehörten die Produktionsmittel? Dem Volk. Nun konnte endlich alles gut werden. Doch es sah nicht gut aus. Nach der Enteignung verteilte sich der Wert auf so viele stolze Besitzer, dass niemand mehr stolz war und kein Gefühl dafür hatte. Dass der Arbeiter nun auch der Besitzer der Fabriken und obendrein das Subjekt der Geschichte sein sollte, wurde ihm dabei unentwegt in der Sprache des Betrugs eingeredet. Deshalb muss der Genitiv so groß und gleichzeitig so leer sein, er umfasst die ganze Spanne zwischen Weltniveau und dem Trabbi, auf den man zehn Jahre warten muss.

Und darum ging es: Um das Verhältnis der Hauptwörter zu einander, um Verantwortung und Besitz – das musste nach 1989 völlig neu verstanden werden von Deutschen, die bisher mit dem Genetiv der Idioten abgespeist wurden. Wir können heilfroh sein, dass wir von der Geisel befreit sind, da sollten wir einen kleinen Apostrophen Alarm als Nebenwirkung in Kauf nehmen.

Zudem hatten die Ostdeutschen das Gefühl, dass ihnen das Englische fremd geblieben war, fremder zumindest als den Besserwessis. Da ist es verständlich, dass sie sich den sächsischen Genetiv vornahmen, den sie nun wie eine Neuentdeckung anwenden konnten, als sie auch tatsächlich etwas Neues brauchten, nachdem sie den großen Genetiv der Idioten über Bord geworfen hatten. Und es ist nicht nur verständlich, es spricht auch einiges dafür.

Mit „Holger’s Bistro“ und „Uschi’s Shop“ konnten sie nun einen Besitz - ja, sogar einen Privatbesitz an Produktionsmitteln - kennzeichnen, wie das früher nicht möglich war. Dabei wollten sie nicht nur sagen: Das ist meins. Mehr noch: Sie wollten außerdem deutlich machen: Ich bin mir treu geblieben. Denn es geht vor allem darum, den Namen in seiner alten Gestalt zu erhalten, ihn nicht mit einem angehängtem „s“ so zu verändern, dass man ihn im ersten Moment nicht mehr erkennt. Das ist verständlich.

Das ist neuerdings auch richtig. Nach der Rechtschreibreform wird der Apostroph ausdrücklich zugelassen „zur Verdeutlichung der Grundform eines Personennamens“. Also: Uschi darf ihren Namen kenntlich zu machen. Im Regelwerk steht ihr Fall gleich neben der berühmten „Einstein’schen Relativitätstheorie“. So doof ist Uschi also gar nicht. Und sie ist in guter Gesellschaft. Arno Schmidts Hauptwerk (Ich meine: Arno Schmidt’s dickes Buch, also Arno Schmidt sein unlesbarer Schmöker, dieses opulente Schmidt’sche Hauptwerk halt - also das berühmte Buch des Arno Schmidt ...) dieser schwer gewichtige ‚Zettels Traum’ ist als ‚Zettel’s Traum’ (in der Schreibweise des Autors. Jetzt auch mit Apostroph!) noch mal neu erschienen. 

Den Eigennamen erhalten zu wollen, demonstriert einen trotzigen Stolz, ein Ringen um Identität in sich ändernden Zeiten. Da schimmert etwas von den „gelebten Biografien“ durch, wie sie in den Reden der Politiker auftauchen, die gerne den einzelnen Menschen der DDR ihren Respekt erweisen, aber gleichzeitig das politische System als Ganzes verurteilen wollen. Lassen wir Uschi also ihren Shop.

Es ist übrigens bemerkenswert, dass der Girls’ Day in den neuen Bundesländern gar nicht so beliebt ist – gut, das ist er sowieso nicht, die Regierung lügt sich immer neu einen Erfolg herbei, den die Aktion überhaupt nicht hat. Aber es gibt speziellen Gegenwind von den Ossis, obwohl man gerade denen eine vorschnelle und treudoofe Zustimmung unterstellen möchte – die immer mit ihrer Vorliebe für ein angeberisches Englisch und für den Apostroph, der in diesem Fall – hinter dem „s“ – wie eine Übung für Fortgeschrittene wirkt, ein Fall für Apostrophen-Profis.

Doch so viel Englisch können die meisten, dass sie die Übersetzung „Mädchen Zukunftstag“ nicht für 100%ig korrekt halten - und übrigens längst vertraut sind mit dem Gedanken, dass „der Tag“ eine symbolische Bedeutung haben kann, die über 24 Stunden hinausgeht: Der Roman ‚Der Tag zieht den Jahrhundertweg’ von Djingis Aitmatow ist im Westen noch mal neu unter ‚Ein Tag länger als das Leben’ erschienen.

Im Osten mögen sie vielleicht Probleme mit dem Privatbesitz haben. Im Westen gibt es Probleme mit der Verallgemeinerung (wie wir im Teil 2 sehen werden beim Plural der Idioten). Im Osten sind viele skeptisch gegenüber allem, was aus dem Westen kommt, auch wenn es auf den ersten Blick glänzt. Ich erinnere mich noch gut an das unscheinbare Einwickelpapier, das immer gleich als typisch DDR zu erkennen war; der Schein des Gebrauchswertes war den marxistisch geschulten Denkern ein fester Begriff, der bloße Schein galt als schlecht. Doch hier muss man gar nicht groß mit Argumenten aus der ökonomischen Theorie auftrumpfen. Der für dumm gehaltene Ossi reagiert ganz schlicht mit unverdorbenem Gerechtigkeitsempfinden: Wie sieht es denn nun mit der Gleichberechtigung aus? Sollen die Jungs etwa keine Zukunft haben?

Nein, das sollen sie nicht. Das ist natürlich schwer zu verstehen. Als eines der neuen Bundesländer anregen wollte, lieber einen gemeinsamen Jungen-und-Mädchen-Zukunftstag zu machen, mussten sie lernen, dass „Girls’ Day“ eine geschützte Marke ist - so etwas kennt man im Osten nicht. Außerdem gibt es keine Fördergelder, wenn die Jungs nicht ausgrenzt werden.

Für den Westler, der den Sinn dieser Girls’ Days nicht in Frage stellt (richtig so? Oder muss es doch Girls’ Day’s, heißen, es soll ein Plural sein, es ist immerhin schon der zehnte Tag dieser Art), mag so eine Anfrage naiv erscheinen, doch ich glaube, dass Leute wie Uschi dahinter stecken – und recht haben. Ich mag Uschi. Ich finde, sie macht das gut.

Ich weiß allerdings nicht, wie lange ihr Laden noch läuft.

 

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