Wochenlang blies dem Bayrischen Ministerpräsidenten der Wind ins Gesicht. Als er schließlich sturmreif war, fegte ein wirklicher Orkan seinen politischen Abgang aus den Spitzenmeldungen der Nachrichten. Zu recht, denn Stoibers Verzicht auf eine erneute Kandidatur war nicht mit einer Reinigung der politischen Atmosphäre verbunden. Stoiber geht, aber das System Stoiber bleibt. Bei den Rücktrittsforderungen, die zum Schluß auf ihn niedergeprasselt waren, spielten lauter nichtige Gründe eine Rolle: Sein Alter? Der potentielle Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten Beckstein ist kaum jünger. Die Chancen der CSU bei der nächsten Landtagswahl? Das Ergebnis Stoibers bei der Letzten wird ihm niemand nachmachen.
Die Öffentlichkeit wird in den nächsten Wochen mit kremelastrologischen Spekulationen über Personalfragen beschäftigt werden. Damit ist erfolgreich vom eigentlichen Problem abgelenkt. Stoiber hat in seiner Amtszeit ein System von persönlichen Abhängigkeiten und Begünstigungen perfektioniert, das einem Vasallenverhältnis ähnlicher ist, als einer demokratischen Struktur. Wer widersprach oder einfach nicht mehr ins System passte, wurde mit ähnlichen Mitteln beseitigt, wie sie Stoiber am Ende seiner politischen Karriere selbst widerfahren sind.
Bei all den Machtspielchen ist eines völlig aus dem Blick geraten: Alle Macht geht vom Volke aus. Der Souverän hat zwar nicht über das Personalangebot der Parteien zu entscheiden, wohl aber über die Wahl in die Ämter. Die Wahl gilt für eine Legislaturperiode und sollte nicht aus parteitaktischen oder machtpolitischen Gründen außer Kraft gesetzt werden dürfen. Spätestens seit der von Altkanzler Schröder aus machttaktischen Erwägungen inszenierten Neuwahl scheint in Deutschland aber aller Respekt vor der Verfassung und den Entscheidungen des Souveräns verloren gegangen zu sein. Die SPD fordert Neuwahlen in Bayern, obwohl es nicht den geringsten Grund dafür gibt, sekundiert von Guido Westerwelle, der sich damit tatsächlich als der Leichtmatrose erweist, als den ihn Stoiber bezeichnet hat. Die Medien machen sich brav zum Sprachrohr solcher abwegigen Forderungen, ohne kritische Fragen zu stellen. In Deutschland hat sich inzwischen eine politische Kaste etabliert, die sich immer weniger an die verfassungsgemäßen Rahmenbedingungen hält.
Das System Stoiber war in Bayern besonders gut ausgeprägt, vorhanden ist es aber auf allen politischen Ebenen. Das hat zur Folge, dass bei der Auswahl des politischen Personals weniger Qualität und Qualifikation als Zugehörigkeit zur richtigen Parteiseilschaft eine Rolle spielen. Es wird auch weniger um die Lösung der Probleme des Landes gerungen, was die eigentliche Aufgabe von Politikern sein sollte, als um Machtpositionen gekämpft. Folglich wird bei der Debatte um Stoibers Nachfolger nicht danach gefragt, wer am besten geeignet sei, sondern wer die meisten Parteibataillone hinter sich hat.
Kein Wunder, dass den Parteien die Mitglieder davonlaufen und das Wahlvolk sein rapide sinkendes Vertrauen in die Politik durch Wahlabstinenz ausdrückt. Der Fall Stoiber ist ein weiters Beispiel dafür, dass die politische Kaste unseres Landes nicht mehr den Anforderungen für eine zukunftsfähige Politik entspricht Die wirklich spannende Frage ist, wie lange sich der Souverän das noch bieten lässt.