Henryk M. Broder / 22.11.2012 / 00:23 / 0 / Seite ausdrucken

Sterben mit der ARD

In der „Todesfuge“ von Paul Celan findet sich der Satz „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“. Wie Recht der Dichter mit dieser Feststellung hatte, kann man in diesen Tagen erleben, wenn man das „Erste“ anmacht.

Da läuft die Themenwoche „Leben mit dem Tod“, die sich an den typischen ARD-Zuschauer richtet: einen Mann oder eine Frau zwischen 60 und 65, kurz vor oder nach der Verrentung, der/die sich nun auf das Unvermeidliche innerlich einstimmt. Und so wie sein/ihr Leben geregelt verlief, muss auch das Finale geregelt werden.

„Wie will ich sterben? Welche Beerdigung wünsche ich mir? Wer sich offen mit dem Tod beschäftigt, erleichtert nicht nur sich selbst, sondern auch den Menschen in seinem Umfeld den Abschied.“

Nun trägt die ARD ohnehin dem Umstand Rechnung, dass viele ihrer Zuschauer sich bereits in der prä-mortalen Phase befinden. Die diversen „Feste der Volksmusik“ mit Florian Silbereisen zum Beispiel erträgt nur, wer mit dem Leben weitgehend abgeschlossen hat. Die allabendlichen Talkshows sind so aufregend wie eine Weihnachtsfeier in einem Bestattungsunternehmen.

Insofern passt die Themenwoche „Leben mit dem Tod“ gut ins Gesamtprogramm. Trotzdem muss man sich fragen, ob es denn noch irgendeinen Bereich gibt, in den das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht erzieherisch eingreifen würde. Es rührt die Trommel für Organspenden und Krebsvorsorge, es klärt über die Gefahren des Tabak-und Alkoholkonsums auf, es nimmt sich der allein erziehenden Mütter an, jetzt greift es ein Thema auf, das angeblich „tabubehaftet“ ist, um dazu beizutragen, „Sprachlosigkeit zu überwinden“: den Tod. Aber der ist so wenig ein Tabu wie das Liebesleben von Heidi Klum. Und was die „Sprachlosigkeit“ angeht: viele Deutsche lesen nur deswegen eine Tageszeitung, um über die Todesfälle in ihrem Bekanntenkreis auf dem Laufenden zu bleiben.

Was aber, wenn einer vom Tod überrascht werden möchte, so wie es vor der Erfindung des Fernsehens der Fall war? Ja, dann hat er eben Pech gehabt. Mit der Zwangsgebühr kommt auch der Todesengel ins Haus.

Erschienen in der Weltwoche vom 22.11.12

Siehe auch:
Die neue Erkennungsmelodie der ARD
http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=IJNR2EpS0jw

Der neue Dienstwagen der ARD-Intendanten
http://www.fusselblog.de/index.php/2011/02/19/der-ueber-leichenwagen-mercedes-benz-600?blog=14

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Henryk M. Broder / 07.03.2024 / 16:00 / 19

Aserbaidschanische Kampagne verhindert Armenien-Debatte

Eine in Berlin geplante Buchpräsentation und Diskussion über bedrohtes armenisches Kulturgut konnte aus Sicherheitsgründen nur online stattfinden. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP)…/ mehr

Henryk M. Broder / 04.03.2024 / 14:00 / 23

Michael Blume: Vom Zupfgeigenhansl zum Ersten Geiger?

In der Dienstzeit des Antisemitismus-Beauftragten Michael Blume hat die Zahl antisemitischer Straftaten in Baden-Württemberg erfolgreich zugenommen. Aber der Mann hat andere Sorgen. Ende Dezember letzten…/ mehr

Henryk M. Broder / 26.01.2024 / 12:00 / 70

Frau Assmann denkt über 1945 hinaus

Eine „Expertin für Erinnerungskultur“ möchte die Erinnerung an die Shoa mit der an die Nakba verbinden. Den Palästinensern wäre mehr geholfen, wenn Deutschland ihnen ein…/ mehr

Henryk M. Broder / 17.01.2024 / 06:15 / 91

Der Unsinn, aus dem Antisemitismus-Beauftragte gebacken werden

Gleich nach dem Influencer, dem Eventmanager und dem Insolvenzberater ist „Antisemitismusbeauftragter“ ein Beruf mit Zukunft. Der Antisemitismus hat Hoch-konjunktur, und da braucht man ausgewiesene Experten…/ mehr

Henryk M. Broder / 02.01.2024 / 14:00 / 50

Bedeutende Denkerinnen und Denker des 21. Jahrhunderts: Chr. Str.

Christian Streich, seit 2012 Cheftrainer des FC Freiburg, ist vor allem dafür bekannt, dass er sich gerne „einmischt“ und „Stellung bezieht“. Denn: Sich einmischen und…/ mehr

Henryk M. Broder / 21.12.2023 / 16:00 / 6

Efraim Habermann: 19.6.1933 – 19.12.2023

Der Fotograf Efraim Habermann ist mit 90 gestorben. Ein kultivierter Herr, der noch auf Aussehen und Umgangsformen achtete, das Haus nie ohne Krawatte und Einstecktuch verließ. Statt eines…/ mehr

Henryk M. Broder / 05.12.2023 / 13:00 / 38

Bedeutende Denkerinnen und Denker des 21. Jahrhunderts: D.F.

Es muss nicht immer einer oder eine aus der Beletage des Feuilletons sein. Auch im Souterrain des Kulturbetriebs flackert manchmal ein Licht auf. Derzeit ist es…/ mehr

Henryk M. Broder / 30.11.2023 / 15:30 / 26

Ernst Piper verlässt PEN Berlin

Der Historiker und Verleger Ernst Piper ist aus dem vor kurzem gegründeten PEN Berlin ausgetreten. Dazu bewogen haben ihn Susan Neiman, die Leiterin des Potsdamer…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com