In Zürich führte vor einigen Tagen und unter grossem Mediengetöse das erste Restaurant der Schweiz Unisex-Toiletten ein. Wie das Newsportal Watson berichtete, wollen die Betreiber des Lokals Coming Soon damit "ein Statement der Offenheit und Rücksichtnahme gegenüber unseren trans- und intergeschlechtlichen Mitmenschen" setzen, also gegenüber Personen, die sich nicht – oder nicht nur – mit dem Geschlecht identifizieren, mit dem sie geboren wurden.
Folgt man der Logik der Gastwirte, wird Diskriminierung beseitigt, Leidensdruck gemindert und die Welt ein generell besserer Ort – wenn Frauen, Männer, und alle, die sich irgendwo in der Mitte angesiedelt fühlen, das gleiche Klo benützen. Aus PR-Sicht ein gelungener Coup – und aus gesellschaftlicher Sicht?
Das Ausmass ihrer Bemühungen lässt vermuten, dass die globale Toiletten-Gerechtigkeit ganz oben auf der Agenda von Gender-Aktivisten steht. Innert relativ kurzer Zeit haben sie erreicht, dass weltweit immer mehr öffentliche Toiletten Unisex-tauglich gemacht werden müssen: Der Staat New York verpflichtet nächstes Jahr tausende Bar- und Restaurantbetreiber, ihre getrennt ausgewiesenen Toiletten neu zu beschildern. In Schweden und England gibt es Unisex-Klos, in Köln, Berlin. Der Gerechtigkeitssinn von Gender-Aktivisten ist so ausgeprägt, dass sie sogar Strafzahlungen in Kauf nehmen – mit Unisex-Klos verstösst das Zürcher Lokal gegen Bauvorschriften.
Das stille Örtchen ist der falsche Ort für diese Auseinandersetzung
Die wenigsten Leute bestreiten, dass Transgender die Toilette benützen dürfen, der sie sich zugehörig fühlen. Dass sie dabei manchmal mit Anfeindungen konfrontiert werden, ist traurige Realität. Gegen solche Missstände müssen wir vorgehen, nur ist das stille das falsche Örtchen hierfür. Aus zwei Gründen:
1. Die meisten Transgender-Menschen wollen keine Sonderregelungen. Sie wollen nicht mit Samthandschuhen angefasst werden, vor allem wollen sie nicht Teil dieser hysterischen Debatte sein. Gender-Aktivisten aber haben die WC-Frage zur dringendsten Problematik der Betroffenen erhoben, nirgends im Alltag erfahren sie offenbar mehr Diskriminierung als auf dem Klo. Katharina Kellmann, promovierte Geisteswissenschaftlerin aus Köln und Frau, die früher in einem männlichen Körper aufwuchs, kann nur den Kopf schütteln: "Was will man mit Unisex-Klos erreichen? Menschen wie ich werden damit doch erst recht diskriminiert." Sie findet die ganze Debatte müssig: "Es ist traurig, dass sich einige Medien und Menschen über Genderwahn ereifern, als stünde eine Kulturrevolution bevor. Ich halte Genderaktivisten für eine Gruppe von Menschen, die eher Unheil anrichten. Einige mögen es gut meinen. Aber manchmal weiss ich nicht, wer mir mehr auf den Geist geht: Die Berufstranssexuellen oder die Bekämpfer des Genderismus."
Im Alltag stosse sie auf Probleme ganz anderer Art: "Fehlender Respekt, wenn etwa fremde Menschen von mir wissen wollen, ob eine solche Operation schmerzhaft ist. Beschämend ist auch die Genderberichterstattung, es gibt ja praktisch keine Talkshow ohne Quotentranse." Das Schlimmste aber sei der Umgang durch Vorgesetzte: "Ein höherer Beamter meiner Arbeitsstelle fragte mich wortwörtlich, 'wie ich denn eine Frau sein wolle'. Der Personalrat, die Vertretung des arbeitenden Volkes, hat dabei nur einvernehmlich genickt."
Transgender machen in der Schweiz 0,5 Prozent der Bevölkerung aus
Gemäss dem Transgender Network Switzerland machen Transgender in der Schweiz 0,5 Prozent der Bevölkerung aus. Menschen mit Blasenschwäche und Menschen mit Reizdarm stellen zusammen etwa 20 Prozent. Warum fordert man für Letztere keine schalldichten Klokabinen? Warum errichten Wirte keine Extra-Toiletten, die immer frei bleiben müssen, damit Passanten mit Blasenschwäche sie im Notfall benützen können – selbstverständlich ganz ohne Konsumzwang?
Im Ernst: Für so geringe Bevölkerungsanteile eine für die Mehrheit funktionierende Ordnung komplett umzukrempeln, ist absurd. Ausserdem, und das bringt uns zu Punkt 2, würde sich bald die nächste Bevölkerungsgruppe herabgewürdigt fühlen – die Frauen.
Von einem persönlichen Blickwinkel als Frau aus betrachtet, halte ich das ultimative Aktivisten-Ziel, weltweit sämtliche bestehenden Klos mit Unisex-Klos zu ersetzen, für eine ultimativ unsinnige Idee, für einen Rückschritt unserer Gesellschaft. Sollten in meiner Umgebung je flächendeckend Unisex-WCs eingeführt werden, esse ich – und viele mir bekannte Damen ebenso – nur noch zuhause (dann bleiben nicht nur Raucher den Restaurants fern, sondern auch Frauen).
Befürworter von Unisex-Toiletten argumentieren gerne, getrenntgeschlechtliche Toiletten seien ein Überbleibsel aus der Viktorianischen Ära (1837-1901), einer Zeit, wo Frauen aufgrund der Industrialisierung und ihrer Beschäftigung in der Textilindustrie erstmals vermehrt an öffentlichen Orten in Erscheinung traten und als "Schwaches Geschlecht" beschützt werden mussten. Weil die Rolle der Frau sich grundlegend verändert habe und mit getrennten Toiletten kein Verbrechen verhindert werde, seien sie nicht mehr zeitgemäss.
Sie verweisen auch auf die jüngere amerikanische oder europäische Geschichte, wonach eine räumliche Trennung immer auch eine Art der Ausgrenzung zur Folge habe. Einen bemerkenswerten Satz steuerte 2009 eine Studentin der Berliner Humboldt Universität bei; Unisex-Toiletten wären "ein grosser Schritt für die Gleichstellung von Frauen und Männern". Wenn jemand Gewicht verlieren will, könnte er gemäss solchen Thesen ja einfach den Bäcker erschiessen.
Mein Toiletten-Erlebnis ist ohne die Anwesenheit von Herren ungezwungener
Dass es bis etwa 1850 nur Klos für Männer gab, stützte sich hauptsächlich auf dem Widerwillen der Herren, Frauen vollständig im öffentlichen Leben oder in der Arbeitswelt aufzunehmen. Verspürte eine Frau damals ausserhalb ihrer vier Wände ein dringendes Bedürfnis, musste sie es unterdrücken, oder in einen Rinnstein urinieren (dank ihren langen Röcken ein mehr oder weniger diskreter Vorgang), manchmal hatte sie eine kleine "Urinette" bei sich. 1887 wurde in Massachusetts das erste Gesetz erlassen, das alle Arbeitgeber verpflichtete, Toiletten für ihre Mitarbeiterinnen zu bauen – eine grosse Errungenschaft für Frauen. Um 1920 waren solche Gesetze Regel; wenn heute nur eine Räumlichkeit für Mann und Frau zur Verfügung gestellt wird, erfolgt es meist aus Platzspargründen.
Natürlich sind getrenntgeschlechtliche Klos nicht zwingend notwendig für eine funktionierende Gesellschaft – nur kann man sich (unter dem Aspekt der Gleichmachung) grundsätzlich fragen, ob getrennte Duschkabinen zwingend nötig sind, oder getrennte Schlafsäle in der Armee. Ja, es ist ein Luxus, den wir Bewohner reicher Industrieländer uns leisten. Dass der Ursprungsgrund für getrennte Toiletten einst ein anderer war, spielt für mich als Frau letztendlich keine Rolle. Was zählt, ist das subjektive Wohlbefinden. Mein Toiletten-Erlebnis ist ohne die Anwesenheit der Herren ungezwungener, ich fühle mich geschützter. Ich möchte mir die Lippen nachziehen oder die Kabine verlassen ohne starrende Männerblicke – mich in einer Klo-Schlange mit meinem Chef einreihen zu müssen würde wahrscheinlich meine Peinlichkeitsobergrenze sprengen.
Selbstverständlich ist es Quatsch, wegen eines natürlichen Vorgangs dem Schamgefühl zu verfallen, und es existiert auch kein rationaler Grund, einem andersgeschlechtlichen Menschen gegenüber mehr Scham zu empfinden als einem gleichgeschlechtlichen – nur kann man niemandem vorschreiben, was er fühlt. Scham entflammt bei jedem unterschiedlich, in Japan zum Beispiel sind öffentliche Damentoiletten mit kleinen Lautsprechern ausgestattet, um gewisse Körpergeräusche zu übertönen. Ich kenne Paare, die zuhause getrennte Toiletten haben, damit das Knistern in ihrer Beziehung erhalten bleibt. Und zu guter Letzt brauchen wir Frauen ja noch einen Ort, wo wir in Ruhe ablästern können.
Trennung als Synonym für Diskriminierung? Das trifft nicht zu
Die Angst vor verkleideten Triebtätern in Damentoiletten heraufzubeschwören, wie es Gegner von Unisex-Klos mit ihrer bigotten Agenda tun, ist genauso wenig fruchtbar, wie unter Vorschiebung eines früheren Zeitalters das Bild von Schwarzen, Weissen oder Juden in separaten Räumen zu zeichnen, das suggerieren soll, Trennung stehe als Synonym für Diskriminierung. Das trifft nicht zu. Man kann sich gegen Unisex-Klos aussprechen und gleichzeitig anders-fühlenden Mitmenschen Respekt entgegenbringen.
Mit der Auswechslung von Kloschildern wird Diskriminierung nicht auf magische Weise verbannt. Menschen sind ignorant, Menschen sind böse. Auferlegte Zwänge vermögen gewisse Denkweisen nicht zu beeinflussen – und eine Gesellschaft, die alle Anfeindungen abfangen und gesetzlich regeln möchte, stutzt sich selbst die Flügel. Es gibt Dinge, die ein Mensch, so schmerzlich sie sind, überwinden muss. "Werte Gesellschaft, wenn ihr liberal sein wollt, dann tut nicht so, als wäre euch der Schneemensch begegnet", sagt Katharina Kellmann. "Werte Betroffene, lebt euer Leben, wehrt euch da, wo es angemessen ist, aber macht keinen Kult daraus."
Tamara Wernli arbeitet als freischaffende News-Moderatorin und Kolumnistin bei der Basler Zeitung. Dort erschien dieser Beitrag auch zuerst. In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gender- und Gesellschaftsthemen