Tobias Kaufmann / 04.04.2007 / 11:40 / 0 / Seite ausdrucken

Staatsbesuch

Die kleine Vorsitzende hat neuerdings eine beste Freundin. Carla heißt sie, die beiden gehen in dieselbe Kindergartengruppe und haben sich gleich am ersten Tag dort gestritten. »Carla hat gesagt, ich bin eine blöde Ziege«, jammerte meine Tochter. Die Vorgeschichte rückte sie nur auf Nachfrage raus: Die kleine Vorsitzende war auf ein Stück von Carlas Kuchen gelatscht. Aber nicht mit Absicht. Natürlich nicht.

Seitdem haben Jael und die nicht minder herrische Carla ihre Seelenverwandtschaft entdeckt. Hand in Hand ziehen sie durch den Kindergarten, kommandieren Puppen herum und vergessen die Zeit. Sie komme nicht zum Frühstücken, klagt die kleine Vorsitzende manchmal, »immer muss ich mit Carla spielen.«

Ab und zu treffen sich die herrischen Damen auch nachmittags. Doch der Staatsbesuch beginnt meist angespannt. Jael und Carla waren für Mittagsschlaf zu aufgeregt und sind leicht reizbar. Carla will unten spielen. Jael oben. Jael will Kuchen, Carla nicht. Carla will malen, Jael will puzzeln, Carla will puzzeln, Jael hat keine Lust mehr auf puzzeln – es wird gestritten und gezickt und zwischendurch entlädt sich alles in einem Handgemenge auf dem Trampolin. Carla will nach Hause. Frostiger Abschied, besorgte Untertanen.

»Brauchen die beiden etwa die Kindergarten-Umgebung, um ein Herz und eine Seele sein zu können?«, fragen wir uns. So wie Schurkenstaaten sich am besten verstehen, wenn sie gemeinsam über den »großen Satan« schimpfen können?

Doch die kleine Vorsitzende denkt nicht so kompliziert. Fragt man sie nach einem solchen Besuch, wie es gelaufen ist, sagt sie: »Gut«. Erst im Vertrauen gibt sie zu, dass es nicht ganz so gut war wie erwartet. Den Grund weiß die kleine Vorsitzende schon. »Carla war heute ein bisschen knatschig«, sagt sie gönnerhaft und hebt die Hände. »Kammanixmachen«. Thema erledigt, Papa. Zum Abendessen hätte Madame heute übrigens gerne Milchreis.

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