Gastautor / 22.01.2016 / 10:00 / 2 / Seite ausdrucken

Staatlicher Zucker-Entzug als gesellschaftliche Errungenschaft

Von Thilo Spahl

Zucker ist kein Gift. Man muss auch nicht studiert haben, um einschätzen zu können, wieviel man davon essen möchte.


In der Süddeutschen Zeitung wird von Nöten jünger Mütter im täglichen Kampf gegen die Ernährungsindustrie berichtet. Speziell geht es um einen Schadstoff, den es offenbar zu vermeiden gilt: Zucker.

Exemplarisch kommt eine Frau Ludwig zu Wort: „Es gibt unheimlich viele Produkte für die Kleinen, zum Beispiel Säfte extra für Kinder, kleine Snacks, und in den meisten ist jede Menge Zucker drin.“ Wir erfahren, dass sie viel Zeit damit verbringe, Angaben auf Verpackungen zu studieren. Offenbar ist die dreißigjährige Münchnerin davon überzeugt, dass im Supermarkt viele Gefahren für ihr zweijähriges Kind lauern: „Zucker schadet den Zähnen und natürlich habe ich Angst, dass die Kinder Diabetes bekommen oder übergewichtig werden.“

Weniger Karies als vor 30 Jahren

Muss sie sich wirklich so fürchten? Ich will versuchen, sie zu beruhigen. Zunächst zur Karies. Hier stellt sich die Sache sehr einfach dar: Während im Jahr 1983 ein Zwölfjähriger in Deutschland noch durchschnittlich 6,8 kariesgeschädigte Zähne hatte, sind es heute nur noch 0,7. Wer einigermaßen regelmäßig seine Zähne putzt und nicht irgendwelche esoterischen Zahncremes ohne Fluorid verwendet, braucht sich heute wegen Karies keine großen Gedanken zu machen.

Viel schlimmer natürlich Diabetes. Da muss man kurz erklären, worum es geht. Typ 1 Diabetes, der bei Kindern auftritt, ist eine erblich bedingte Autoimmunkrankheit, bei der der Körper die eigenen insulinbildenden Zellen zerstört. Diese Art der „Zuckerkrankheit“ hat mit dem Essen von Zucker schon einmal rein gar nichts zu tun. Typ 2 Diabetes, früher auch als Altersdiabetes bezeichnet, hat eine andere Ursache: Hier bleiben die insulinbildenden Zellen intakt, der Körper reagiert aber nicht mehr so gut und setzt zu wenig Insulin frei, deshalb steigt der Blutzuckerspiegel.

Typ 2 Diabetes wird tatsächlich in einigen Regionen der Welt in den letzten Jahrzehnten auch häufiger bei Jugendlichen diagnostiziert. Als Hauptrisikofaktor gilt Fettleibigkeit und hierzu kann natürlich auch starker Zuckerkonsum beitragen. Außerdem scheinen jedoch auch genetische Faktoren eine wichtige Rolle zu spielen. Mehr als 75 Prozent der Betroffenen haben einen nahen Verwandten, der ebenfalls Diabetiker ist. Besonders gefährdet sind Afroamerikaner, Indianer und Latinos.

Bemerkenswerterweise gibt es in Deutschland trotz der Zunahme von Übergewicht und Adipositas bei Jugendlichen keinen Anstieg. Die jährliche Erkrankungsrate liegt konstant niedrig bei etwa einer von 100.000 Jugendlichen pro Jahr. Betroffen sind fast ausschließlich stark übergewichtige Mädchen mit ebenfalls erkrankten Verwandten. Typ 2 Diabetes ist definitiv keine Krankheit, die man sich einfängt, wenn Mama beim Einkaufen nicht höllisch aufpasst.

Nicht mangelnde Bildung sondern mangelnde Paranoia

Natürlich nimmt sich die Regierung gern der schutzbedürftigen Mütter und Kinder an. Ein Werbeverbot von Süßigkeiten und Softdrinks in Kindergärten und Schulen sei beschlossene Sache, sagt Elvira Drobinski-Weiß, ernährungspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Echte Sorgen muss man sich allerdings natürlich nicht um die Familie der wacker um persönliche Übererfüllung der WHO-Vorgaben für gesunde Ernährung kämpfenden Frau Ludwig machen, sondern jene einfachen, nicht zur bewussten Ernährung qualifizierten Menschen. Insbesondere Kinder aus bildungs- und einkommensschwachen Familien seien von Fehlernährung und Übergewicht betroffen.

Ohne Studium ist man aus Sicht der Bundesregierung der Ernährungsindustrie mit ihrem „drei Milliarden Euro Marketingbudget“ hilflos ausgeliefert. Deshalb reicht die Verbraucheraufklärung nicht, es müsse zudem im Rahmen der nationalen Strategie zur Reduktion von Zucker, Salz und Fetten in verarbeiteten Lebensmitteln daran gearbeitet werden, dass die Industrie den Zuckeranteil in ihren Produkten senke. Muss das wirklich sein? Vielleicht haben wir es bei den Menschen, die unbeschwert Essen kaufen und essen, was ihnen schmeckt, nicht mit mangelnder Bildung, sondern mit mangelnder Paranoia zu tun.

Frau Ludwig verliert im Kampf gegen die Süßwarenindustrie die Kraft. Sie muss vor der Übermacht kapitulieren, deshalb hofft sie auf Hilfe. „Tatsächlich fehlt einem aber oft die Kraft, im Supermarkt ständig auch noch das Essen auf den Zuckeranteil zu prüfen.” So hört sich Gejammer von Leuten an, die staatliche Bemutterung als höchste gesellschaftliche Errungenschaft betrachten. Dabei würde ein kleiner Tipp von mir auch genügen, um exzessiven Zuckerkonsum zu vermeiden: Liebe Frau Ludwig, den meisten Produkten, die viel Zucker enthalten, sieht man es an. Es handelt sich um Süßigkeiten und Süßgetränke.

PS: Habe ich gesagt, dass es kein Problem ist, jeden Tag fünf Liter Limo zu trinken? Nein, habe ich nicht.

Thilo Spahl ist Ressortleiter Wissenschaft bei NovoArgumente wo dieser Beitrag zuvor erschien.

 

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Leserpost

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Max Wilmer / 22.01.2016

Zucker ist aber schon überall zuviel drin-selbst in Wurst!Ich bezweifel das früer Zucker in der Wurst war,und manches Toastbrot ist schon fast so süss wie süsser Stuten.Was soll das?

Gisela Tiedt / 22.01.2016

Schwieriges Thema. Einerseits haben Sie echt, Herr Spahl, dass jeder Normalmensch wissen kann, wo viel Zucker drin ist und wo nicht. Aber ganz so einfach ist es nicht. Schon der Begriff “zuckerfrei” auf Kaugummis, Hustenbonbons usw. lässt viele Menschen irrtümlich glauben, dies sei gleichbedeutend mit kalorienfrei. Zum andern ist längst das Wissen um das Normalmaß verloren gegangen. Wurde vor zwei Generationen eine Tafel Schokolade locker unter einer sechsköpfigen Familie aufgeteilt, so landet die doppelte Menge heute dank Nutella bereits auf dem Frühstücksbrot eines Kindes. Die Verführung zum häufigen Naschen ist enorm, auch die Verführung, sich mal schnell eine Kalorienbombe als kleine Zwischenmahlzeit bei McDonald oder sonstwo reinzuhauen. Der Weg in die Fettsucht eine vielbefahrene Einbahnstraße. Starkes Übergewicht in der Kindheit bleibt meist eine lebenslange Hypothek. Das zwanghafte Durchlesen jeder Produktinformation wird nicht viel bringen. Ob und wie Produktwerbung, die Kinder anspricht, die einerseits schon recht eigenständig sind (was sinnvoll und erwünscht ist), andrerseits noch nicht reif genug, um für die eigene gesundheitliche Zukunft Verantwortung zu übernehmen, begegnet werden kann sollte zumindest diskutiert und geprüft werden. Dies schreibe ich als Ärztin, die die Entwicklung der Fettsucht seit Jahrzehnten sieht - lassen wir den Altersdiabetes ruhig außen vor -, und obwohl ich gegen Regulierungswut allergisch bin.

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