Rainer Bonhorst / 28.02.2016 / 13:00 / 6 / Seite ausdrucken

Sprachforschung und Flüchtlinge: Wenn das “ling” klein macht

Die Hamburger Sprachforscherin Elisabeth Wehling hat ein Problem mit den Flüchtlingen. Nicht im Sinne der Pegida sondern rein sprachlich. Sie findet Flüchtlinge nicht gut. Besser wäre, wir würden sie Flüchtende nennen. Ich kann mir, so notwendig es wäre, die Frage nicht verkneifen, ob sie auch ein Problem mit ihrem Namen hat. Wäre Wehende nicht besser als Wehling? Aber lassen wir das.

Was hat die Forscherin, die in einem Buch über „Politisches Framing“ ihre Forschungsergebnisse veröffentlicht hat, gegen die Flüchtlinge? In einem Zeit-Interview gibt sie Auskunft: Der Flüchtling werde durch die Endung „ling“ klein gemacht; das suggeriere Minderwertiges, wie der Schönling oder der Schreiberling. Negativ besetzt also. Die Forscherin bemängelt gleichzeitig aber auch, dass der Flüchtling männlich ist, was wiederum suggeriere, dass er stark und aggressiv sei.

Klein und minderwertig, stark und aggressiv: Ein Widerspruch, der sich nur schwer auflösen lässt. Mir fällt da eigentlich nur der Giftzwerg ein. Diesen Begriff wollen wir den Flüchtlingen aber sicher nicht aufhalsen. Aber sind Flüchtende wirklich eine überzeugende Alternative? Sind sie wirklich besser? Ein Flüchtling ist immerhin einer, der in höchster Not aus einem Kriegsgebiet abgehauen ist. Ein Flüchtender kann auch ein Bankräuber auf der Flucht vor der Polizei sein.

Nun gut. In einem Punkt hat Elisabeth Wehling wohl recht: Sprache manipuliert unser Denken. Oder auch umgekehrt: Sie ist Ausdruck unseres Denkens. Was ist Henne, was ist Ei? Und was tun? Der Versuch, die Sprache durch eine Gegenmanipulation zu entmanipulieren, führt immer wieder in alberne Sackgassen.

Neu ist das ja nicht. Schon vor Jahrzehnten wurden die Lehrlinge entlingt und zu Auszubildenden gemacht und endeten als lächerliche Azubis. Damals ging es noch nicht – wie meist heute - um Genderei sondern nur darum, den Neulingen (Verzeihung: den Neuen oder Neuenden), das vermeintlich abwertende „ling“ zu ersparen.

Ich hänge irgendwie an den „lingen“, wahrscheinlich weil ich ein Schreiberling bin. Aber was wäre ein Feigling ohne sein ling! Weniger als eine Feige. Oder sollte man ihn einen Feigenden nennen? Oder der Frühling. Ohne sein ling wäre er einfach zu kurz, und das nach einem langen Winter. Und würde man einen Findling überhaupt finden, wenn er nur ein Find wäre? Einen Findenden kann man ihn jedenfalls nicht nennen, denn der Findende ist ja derjenige, der den Findling findet. Ob er dann einen Finderlohn oder einen Findendenlohn bekommt, lassen wir mal offen.

Das Problem mit dem ling ist, dass es in so unterschiedlicher Gesellschaft auftaucht. Es hat keinerlei Berührungsängste. Es begegnet uns als Liebling und als Schwächling, als Schützling und als Häftling, als Schädling und als Täufling, ja sogar als Säugling. Und handelt es sich bei dem Säugling um einen Zwilling, so kommt noch einer hinzu.

Bringt ein Flüchtling einen Säugling mit, stellt sich die Frage: Ist der flüchtende Säugling klein und schwach oder männlich und aggressiv? Und können wir ihn umtaufen? Zu einem Säugenden können wir den kleinen Flüchtenden nicht machen. Allenfalls zu einem Nuckelnden. Aber ob das was bringt?

 
 

 

 

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Ulrich Weinfurtner / 29.02.2016

Daß Frau Wehling unter wissenschaftlichen Aspekten recht wenig von der deutschen Sprache begriffen hat, zeigt sich in der Verwendung einer semantisch unzutreffenden Partizipialform: des Partizips Präsens Aktiv. Ein »Flüchtender« befindet sich noch auf den Flucht in den vermeintlich sicheren Hafen, ist also mithin noch unterwegs. An seinem Ziel eingetroffen, käme allenfalls die Bezeichnung »Geflüchteter« in Frage. Der Forschenden, Frau Wehling, sei zur Verwendung von Partizipialformen im Deutschen der Blick in eine Grammatik empfohlen.

Frank Emser / 29.02.2016

An und für sich ein netter Artikel, mit dem Herr Bonhorst die Bemühungen der Sprachforscherin Elisabeth Wehling persifliert. Allerdings: Der werte Herr ist bedauerlicherweise ein bisschen zu leichtfüssig unterwegs und somit der Dame prompt auf den Leim gegangen. Bevor ich darauf aber näher eingehe, gestatten Sie mir eine Frage: Welchen Grund kann es haben, einen Artikel auf ein bestimmtes Interview anzusetzen und im weiteren Verlauf dessen Inhalte aufzugreifen bzw. auseinanderzunehmen, ohne aber die konkrete Quelle des Interviews bzw. im Hypertext-Zeitalter: einen Link auf das Interview zu liefern? Das vom Autor erwähnte Zeit-Interview konnte ich jedenfalls allein mit diesen Angaben (=> “Zeit”) nicht ausfindig machen, aber stattdessen stieß ich in der SZ auf ein Interview mit derselben Autorin übder dieselbe Thematik. http://www.sueddeutsche.de/kultur/sprache-in-der-fluechtlingsdebatte-das-wort-fluechtling-richtet-schaden-an-1.2864820 Dort jedoch findet das, was der Autor leichthin als “Sie findet Flüchtlinge nicht gut. Besser wäre, wir würden sie Flüchtende nennen.” wiedergibt, ursprünglich in der folgenden Formulierung seinen Niederschlag : “Streichen Sie das Wort Flüchtling aus Ihrem Vokabular! Sie richten damit Schaden an. Besser ist es, von Flüchtenden oder Geflüchteten zu sprechen. “ Flüchtende oder Geflüchtete: Die Frau ist Sprachforscherin! Ihr ausgewiesener Schwerpunkt ist zu erklären, wie Sprache -und damit auch die Wahl der verwendeten Begriffe- unser Denken beeinflusst. Ihr kann ganz unmöglich entgangen sein, dass zwischen diesen beiden Worten ein ganz gravierender semantischer Unterschied besteht, welcher seinerseits völlig unterschiedliche Denkprozesse impliziert: Flüchtende Flüchtlinge befinden sich nach wie vor auf der Flucht - zum Beispiel, weil sie in ihr Heimatland zurückzukehren gedenken, wenn es dort wieder besser ist. Geflüchtete Flüchtlinge haben ihre Flucht beendet. Der Fluchtprozess ist abgeschlossen. Sie sind angekommen, um zu bleiben. In dem betreffenden Interview stellt sie eingangs zwar beide Varianten als Alternativen für “Flüchtlinge” zur Wahl, spricht dann aber im Übrigen wie selbstverständlich nur noch von “Geflüchteten”. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Der interessierte Leser mag sich gerne auf eigene Faust schlau darüber machen, welcher von beiden Termini auf alternativen Webseiten wohl in den Sprachgebrauch übergegangen ist. Und auch hier: Ein Schelm… So stellt sich letztlich (k)eine Frage: Haben wir nun eine “Flüchtendenkrise” oder eine “Geflüchtetenkrise”? Bevor ich darauf aber näher eingehe, gestatten Sie mir eine Frage: Welchen Grund kann es haben, einen Artikel auf ein bestimmtes Interview anzusetzen und im weiteren Verlauf dessen Inhalte aufzugreifen bzw. auseinanderzunehmen, ohne aber die konkrete Quelle des Interviews bzw. im Hypertext-Zeitalter: einen Link auf das Interview zu liefern? Das vom Autor erwähnte Zeit-Interview konnte ich jedenfalls allein mit diesen Angaben (=> “Zeit”) nicht ausfindig machen, aber stattdessen stieß ich in der SZ auf ein Interview mit derselben Autorin übder dieselbe Thematik.

Max Wedell / 28.02.2016

Machen wir einmal ein Gedankenexperiment… wieviele “Fliehende” aus Nahost würden nach Deutschland “fliehen” wollen, wenn hier der allgemeine Lebensstandard dem Marokkos, Algeriens o.ä. entsprechen würde… mit den dort üblichen minimalen Sozialleistungen? Daß so viele “Fliehende” ausgerechnet nach Deutschland “fliehen” wollen, und nicht nach Marokko und Algerien (außer um von dort über Spanien nach D weiterzukommen), muß also auch einen Grund haben, der in Deutschland zu suchen ist. Die Wörter “Fliehende” oder “Flüchtlinge” erlauben das Verdrängen dieses Umstands, da sie sich nur auf Verhältnisse anderswo beziehen, vor denen geflohen wird. Um wichtige Motivationen für den Wunsch, ausgerechnet nach Deutschland zu “fliehen”, nicht weiter unter den Tisch fallen zu lassen, sollte daher weder das Wort “Flüchtling” noch “Fliehender” verwendet werden… ich schlage als Ersatz vor: “Wohlstandssuchender”. Dies hat u.a. auch den Vorteil, daß die Form “Suchling” nicht üblich ist, hier also ein “Kleinmachen” ausgeschlossen ist.

Michael Helmrath / 28.02.2016

Ich werde mir die neue Sprachregelung zu Herzen nehmen und meine Frau nicht mehr “Liebling” nennen, sondern “zu Liebende” (“Zuli”). Kompliziert wird es indes, wenn ein im Frühling geborener Zwilling im Säuglings-Alter zunächst als Täufling und später, zum Jüngling herangereift, als Firmling in Erscheinung tritt. Hier müssen unsere Neusprech-Vordenker wohl noch kreativ werden. Ich gebe darauf jedenfalls keinen Pfifferling.

Ulrich Weinfurtner / 28.02.2016

Daß Frau Wehling unter wissenschaftlichen Aspekten recht wenig von der deutschen Sprache begriffen hat, zeigt sich in der Verwendung einer semantisch unzutreffenden Partizipialform: des Partizips Präsens Aktiv. Ein »Flüchtender« befindet sich noch auf den Flucht in den vermeintlich sicheren Hafen, ist also mithin noch unterwegs. An seinem Ziel eingetroffen, käme allenfalls die Bezeichnung »Geflüchteter« in Frage. Der Forschenden, Frau Wehling, sei zur Verwendung von Partizipialformen im Deutschen der Blick in eine Grammatik empfohlen.

Wolfgang Richter / 28.02.2016

Da das “Ling”  k l e i n macht, wie Sprachforscherin glaubt durch ihre rot-grün verfärbte Brille erkannt zu haben, ist der fragliche Personenkreis ja zwischenzeitlich regierungssprachlich zum Schutzsuchenden umbenannt worden, was ihn jetzt zu jedermanns LiebLING machen soll.

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