Wolfgang Röhl / 06.07.2015 / 15:15 / 4 / Seite ausdrucken

Spirit of bullshit

Wer in irgendein Buch der Rekorde eingehen möchte, hat viele Optionen. Er kann versuchen, den „Weltrekord für die größte Mundöffnung“ zu knacken (hält derzeit ein Bernd Schmidt) oder führend in der Disziplin werden, Automarken am Klang zuschlagender Fahrzeugtüren zu erkennen (wurde mal in „Wetten dass…“ praktiziert). Noch vakant: der Titel, als erster einbeiniger Sehbehinderter mit Höhenangst die Eigernordwand durchstiegen zu haben. Die meiste mediale Aufmerksamkeit ist aber demjenigen gewiss, der nicht bloß was Spitzendoofes anstellt, sondern dabei auch noch die Welt rettet. Wie die Schweizer André Borschberg und Bertrand Piccard, die mit ihrem durch 17.000 Solarzellen angetriebenen Männerspielzeug „Solar Impulse 2“ derzeit die Welt umrunden.

Die tollkühnen Eidgenossen wechseln sich am Steuer des 72 Meter breiten Carbonfaservogels ab. Denn der 2,3 Tonnen schwere, 90 km/h schnelle Ökoflieger verträgt außer einem einzigen Piloten an Bord so gut wie keine Zuladung.

Nachdem Boschberg in China wochenlang auf günstiges Wetter gewartet hatte, brachte er die fliegende Solarkiste via Japan schließlich in Hawaii stolz wie Bolle zur Landung. Da jubelte nicht nur das 30-köpfige Kontrollzentrum in Monaco, von wo aus das etliche Millionen teure Projekt gesteuert wird (Sponsor u.a.: die Luxusmarkengruppe Moet/Hennessy). Es jubelte auch die Pressemeute, als ihr Borschberg den kühnen Satz ins Notizbüchlein diktierte: „Niemand kann jetzt mehr sagen, dass Erneuerbare Energien nicht das Unmögliche vollbringen können.“

Alle Medien berichteten selig, von der dpa bis zu „Spiegel online“, von der „Zeit“ bis zur „Süddeutschen“. Und die Jungs und Deerns von der „taz“ machten sich fast die Büxen nass ob des Projekts. Welches für sie „kein Flugzeug“, sondern „ein Statement“ ist. In dem die Genossen gar das Zeichen für „eine epochale Wende der Menschheit“ zu erkennen wähnten.

Natürlich schielt die Aktion der Schweizer Luftikusse auf Charles Lindbergh, dem 1927 die erste nonstop und allein unternommene Atlantiküberquerung gelang. Lindbergh war ein Luftfahrtpionier in dem Sinne, dass sein Flug im einmotorigen Hochdecker Ryan NYP, getauft auf den Namen „Spirit of St. Louis“, tatsächlich bahnbrechend war. Gut zehn Jahre danach flogen auch Passagiermaschinen über den Atlantik.

Die Schönwetterpiloten in ihrer gesponserten Hobbymühle dagegen bewegen gar nichts, abgesehen von den eigenen Ärschen. Stromerzeugung mittels der erratischen Solartechnik ist schon am Boden weitgehend sinnlos, weil immer konventionelle Kraftwerke im Hintergrund mitlaufen oder bereit gehalten werden müssen. Für richtige Flugzeuge wäre ein Antrieb per Solarkraft ungefähr so effektiv wie ein Eis am Stiel zur Kühlung einer Fischfabrik. Es sei denn, man gäbe jedem Solarliner ein konventionelles Flugzeug mit auf den Weg, das den Sonnenvogel bei Bedarf auf den Haken nimmt.

Und auch für das Nichts-ist-unmöglich-Getröte der Solarlobby eignet sich das Solarmobil schlecht. Dermaßen dämlich, einen teuren Spleen von zwei aufmerksamkeitssüchtigen Geschaftlhubern mit dem Durchbruch der Solarenergie zum Global Player zu verwechseln, sind die meisten Menschen denn doch nicht. Wie die Reaktionen vieler Leser zeigten, die sich über den grotesken Medienhype des jämmerlichen Aeroplans ärgerten. Einer brachte die Kosten-Nutzen-Rechnung auf den Punkt: „Sorry, das Ding kostet schlicht Millionen und kann nichts.“ Ganz ähnlich der Solarenergie als solcher.

Demnächst fliegt die Solar Impulse 2 weiter in Richtung Festland-Amerika. The spirit of bullshit never dies.

 

 



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Leserpost

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Peter Duchamp / 09.07.2015

Sehr geehrter Herr Kessler, auch Ihnen scheint wie vielen Journalisten die naturwissenschaftlichen Grundlagen nicht klar zu sein. Herr Röhl hat völlig recht. Visionen zu technischen Entwicklungen zu haben ist gut und schön, nur sollten sich diese im Rahmen der Physik bewegen, sonst wird es albern und man wird perpetuum mobile Erfinder, von denen es zwar viele gibt, aber bekanntermaßen kein einziges funktionierendes Modell. Wie auch. Die Physik, bzw. die Natur setzt nun mal auch bei Photovoltaik ihre Grenzen: Die einstrahlende Sonnenenergie kann man unter optimalen Bedingungen in der Größenordnung von 1000 W/m² ansetzen, die Energiedichte von Akkus ist mit der Verwendung von Lithium schon nahe am Anschlag des überhaupt möglichen (siehe elektrochemische Spannungsreihe), Die Faustformel, dass ein motorgetriebenes Flugzeug ca. 0,4 kWh pro km und Tonne Gewicht braucht, ist aufgrund der Eigenschaften der Luft und Aerodynamik auch weiterhin grob gültig. Man müsste an den genannten Parametern um Größenordnungen drehen, um damit überhaupt ernsthaft in die Nähe der Leistungsfähigkeit eines “normalen” Flugzeuges zu gelangen. Das geht mit PV nicht. Nicht, weil man nicht will, zu wenig investiert, sondern weil es so prinzipiell unmöglich ist. Siehe oben. Wenn man alle ingenieurstechnischen Möglichkeiten und Werkstoffe ohne Rücksicht auf Kosten ausreizt, kommt ca. dieses Solarflugzeug raus: Lächerliche Tragkraft, nur schönwettertauglich. Man möge Solartechnik dort anwenden, wo sie sinnvoll ist, z.B. im Weltraum (wo weder Wind, Schwerkraft noch Staub großflächige Ausbringung verhindern), Parkscheinautomaten oder Almhütten.

Danny Wilde / 08.07.2015

Sehr geehrter Herr Kessler, habe zwar die Intention Ihrer Wortmeldung nicht verstanden, möchte aber zur Solartechnik in der Raumfahrt eine Anmerkung loswerden. In einer Umgebung mit konstanter Sonneneinstrahlung, null Witterung = null Wolken, verhältnismäßig übergroßen Solarpanels und im Vergleich mit manchen Stromverbrauchern auf der Erde eher geringem Energiebedarf geht das Konzept auf: hier genügen dann auch kleinere Akkukapazitäten, um den 45-min.-Durchlauf der ISS über die Nachtseite der Erde stromtechnisch zu überstehen; und “tagsüber” reicht die 45-min.-Sonneneinstrahlung über die Giganto-Panels dann sogar zur Akkuladung. Wie man an der teuren Rosetta-Mission aber sehen kann, ergibt solare bzw. photovoltaische Energiegewinnung nicht immer einen Vorteil - aus rein ideologischen und politischen Gründen wurde gegen jede weltraumtechnische Expertise auf den eigentlich geplanten Mini-Kernreaktor verzichtet (damit hätte “Philae” bis jetzt pausenlos senden können, UND ggf. sogar herumfahren können), und Rosetta wäre nicht monatelang “eingeschlafen”. Vom Steuerzahler bereitgestellte Forschungsgelder wären sinnvoller genutzt gewesen und das Husarenstück, nach einem Millionen-Kilometer-Flug auf einem Mini-Kometen zu landen, hätte ein Zigfaches an Forschungsergebnissen erbringen können. Teure, vertane Chancen! Röhls Artikel hingegen beleuchtet mit seinem Resumée “Spirit of Bullshit” auch für einen Technik- und Luftfahrtbegeisterten den Kern des Problems ernüchternd witzig.

Wolfgang Kessler / 07.07.2015

Lieber Herr Röhl, auch die Internationale Raumstation wird ausschließlich mit Strom aus Solarzellen versorgt. Aber gut, dass sie so weit oben über der Erde fliegt. Denn dann kann keiner von den Stadtwerken kommen, um den Stromzähler abzulesen und anschließend die astronomisch (!) hohe Rechnung zu schreiben.

Werner Geiselhart / 07.07.2015

Diese ganze Show beweist für mich eher, dass die Solartechnik nicht im geringsten dazu geeignet ist, aktuelle konventionelle Technik zu ersetzen. Es ist ja nicht so, dass diese Technik in den Anfängen stecken würde. Im Gegenteil, auf keinem anderen Gebiet wird seit Jahren und mit enormen Subventionen soviel geforscht. Trotzdem ist sie nicht in der Lage, eine auch nur in Ansätzen alltagstaugliche Technik zur Verfügung zu stellen. Da wird dann ein Flugzeug von der Größe eines Jumbojets gefertigt, das nur bei Rückenwind fliegen kann und wenns wolkenlos ist. Und dann vermag es immerhin einen Menschen zu tragen, der wahrscheinlich Astronautennahrung dabei hat, alles andere wäre zu schwer. Das Schlimme ist, wir ersetzen derzeit im Energiebereich im übertragenen Sinn Jumbo-Jets durch Solarflugzeuge. Jahrzehntelang bewährte, sichere, stabile Technik wird durch Anlagen ersetzt, die nur liefern, wenn es ihnen in den Kram passt. An installierter Leistung übertrifft Solar die Kernkraft um das dreifache, effektiv liefert die Kernkraft aber das dreifache an Energie, sie ist also um das neunfache zuverlässiger, bei Windkraft ist der Faktor 5,5 zugunsten der Kernkraft. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis wir auch unsere Wirtschaft auf Solar/Wind-Niveau heruntergebremst haben, aber für den Fall haben wir ja einen europäischen Rettungsfond.

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