Von Thilo Schneider.
Neulich stand ich mit dem Auto vor einer roten Ampel. Nichts Spektakuläres. Ich habe das mal so gelernt, in der Fahrschule. Dass man vor einer roten Ampel stehen bleibt. Erst recht, wenn die rote Ampel rot ist. Als es grün wurde, fuhr ich brav an, als mich ein Polizeiwagen überholte, vor mir einscherte und sein „BITTE FOLGEN"-Transparent mir klar machte, dass die Exekutive offensichtlich Gesprächsbedarf anmeldete.
Wir fuhren also ordentlich an den Straßenrand, ich stellte den Motor ab und versuchte, möglichst schuldbewusst auszusehen, weil sich das so gegenüber der Polizei gehört. Und ich war, zugegeben, auch etwas neugierig, was ich ausgefressen hatte. Die beiden Polizisten stiegen aus ihrem von mir finanzierten BMW und kamen auf mich zu. Einer hinter dem anderen, zur Sicherung. Ich könnte ja einer dieser aggressiven deutschen Rentner sein. Gediegen ließ ich das Fahrerfenster nach unten fahren und wünschte unterwürfig einen Guten Tag.
„Guten Tag, Sie wissen, warum wir Sie angehalten haben?", fragte mich der Beamte nicht unfreundlich. „N-N-Nein", stammelte ich, „aber Sie sagen es mir bestimmt gleich!". „Sie haben vor einer roten Ampel angehalten. Das macht 80 Euro", sagte die Staatsgewalt und zückte einen Stift und einen Block. Ich war verblüfft: „Ist das seit Neuestem falsch?" „Nein, im Gegenteil, das war vollkommen korrekt", lächelte der Uniformierte. „Deswegen kriegen Sie jetzt von uns 80 Euro, damit Sie so weiter machen!"
Ich traute meinen Ohren nicht: „Habe ich das richtig verstanden? Sie geben mir jetzt 80 Tacken für das Halten vor einer roten Ampel?" Der Polizist lachte. „Nein, Sie kriegen einen Scheck! Haben Sie etwas getrunken oder Drogen genommen?" Oha, Fangfrage! „Nein, habe ich selbstverständlich nicht!", antwortete ich entrüstet. „Das ist gut. Dann bekommen Sie noch einmal 200 Euro obendrauf. Fahrzeugpapiere und Führerschein dabei?" „Ja, und Warndreieck, Warnweste, Handschuhe und Verbandskasten (noch nicht abgelaufen) auch", antwortete ich stolz.
Der Beamte nickte zustimmend und sah zu seinem Kollegen, der mittlerweile am Heck meines Fahrzeugs stand. „TÜV ist noch acht Monate gültig" rief der meinem Gegenüber zu. Dieser sah mich ungläubig an: „Sie halten sich wirklich an Gesetze, kann das sein?" Ich nickte. „Natürlich, geht doch nur so", antwortete ich. Der Beamte seufzte. „Heute ist echt Ihr Glückstag. Sie kriegen jetzt 620 Euro von uns, damit Sie so weitermachen!"
„Achtung, der hat eine gelbe Umweltplakette"
„Wie geil!", freute ich mich. „Das nenne ich ja mal Bürgernähe. Aber bitte, erklären Sie mir, warum das so ist. Ich habe das noch nie gehört!" „Ganz einfach", antwortete die Staatsgewalt. „Wir haben schlicht nicht mehr die Ressourcen, jedem Fehlverhalten nachzugehen. Das kommt alles viel zu teuer. Alleine die Wartung von Ampel- und Blitzlichtanlagen verschlingt einen Haufen Geld. Von den Gehältern und Pensionen der Beamten, die das bearbeiten müssen, mal ganz zu schweigen! Deswegen hat sich die Bundesregierung entschlossen, Fehlverhalten nicht mehr zu bestrafen, sondern Wohlverhalten zu belohnen. Das ist viel günstiger!"
„Ja, aber ist das dann nicht Staatsversagen?", fragte ich. Auf der Stirne des Beamten bildeten sich Zornesfalten. „Nun werden Sie mal nicht frech! Der Staat versagt nie, er denkt lediglich um und definiert sich neu. Wollen Sie das Geld jetzt oder nicht?" „Ich nehme es", sagte ich generös und gerade, als mir der Polizist den Scheck durchs Fenster reichen wollte, brüllte sein Kollege, der inzwischen auf der Beifahrerseite stand, „Achtung, der hat eine gelbe Umweltplakette!"
Im Nu kippte die Stimmung. Der Kollege zog seine Schusswaffe, mein bisher so freundlicher Gesprächspartner riss die Türe auf, beugte sich blitzschnell über mich und löste den Gurt, rammte mir dabei den rechten Ellbogen in den Magen, dann riss er mich an Gürtel und Kragen aus dem Auto und schleuderte mich auf die Fahrbahn. Bevor ich wusste, wie mir geschah, wurden mir die Arme brutal auf den Rücken gedreht und ich spürte die Handschellen klicken! Ich hörte die Rufe „Umweltsau", „Klimavernichter" und „Drecks-Luftverpester", und ich bekam einen herzhaften Tritt in die Nieren. Während mir die Luft wegblieb und mir Tränen des Schmerzes und des Schrecks kamen, packten mich vier kräftige Arme links und rechts und schleiften mich zum Polizeiwagen. Der Kollege öffnete die hintere Tür, sie drückten mir den Kopf nach unten und schoben mich in den Fond.
Und so kam ich dann doch noch berechtigterweise ins Gefängnis. Irgendwo hört dann der Spaß auch für den Staat auf.
Die Auflösung dieses Rätsels finden Sie hier.
Thilo Schneider, Jahrgang 1966, freier Autor und Kabarettist im Nebenberuf, FDP-Mitglied seit 2012, Gewinner diverser Poetry-Slams, lebt, liebt und leidet in Aschaffenburg.