Drei Wochen vor der Bundestagswahl liegt eine Stimmung introvertierten Behagens über dem Land – Flüchtlingskrise hin, islamistischer Terror her. Die Überschüsse in den öffentlichen Haushalten steigen immer weiter, Inflation ist nicht in Sicht, die Realeinkommen nehmen zu. Regionale Arbeitsmärkte sind leergefegt. Selbst im strukturschwachen Nordosten Deutschlands findet man kaum noch Fachkräfte und freut sich über die polnischen Einpendler.
Nur die Flüchtlinge und illegalen Einwanderer, die seit 2015 nach Deutschland kamen, finden weiterhin keine Beschäftigung. Bürgermeister und Arbeitsamtsleiter erzählen im persönlichen Gespräch, dass allenfalls ein Prozent von ihnen Arbeit am ersten Arbeitsmarkt findet. Aber sie werden sich schon nicht langweilen. Der Familiennachzug in großem Stil hat eingesetzt.
Viele der jungen Männer, die allein kamen, werden schnell Familien gründen. Dazu braucht man in Deutschland keinen Arbeitsplatz. Kindergeld und Grundsicherung reichen aus, um den Einwanderern ein nach den Maßstäben ihrer Heimat mehr als auskömmliches Einkommen zu sichern. In zehn Jahren wird man dann feststellen, dass die seit 2015 Zugewanderten, ihre nachgereisten Familien und ihre Nachfahren bereits 4 bis 6 Millionen ausmachen und große Teile der Kindergärten und Schulklassen füllen. Auch dann noch werden sie mit ihren Familien überwiegend von Sozialtransfers leben. Die Schuld daran werden Psychologen, Journalisten und Sozialpolitiker nicht den Einwanderern, sondern den Mängeln der aufnehmenden Gesellschaft, also den Deutschen, geben.
Dann, wenn es zu spät ist, werden jene bitteren Debatten geführt werden, die eigentlich heute fällig sind, aber von Union, SPD, Grünen und Linken verweigert werden und auch in den Medien kaum stattfinden. Der AfD hat geschadet, dass ihr Beitrag zur Einwanderungsdebatte immer wieder von nationalkonservativen Dissonanzen überlagert wurde. So fiel es den Medien und den etablierten Parteien leicht, sie in eine Schmuddelecke zu stellen. Das Wahlergebnis wird zeigen, welchen Eindruck das auf die Bürger gemacht hat.
Merkel, dezent geschminkt
Auf den Wahlplakaten der CDU wirbt eine freundliche lächelnde, dezent geschminkte Angela Merkel mit dem Slogan Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben. Martin Schulz kontert mit Die Zukunft braucht neue Ideen. Und einen, der sie durchsetzt. Er will mehr Geld für Bildung und Investitionen ausgeben, Gleichheit und Gerechtigkeit fördern und heimliche Steuererhöhungen weitgehend einbehalten. Die Grünen geben sich handlungsstark: Integration muss man umsetzen. Nicht aussitzen.
So geht unter, dass Integration vor allem eine Bringschuld der Einwanderer ist. Die AfD wirbt mit Burkas? Wir steh´n auf Bikinis und zeigt dazu drei Badenixen am Strand. Das rügte der Werbeexperte der Westdeutschen Zeitung als „unterschwellig rassistisch“. Die Botschaft dahinter: Werbung mit der Angst vor dem Klimawandel ist politisch korrekt, Werbung mit der Angst vor dem Islam oder äußerer Bedrohung ist es nicht.
Deutschland macht Wahlkampf in der Gartenlaube und hält die böse Welt - ausgenommen Umweltsünder und Gegner der Ehe für alle – fein außen vor. Wie unfassbar robust war im Vergleich dazu das Wahlplakat der CDU aus dem Jahr 1953: Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau! Darum CDU.
Worüber nicht geredet wird
Nach dem Willen der etablierten Parteien soll über Themen wie Einwanderung, Islam, Kriminalität und Terrorismus – also alle Themen von elementarer Bedeutung, bei denen Entscheidungen überfällig sind - möglichst gar nicht diskutiert werden. An die Stelle der Grenzen, die man angeblich sowieso nicht schützen kann, tritt die Propaganda für ein eigentümlich eingehegtes Denken. Klimawandel, Genderfragen und Gerechtigkeitslücken sind als Wahlkampfthemen akzeptiert. Alles das, was Deutschland und Europa langfristig wirklich gefährdet, soll als Thema dagegen moralisch illegitim sein.
Aber auch wichtige Themen zweiter Ordnung werden im Wahlkampf kaum diskutiert: Dazu gehört die Frage nach den Ursachen der großen und erfreulichen Haushaltsüberschüsse. Das sind einmal die heimlichen Steuererhöhungen, zum anderen die Zinsersparnisse des Staates durch die Nullzinspolitik der EZB. In beiden Fällen zahlt der Bürger, im einen Fall durch Steuern, im anderen Fall durch Zinsverluste auf seine Erspartes.
Die Folgen von demographischer Alterung und falscher Einwanderung für die künftigen Rentnergenerationen und die Staatsfinanzen sind auf die lange Bank geschoben. Die manifesten und latenten Risiken der Eurozone für die deutschen Staatsfinanzen tauchen nirgendwo auf. Ebenso bleibt die künftige politische Gestalt Europa im Nebel.
Schulz, an der Sache vorbei
Immerhin sprach Martin Schulz ein Thema an, das wichtig ist: die Mängel im deutschen Bildungswesen. Im internationalen Vergleich war Deutschland mal besser. Ostasiatische Länder marschieren weit voran, und die Leistungen der Migranten aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten sind besonders schlecht. Bildungspolitik ist in Deutschland allerdings Ländersache, keine Zuständigkeit des Bundes.
Unter den Ländern gibt es große Unterschiede. Dabei fällt auf, dass Länder umso schlechter abschneiden, je länger sie sozialdemokratische Kultusminister hatten. Außerdem zeigt sich, dass die Unterschiede in der Bildungsleistung nicht durch Unterschiede in den Bildungsausgaben erklärt werden können. Martin Schulz fordert mehr Ausgaben für Bildung und eine Konzentration von Zuständigkeiten beim Bund. Das ist schon deshalb peinlich, weil er offenbar die Fakten nicht kennt.
Bildungsleistung hat mit der Größe der politischen Einheit nämlich gar nichts zu tun, sonst könnte der Stadtstaat Singapur nicht weltweit an der Spitze stehen. Auch mit den Ausgaben pro Schüler hat Bildungsleistung innerhalb weiter Grenzen nichts zu tun. Wollte Martin Schulz zur Debatte inhaltlich etwas beitragen, dann müsste er für Deutschland erklären, weshalb sozialdemokratisch regierte Länder so besonders schlecht abschneiden. Diese Debatte könnte die SPD und die Bildung weiterbringen. Genau das will er aber nicht.
Auch da, wo Martin Schulz inhaltlich wird, verkündet er Wohlfühlformeln, die an der Sache vorbei gehen. Sanierung von Schultoiletten macht Kinder nicht klüger und kann auch keine Zuständigkeit des Bundes sein. Martin Schulz zeigt mit seinem Vorschlag, dass er weder die Bildungspolitik noch das Gefüge des Staatsaufbaus geistig ausreichend durchdrungen hat. Schon aus diesem Grund muss man seine absehbare Wahlniederlage als verdient ansehen.
Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche