Thomas Rietzschel / 26.06.2014 / 14:13 / 10 / Seite ausdrucken

Söldner in Uniform

Dieser Tage in Mainz am Rhein: Schon am frühen Mittag staut sich der Verkehr in der Innenstadt. Verstopfte Kreuzungen, gesperrte Durchfahrtsstraßen, Verbotsschilder, wo der freie Bürger sonst freie Fahrt hat. Auch zu Fuß stoßen wir schnell an die Grenzen des öffentlichen Raumes. Das Gelände um den Landtag ist weiträumig mit Gitterzäunen abgeriegelt. „Nein“, sagt ein freundlicher Feldjäger im Kampfanzug, „hier geht es nicht weiter. Über den Platz können sie heute nicht gehen.“ Der Platz, das ist der „Platz der Mainzer Republik“. An seiner unteren Seite, zum Rhein hin, wird er von einem barocken Palais begrenzt, dem sogenannten „Deutschhaus“, dem heutigen Sitz des Landtags von Rheinland-Pfalz.

Seinen Namen verdankt das Haus der Geschichte. Für den Hochmeister des Deutschen Ordens war es ehedem, in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, erbaut worden. Historischer Bedeutung erlangte es aber erst 1793, als die Mainzer Jakobiner dort zusammentraten, um einen Konvent nach französischem Vorbild zu gründen: das erste demokratisch konstituierte Parlament auf deutschem Boden. Die öffentliche Proklamation erfolgte am 18. März vom Balkon des Deutschhauses. Dicht gedrängt stand das Volk auf dem Platz davor. Er ist einer der wenigen Erinnerungsorte unserer nicht eben glücklich verlaufenen Demokratiegeschichte, wie geschaffen für die symbolträchtigen Inszenierungen des Staates bis heute.

Man kann es gerade wieder erleben. Vom Rand her, auf die Absperrung gelehnt sehen wir, wie sauber herausgeputzte Soldaten auf dem geräumten Areal exerzieren. In Blockformation paradieren sie mit gebügelter Uniform und polierten Waffen vor einer Tribüne, auf der noch niemand sitzt. Sie proben, was am zeitigen Abend stattfinden soll: die feierliche Gelöbnis junger Rekruten. Nachdem sie die Grundausbildung hinter sich haben, sollen sie nun im Beisein der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin, ihres Genossen des Landtagspräsidenten und anderer weltlicher Würdenträger geloben, „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“.

Das war immer so, und es war in Ordnung, solange die bürgerlichen Gesellschaften allen wehrtauglichen Männern die Pflicht auferlegte, für das demokratisch regierte Gemeinwesen notfalls auch mit der Waffe in der Hand einzustehen, selbst wenn das schlimmstenfalls das eigene Leben kosten sollte. Das Gelöbnis der Vaterlandsliebe war staatsrechtlich begründet. Unterdessen jedoch hat sich die Gesetzesgrundlage geändert. Die Wehrpflicht wurde mit parlamentarischer Mehrheit abgeschafft; und nicht zuletzt die SPD ist dabei zügig vorangegangen.

Die Verteidigung des Gemeinwesens zählt hierzulande nicht weiter zu den staatsbürgerlichen Pflicht; keiner darf dazu par orde du mufti herangezogen werden. Niemandem kommt es zu, den Soldaten mit dem Gelöbnis eine besondere patriotische Verantwortung aufzunötigen. Denn anders als die regierenden Politiker sind sie auch nicht gewählt und insofern wenigstens dem Anschein mit einen Vertrauen ausgestattet, dem zu entsprechen sie geloben müssten. Wer sich heute für den „Beruf´“ des Soldaten entscheidet, tut das aus persönlichen Erwägungen, nicht als Staatsbürger. Mag sein, dass er sich für die Waffentechnik interessiert, Karriere in der Truppe machen will oder sonst etwas ihn bewegt.

Nachdem sich die Gesellschaft entschieden hat, ihre Landesverteidigung als Dienstleistung erbringen zu lassen, darf sie von den Soldaten nicht mehr erwarten als die Erledigung ihres Jobs. Vereidigen könnte man sie allenfalls auf die Dienstvorschrift, ihren Kontrakt oder den Gehaltszettel.  Dann aber müssten wir das öffentliche Gelöbnis bald auch für die Mitarbeiter des Finanzamtes einführen. Wie diese gehen die Soldaten einer Arbeit nach, für die sie entlohnt werden, einen mehr oder weniger angemessen Sold erhalten. Und es wäre ehrlicher, sie als die Söldner zu betrachten, zu denen sie der Gesetzgeber mit der Abschaffung der Wehrpflicht gemacht hat, als sie mit feierlichen Gelöbnissen zu einer Vaterlandsliebe zu verdonnern, die die Mehrheit der Deutschen schon lange nicht mehr empfinden mag.

Das ist ein Etikettenschwindel zum Nachteil der Soldaten. Sie werden mit Ehrungen abgefunden, die wenig kosten und nichts wert sind, schon gar nicht unter einer Verteidigungsministerin, die das Heer dem Gespött preisgibt, indem sie es lieber mit Schminkspiegeln ausstatten möchte als mit Waffen, die so funktionsfähig sind, dass sie im Ernstfall das Leben der Soldaten retten könnten.

Gelöbnisse, die unter solchen Umständen stattfinden, dienen nur mehr der politischen Selbstinszenierung. Dass das wie eben jetzt in Mainz zu einem unnötigen Verkehrschaos führt, ist dabei noch der geringste Schaden. Schwerer wiegt der Missbrauch der jungen Männer, ihre Vorführung als Soldatendarsteller bei klingendem Spiel. Der Platz der Mainzer Republik ist ein historisches Pflaster, auf dem sich so etwas von selbst verbieten sollte, ein Minimum an historischen Kenntnissen vorausgesetzt. 

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Dr. Alexander v. Lünen / 28.06.2014

Sehr geehrter Herr Rietzschel, 1) Die Wehrpflicht wurde nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt. Laut Paragraph 12a GG *kann* jeder deutsche Mann zwischen 18 und 45 Jahren zum Wehr- oder Ersatzdienst herangezogen werden. Wird halt nur momentan nicht gemacht. Par. 12a, Abs. 4 sieht auch die Zwangsverpflichtung von Frauen im Verteidigungsfall vor, nur nicht mit der Waffe, aber z.B. auch in Militärlazaretten. (vgl. http://www.bundestag.de/bundestag/aufgaben/rechtsgrundlagen/grundgesetz/gg_01/245122) 2) Beamte leisten einen Amtseid, Angestellte im öffentlichen Dienst haben entsprechende Klauseln im Arbeitsvertrag. Durchaus ähnlich zum Fahneneid der Soldaten… 3) “Gelöbnis” gibt es nur für Wehrdienstleistende, früher Zwangs-, heute “Freiwilliger Dienst”. Für Zeit- und Berufssoldaten gibt es die Vereidigung. Wurde und wird i.d.R. im Rahmen der selben Veranstaltung abgelegt. Wird im allgemeinen Sprachgebrauch “Feierliches Gelöbnis” genannt, auch wenn es sich um zwei Veranstaltungen handelt: eben dem Gelöbnis und der Vereidigung. Das “Gelöbnis” kann man ohne grosse Konsequenz (lediglich Beförderungsstop) verweigern, die Vereidigung nicht (führt i.d.R. zum Rauswurf u.a.; vgl. Wikipedia - Vereidigung und Gelöbnis von Soldaten der Bundeswehr) Ich kann ja Gelöbnissen auch nicht viel abgewinnen. Ihre Argumentation ist aber etwas dünn. Das Gelöbnis hat durchaus seine Berechtigung, z.B. zur Festigung des Corpsgeistes. Das Seitens der Politik und Bevölkerung eine gewisse Verlogenheit oder schlicht Indifferenz herrscht, hat damit wenig zu tun. MfG,

Thilo Schneider / 28.06.2014

Falsch, Klaas Hartmann, Herr Ritzel verhöhnt nicht die Soldaten, sondern die Politiker, die Soldaten auf einen patriotischen Eid einschwören, ohne als Staat diesen Eid ernst zu nehmen. Die wenigsten Soldaten dürften sich melden, weil sie dringend Deutschland verteidigen wollen. Wenn der Staat Soldaten zu einem Gelöbnis nötigt, ohne ihm funktionierende Waffen zur Verfügung zu stellen, dann ist was faul. Dann ist das Inszenierung.

Karl-Heinz Vogt / 27.06.2014

Die Mainzer Jakobiner erflehten geradezu die “brüderliche Hilfe” der französischen Revolutionstruppen und forderten die Angliederung an Frankreich. Insofern stehen sie fest in der Tradition unserer Nachkriegsrepubliken. Sie waren, wie alle Regierungen von BRD und DDR seit 1949, Agenten fremder Mächte. Sovile zum Thema Minimum an historischer Kenntnis.

Max Wedell / 27.06.2014

Die Wehrpflicht kam einst über manchen Wehrpflichtigen wie das Gewitter über den Spaziergänger… aus heiterem Himmel. Gelöbnisse hatten wohl den Zweck, die ganz Überraschten darüber aufzuklären, welchen Sinn diese zwangsweise Inanspruchnahme ihres Dienstes hatte, und wenigstens zu versuchen, bei diesen zum Dienst gezwungenen das notwendige Minimum an Kooperation herbeizuführen, indem man an ein Verantwortungsgefühl fürs eigene Land appellierte. Wie erfolgreich das wohl war, sei dahingestellt, aber eine gewisse Notwendigkeit kann man dem Ganzen nicht absprechen. Rietzschel hat aber ganz recht, daß die Notwendigkeit für solch eine “Aufklärung und Verpflichtung der vom Soldatensein Überraschten” wegfällt, wenn es keine “vom Soldatensein Überraschten” mehr gibt… d.h. heute. Wer sich für einen Beruf entscheidet und bewirbt, egal welchen, sollte eigentlich wissen, daß seine Aufgabe in diesem Beruf ist, im Sinne und nach den Wünschen seines Arbeitgebers zu wirken, und sich auch dahingehend verpflichtet fühlen. Selbst wenn der Arbeitgeber der Staat ist. Vereidigungen oder ähnliche Veranstaltungen, in denen diese Tatsache nochmal bekräftigt wird, braucht es dann nicht mehr, denke ich. Oder man führt sie für alle ein.

Felix Hecht / 27.06.2014

Ein Soldat braucht keine Wehrpflicht, um seinem Land zu dienen.

Christoph Andreas / 26.06.2014

Man stelle sich mal ein feierliches Gelöbnis auf einem öffentlichen Platz in Berlin oder Frankfurt vor. Ein Aufstand gegen diese potentielle Mörderbande wäre vorprogrammiert. Die Mainzer sind da gelassen. Sie denken ohnehin, es handele sich um einen verspäteten Karnevalsumzug ihrer Ranzengarde. Wir haben eine Freiwilligenarmee mit einem halben Jahr Probezeit aus der man wegen rauen Umgangston oder schlechtem Essen jeder Zeit zurücktreten kann. Die Beschaffung neuer Gewehre wird wegen technischer Mängel eingestellt. Verbündete verzichten dankend auf die Bereitstellung von Transportflugzeugen, deren Besatzung halb so alt wie die Maschinen. Kommandeure machen in Zukunft ihren Dienst in Teilzeit und es wird nicht mehr lange dauern, bis Stillzeiten für die Damen der Armee auf dem Gefechtsfeld eingeführt werden mit gleichzeitiger Hissung der weißen Fahne. Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 1. und 2. Weltkrieg ist es doch ungemein beruhigend, das von einer deutschen Armee in Zukunft keinerlei Gefahr mehr ausgeht.

Michael Fabian / 26.06.2014

Plädoyers für die Wehrpflicht sind ungefähr dasselbe, wie die Forderung, der Romantik des Reisens wegen wieder mit der Postkutsche übers Land zu fahren - von gestern. In einer modernen Armee des 21. Jhd´s ist der Kurzzeit - Milizionär (a.k.a. Wehrpflichtiger) so brauchbar, wie ein Amateurkicker vom SV Hintertupfingen beim FC Bayern, wenn Franck Ribery ausgefallen ist. Diese Erkenntnis hat die (immer noch) größte Militärmacht dieses Planeten schon vor über 30 Jahren gewonnen und umgesetzt. Den Patriotismus von Berufssoldaten in Zweifel zu ziehen, ist typisch deutsches Schubladendenken. Man frage am Besten die Hinterbliebenen in Afghanistan Gefallener, was sie von dieser These halten.

Ralf Bamberger / 26.06.2014

Wenn die einzige Motivation die ist, die der Autor benennt, dann soll er mir mal erklären, welche rein persönlichen Karriere-Vorteile, welchen persönlichen Ansehensgewinn und welchen materiellen Nutzen ich dadurch habe, daß ich mich dennoch als Reserveoffizier oute und gelegentlich vielleicht auch noch in Gefahr begebe (z.B. indem ich bisweilen eine Uniform in der Öffentlichkeit trage.). Ich müsste ein Ewiggestriger, ein Anachronismus sein! Was die Mainzer Jakobiner angeht, so lief es wohl wie bei vielen gutmenschlich-gutgemeinten Projekten: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht und wer anderer Meinung war, landete bei denen am Ende auch auf der Guillotine! Aber die Köpfe rollten ja für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Wenn’s um solch hehre Ziele geht, dann kann man solche Kollateralschäden ja vernachlässigen.

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