Cora Stephan / 24.07.2015 / 10:13 / 3 / Seite ausdrucken

Social Porn. Heute: Kindesmissbrauch

Kindesmissbrauch treibt den Volkszorn zu Recht in ungeahnte Höhen – nur dort nicht, wo Kindertränen eingesetzt werden, um das Publikum für allerhand erhabene Anliegen zu gewinnen. Al Gores berüchtigter Propagandafilm über den schmelzenden Globus bediente sich eines schluchzenden Mädchens, das die Zuschauer inniglich bittet, die Welt vorm Klimatod zu retten. Wer könnte da widerstehen? Auch Sigmar Gabriel bemühte jüngst hungernde (und darob gewiss weinende) Kinder, als er für eine weitere „Rettung“ Griechenlands warb. Die Herzen aller gut und recht Denkenden dürften ihm zugeflogen sein. Weinende Kinder retten wir hierzulande noch ein bisschen lieber als weinende Rentner, weshalb wohl auch kaum jemand nachgefragt hat, wie viele Kinder in Griechenland denn nun hungern müssen (und wie viele Rentner dort oder hierzulande in der beneidenswerten Lage sind, 60 Euro am Tag vom gedeckten Konto abzuheben).

Es ist das alte Lied: Moralisieren macht unangreifbar, weshalb es in der Politik mittlerweile an der Tagesordnung ist.

Rühmliche Ausnahme diesmal: Angela Merkel. Doch ausgerechnet sie musste sich einen veritablen shitstorm gefallen lassen, weil sie ein Mädchen zum Weinen gebracht habe – mit der Eiseskälte einer kopfgesteuerten Physikerin. Dabei hat die Kanzlerin anständigerweise der Versuchung widerstanden, Mädchentränen zu missbrauchen, um sich als Königin der Herzen zu zelebrieren. Sie hat statt dessen der 14jährigen Reem aus dem Libanon vernünftige Antworten gegeben – die Wahrheit ist auch jungen Menschen zumutbar, insbesondere solchen, die klug und überlegt wirken. Denn Reems Familie hat kein Recht auf Asyl, sie musste nicht aus dem Libanon flüchten – sie ist hier, weil man sich ärztliche Hilfe wünscht, das Mädchen ist gehbehindert.

Die Berufsmoralisierer aber wollen das alles gar nicht so genau wissen, Hauptsache, ein Kind weint. Und das Mantra heißt ja seit eh und je, man dürfe nicht mit Daten und Fakten kommen, wenn es um „die Menschen“ gehe. Das ist wie stets vom Einzelfall her gedacht: wer möchte einem begabten Kind wie Reem versagen, was es sich wünscht?

Auch ich nicht, nebenbei gesagt.

Der aufgeweckte Teenager befriedigt tiefe Sehnsüchte, die Sehnsucht etwa danach, dass, wer zu uns kommt, eine Bereicherung in unserem Sinne ist und kein Problemfall, der vielleicht die örtliche Drogenszene um einen weiteren Dealer bereichert. Und es ist allemal vernünftig und geboten, Menschen nach vier Jahren Integrationsbemühung einen Weg zum Ziel zu eröffnen. Das aber ändert nichts an Recht und Gesetz – und wer das Recht nicht auch durchsetzt, signalisiert, dass es nicht gilt. Was Wunder also, dass Flüchtlinge aller Kategorien bevorzugt nach Deutschland streben. Wir geben ihnen jeden Anreiz dazu – es wäre anmaßend, ihnen zu unterstellen, dass sie nicht rechnen können.

Aber ich wollte eigentlich gar nicht über das Chaos schreiben, das in Politik und Öffentlichkeit obsiegt, solange man sich nicht entscheiden kann, das Asylrecht durchzusetzen, das nunmal nicht allen, die kommen möchten, eine Bleibe verspricht, sondern nur den Verfolgten und Bedrohten. Und auch nicht über die Unfähigkeit zu definieren, welche Art der Einwanderung wir haben möchten – solange wir nicht „alle“ hereinlassen wollen, wie es die Deutschlandfreunde auf der Linken wünschen.

Mein Thema ist social porn.

In meinen Augen ist, wer mit Kindertränen für seine politische Sache wirbt, nicht viel besser als ein Politiker, der sich Fotos nackter Knaben ansieht. Social Porn ist womöglich noch einen Zacken übler, weil diese Art des Kindesmissbrauchs nicht strafbar ist. Eltern wissen, wie aufgewühlt Kinder reagieren, wenn man ihnen mit Baum- oder Artensterben kommt; sie würden sich an jeden Baum ketten lassen, den irgend jemand aus wahrscheinlich finsteren Gründen zu fällen beabsichtigt. Und nicht nur Eltern ertragen es schwer, wenn Kindertränen fließen. Wir alle lassen uns berühren von dem, was Medienmenschen und Politmakler „eine Geschichte erzählen“ nennen, vor allem, wenn darin ein kleiner Mahmed oder eine hübsche Reem vorkommen. Denn Daten, Zahlen, Fakten beschäftigen nur den Kopf, sofern er sich drauf einlässt, berühren aber nicht das Gemüt. Und das muss mitspielen, wenn der Bürger zu etwas überredet werden soll.

Im Journalismus ist das schon längst gang und gäbe. Ich weiß nicht, ob es der „Spiegel“ war, der diese Art der Schreibe populär gemacht hat, ich vermute es allerdings: man beginne mit einem Einzelschicksal und schließe dann vom Individuellen aufs Allgemeine. Und siehe da: in den Tränen der Individuen spiegelt sich die Tücke des „Systems“, des Kapitalismus, der Reichen usw. Wer wäre da nicht auf der Seite des David, der klein und hilflos dem Goliath der Gesetze und Vorschriften entgegentritt? Mitfühlender Journalismus macht jedes Thema dem Leser schmackhaft, auch wenn die investigative Leistung mit der emotionalen Zuspitzung nicht ganz mitkommt. Politiker und andere Verkäufer haben natürlich längst ebenfalls gelernt, die Fakten wegzulassen und eine Geschichte zu erzählen, wenn sie ihren Klienten etwas unterjubeln wollen. Und jene, die mit dem guten und moralisch Einwandfreien ihre Geschäfte machen, wissen es sowieso: zeig ein verhungerndes Kind, und die Spendengelder fließen.

Was also heißt das, wenn ein Politiker wie Sigmar Gabriel zu social porn greift? Hat er keine besseren Argumente?
Womöglich nicht. Vielleicht aber zeigt sich in der Hilflosigkeit dieses Appells an die „Mitmenschlichkeit“, dass er, ganz im Gegenteil, sehr wohl weiß, dass mit der unendlichen Geschichte der „Griechenrettung“ den Griechen am wenigsten geholfen ist, ja, dass es darum gar nicht geht.

Doch mit der ungeschminkten Darlegung des wahren Sachverhalts würden unsere Politiker nicht nur Kinder zum Weinen bringen, sondern das gesamte Publikum. Und dafür, spekuliere ich mal, reichen hierzulande einfach die Taschentücher nicht.

 

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Karl Baumgart / 26.07.2015

Sehr geehrte Frau Stephan, seit Jahren lese ich alle aus Ihrer Feder stammenden Artikel, derer ich habhaft werde, und so gut wie ausnahmslos mit Zustimmung. Hinsichtlich des Inhaltes gilt dies auch den oben stehenden Beitrag. Gar nicht einvertanden bin ich jedoch mit Ihrer Verwendung des der englischen Sprache entlehnten Begriffs ‘shitstorm’. Er ist schlicht und einfach vulgär. Kürzlich hatte ich in Berlin eine Begegnung mit zwei Amerikanern, der eine 32 Jahre alt und Abonnent der ‘Chicago Tribune’, der anderer doppelt so alt und vielleicht Abonnent gleich zweier Tageszeitungen, nämlich des ‘Wall Street Journal’ und der ‘New York Times’. Ich berichtete ihnen von der hierzulande regelrecht grassierenden Seuche, als die ich die immer öfter festzustellende Benutzung dieses ‘neudeutschen’ Wortes erlebe, leider auch in meiner überregionalen Tageszeitung, die sich zu den so genannten ‘Qualitätsmedien’ zählt. Meine Frage an die Amerikaner lautete, ob sie jemals von einem ‘Sturm aus Scheiße’ (denn nichts anderes bedeutet ‘shitstorm’) in ihren Blättern gelesen hätten. Beide verneinten und erwiderten, dieser Ausdruck würde als zu vulgär empfunden, als dass er es in eine respektable Zeitung schaffte. Wie hätten Sie sich noch vor fünf oder sechs Jahren ausgedrückt, Frau Stephan? Ich glaube, Sie hätten das völlig unbedenkliche Wort ‘Proteststurm’ gewählt.

Herbert Manninger / 24.07.2015

Gerne wird auch das hirnlose Killerargument ,,Wenn du an seiner Stelle wärest” gebraucht. Als Anti-Killerargument ist zu empfehlen:,, Wäre er aber an meiner Stelle, er handelte genauso wie ich.”

Wilfried Paffendorf / 24.07.2015

Liebe Frau Dr. Stephan. Mit Ihrem Artikel ist Ihnen ein wirklich guter Denkanstoß gelungen. Der Missbrauch von Kindern, um sich einen gehörigen moralischen oder materiellen Vorteil zu erschaffen, ist in Westeuropa tatsächlich subtiler und perfider. Da nehmen erwachsene Demonstranten ihre Kinder mit zu Versammlungen, von denen man ausgehen darf, dass es dort auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei kommt. Die Kinder werden als Schutzschilde missbraucht und der Polizei damit signalisiert: Wenn Du uns angreifst, dann bist Du ein Schwein ohne Moral! Eine uralte Masche! Anderswo waren und sind die Methoden des Kindesmissbauchs gröber gestrickt, die Brutalität tritt offener zu Tage: In den 70er-Jahren hatten LKW-Fahrer auf der Route nach Nah- und Mittelost damit zu rechnen, dass etwa in Kurdistan, Irak oder auch Afghnistan ihnen Kinder vor die LKW’s gestoßen wurden. Anschließend beschuldigte man den Fahrer der schweren Körperverletzung (es kam auch zu tödlichen “Zwischenfällen”) und nahm ihn in Geiselhaft. Die Speditionsfirmen lösten dann diese Fahrer mit einigen tausend Dollars wieder aus, je nach Schwere des Schadens für die Kinder. Die Lösegelder waren fixiert in der Buchhaltung. Alle Formen des Kindesmissbrauchs sind zu verachten, weil - egal, ob sie nun auf die sexuelle Befriedigung abzielen, sich materiell zu bereichern und sein soziales Ansehen zu fördern - hinter ihnen primitive Regungen stehen. Ich gehe einmal davon aus, dass Kindesmissbrauch oder ein “verschwenderischer” Umgang mit Kindern zum eigenen, individuellen Vorteil noch vor 250 oder 300 Jahren in Mittel- und Westeuropa verbreiteter war, und sich erst mit dem Aufkommen von Nationalstaaten, Wehrpflicht und der “Wirtschaftsressource Arbeitskräftepotenzial” das Verhältnis zu Kindern verändert hat. Am Beispiel Preußens scheint mir das gut darstellbar. Heute befinden wir uns wieder in einem Wandel das Verhältnis zu Kindern betreffend. Es seien hier nur die Stichworte “Abtreibung”, der schwindende Wille Kinder in die Welt zu setzen und der “Import” von Kindern aus den fruchtbaren Regionen der sogenannten Dritten Welt angeführt. Das ganze perfide Spiel des Kindesmissbrauchs zu durchschauen, dürfte aber nur einer kleinen Minderheit hierzulande gelingen. MfG

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