Henryk M. Broder / 27.05.2016 / 21:16 / 1 / Seite ausdrucken

So schön war es in Idomeni

Während das Flüchtlingslager Idomeni von der griechischen Polizei geräumt wird, melden sich Flüchtingshelfer zu Wort, die ausgerechnet diese "offene Wunde in Europa" weiter offen halten wollten. Einer, der "in den Bergen Mekodoniens" mit dabei war, erklärt, warum die Helfer einen "großartigen Job gemacht" haben:

Sehr geehrter Herr Broder,
nachdem ich ein grosser Fan ihrer Kommentare und Kolumnen bin, will ich die seltene Chance ergreifen, um die Fragen, die Sie bzgl. Dominik Wittkowsky in ACHgut.com gestellt haben, zu  beantworten.

Der junge Dominik mit dem nach Tumbheit schreienden Nachnamen und dem leider (das gebe ich zu) unprofessionellen Blick in die heiss gedrehte ZDF-Kamera arbeitete  bzw. frewilligte für eine Non Govermental Organisation (NGO), die Hot Food Idomeni (HFI) heisst. Die NGO HFI erkeimte mit einem verschwenderischen Angebot - und bitte halten Sie den Speichel in ihren Mundwinkeln zusammen - von einem Stück Brot, einem Ei und einem nicht enden wollenden 300 Milli-Liter grossen Becher  Suppe jeglichen Gedanken der
Flüchtlingen diese Wiese Edens verlassen zu wollen (die Angaben sind alle pro Flüchtling, pro Tag und nach durchschnittlich 30 Minuten Wartezeit).

Wenn er den Leuten nicht gerade grosse Augen mit Suppe machte, dann half er als gelernter Sanitäter hauptsächlich bei Krankentransporten. Abends hat er sich im 17 Kilometer entfernten Polykastro in einem improvisierten Campingplatz auf seine Isomatte gelegt und ab und an sicherlich darüber nachgedacht, ob es eine gute Idee war das Angebot seines Arbeitgebers (Christlicher Trägerverein) anzunehmen und mit unbezahltem Urlaub Freilwilliger in Idomeni zu spielen. 

Sie, lieber Herr Broder, liegen meines Erachtens komplett richtig mit der Behauptung, dass Herr Wittkowsky nach dem Ende seiner Zeit in Idomeni wieder viele Horror-Orte besuchen wird. Dies ist leider Teil seines Broterwerbs als Sanitäter. Ob dabei irgendein ZDF-Team ihn filmen wird, wenn Dominik einen verwahrlosten Rentner reanimiert oder als erster zum Autounfall mit Personenschaden kommt, wage ich zu bezweifeln. (Könnten sie vielleicht ihre Kontakte spielen lassen?).

Als Mitglied der Generation Y (bitte beim wispernden Lesen nicht als Ypsilon, sondern als Why aussprechen) und notorischer Twitter- und Facebook-Nutzer bin ich im Grunde ein Freund der vereinfachten Darstellung von Sachverhalten. Aber dennoch - vielleicht weil ich Dominik und die Lage in Idomeni selbst kennenlernen durfte - finde ich, dass Sie es sich bei Ihren 213 Wörtern im Artikel „Flüchtlingshelfer am Rande des Nervenzusammenbruchs“ zu leicht gemacht haben. Sie behaupten die Dominiks und Wittkowskies dieser Welt hätten die Flüchtlinge angehalten weiter in ihrem Dreck auszuharren. Dies impliziert schon fast fantastisch viel Falsches.

Zu allererst gab es für viele Flüchtlinge in Griechenland in den vergangenen drei Monaten noch nicht genug Kapazitäten in den neu errichteten Camps. Was war also die Alternative für die Geflüchteten und die freiwilligen Helfer, die nicht nur, wie Sie schreiben, zusätzliche Mahlzeiten ausgegeben haben, sondern oft die Einzige?  Auch durfte ich mir ein eigenes Bild (ich weiss, dass ist normalerweise der Anfang von jedem Fragwürdigen Beweis) über die Situation in einigen Militärcamps machen.

Die Menschen dort sassen in demselben modrigen Schlamm bei Regen und schwitzten unter derselben sengenden Sonne, da der einzige Unterschied zu den provisorischen Lagerplätzen des Militärs ein stolzer 360 Grad Zaun war, anstelle des nur einseitigen Zauns in Idomeni. Ich verwette die Schönheit meiner bayrischen Geburtsstadt München, dass unabhängig von der Entscheidung der in Griechenland gestrandeten Flüchtlinge am Ende immer ein „Im Dreck ausharren“ gestanden hätte. Erstaunlicherweise wird in diesen, vermeintlich besseren Camps auch Essen von Hot Food Idomeni verteilt, wieder von Dominiks, Kevins und Heinrichs und wieder oft nicht nur als zusätzliche, sondern als einzige Mahlzeit (zumindest während der jetzigen Anlaufphase).

Und nun falls Sie stehen, setzen Sie sich bitte fest hin, schenken sich einen männlichen Scotch ein und legen irgendetwas von Wagner, am besten von Karajan dirigiert auf, den jetzt kommt der kleine Gutmensch in mir komplett raus. Das Ungewisse, das der Umzug in ein eingezäuntes und vom Militär kontrolliertes Camp mit sich bringt, hat die vielen vom Krieg traumatisierten lieber in Idomeni verweilen lassen. Denn das Camp entbehrte zwar jeden Komfort und jegliche Hygiene, aber dafür bot es den Menschen etwas was sie seit langer Zeit nicht mehr erlebt hatten, nämlich das Gefühl von Sicherheit. Das war meines Erachtens einer der Hauptgründe für das einstweilige Hausharren der Flüchtlinge. Keine Kraft mehr zu haben, mental wie physisch, nach mehreren Tausendkilometern der Reise und langsam die Gewissheit zu erlangen, dass die Hoffnungen auf die man baute, durch einen Stacheldraht unerreichbar geworden sind, kostet Zeit.

Auch wenn Dominik und seine vielen langhaarigen Batik-Hemden Freunde (und dafür lege ich meine Gutmenschenhand ins vegane Feuer) einen grossartigen Job gemacht haben, war der Einfluss eines Nivea-weissen mittezwanzig Jährigen, der weder Arabisch, noch Farsi spricht und Englisch leider nur auf Oettinger Niveau und täglich Suppe verteilt, eher gering. Also mit Verlaub, sehr geehrter Herr Broder, wieso schreiben sie denn das diese Dominiks die von der Regierung beschlossene und von der Exekutive nun recht stramm durchgeführte Umsiedelung  (wann war Griechenland das letzte Mal so effizient)  verzögert hätten?

Mit Dominik verweilt derzeit bestimmt kein neuer Goethe (und natürlich auch kein neuer Broder) in den Bergen Makedoniens, aber zu unterstellen, die Aussage  „Heute ging es ein bißchen zu Ende, die Leute haben resigniert, stagniert, sind klar geworden, dass es nicht weiter geht, dass es halt zu Ende ist, dass es keine Möglichkeit mehr gibt, über die Grenze zu gehen...“ sei  das traurige Farewell von seinem Abenteuerspielplatz, find ich miess und so richtig in den Kontext gebracht, wie der berühmte Varoufakis-Finger.

Falls Sie Fragen zu der Lage in Idomeni haben oder Kontakt mit Dominik aufbauen wollen, dann lassen Sie mich dies Bitte wissen.
Mit freundlichen Grüssen
Jonathan S.

Siehe auch:

Wie man in Idomeni eine humanitäre Katastrophe inszeniert. Hier

Räumung des Flüchtlingslagers Idomeni: Nichts außer einem gleichgültigen Himmel. Hier

Das Open Air von Idomeni. Hier


 

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Johannes Fritz / 28.05.2016

Dass “die Hoffnungen auf die man baute, durch einen Stacheldraht unerreichbar geworden sind”. Das ist es . Nicht: Unversertheit und Leben im erstbesten sicheren Land. Eher: Durch mehrere sichere Länder hindurch, lebend und unversehrt. Sonst hätten sie in der Türkei bleiben können, spätestens das Rübermachen nach Griechenland hätten die vorgenannten Anliegen so ziemlich garantiert. Trotzdem, Danke, ohne die Dominiks in Griechenland und dem Mare Nostrum wäre das nie klargegangen.

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