Tamara Wernli / 16.07.2016 / 14:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 8 / Seite ausdrucken

Sind Mütter die besseren Menschen?

Es gibt da diese zwei Begriffe aus der amerikanischen Soziologie: "Motherhood" versus "Otherhood". "Motherhood" steht für die Frauen, die Kinder haben. "Otherhood", das sind die anderen. "Otherhood" ist laut einem Artikel im "New York Magazine" ein zweites zweites Geschlecht – weil kinderlose Frauen noch mehr zurückgestuft würden (als Frauen an sich). Die Aussage ist zwar feministischer Natur, sie enthält für mich – als Kinder-freie Frau und kritische Beobachterin des Feminismus – aber durchaus Wahrheit, wenn auch ohne dramatische Züge.

Ein Beispiel dafür lieferte neulich Andrea Leadsom, Ministerin in Grossbrittannien und dreifach-Mama. "Muttersein gibt einem ein spezielles Interesse an der Zukunft deines Landes, eine echte Beteiligung", sagte sie der Londoner "Times" und suggerierte damit, dass sie als Mutter eine bessere Premierministerin sei als ihre kinderlose Konkurrentin Theresa May. Leadsom nahm sich bekanntlich aus dem Rennen um den Regierungssitz, May ist Premierministerin.

Muttersein ist eine der grössten Herausforderungen für eine Frau. Es bedeutet viel Stress, viel Verzicht. Es kann eine Frau festigen, ihr eine natürliche Autorität verleihen, eine Belastbarkeit, Lebenserfahrung – in einem Aspekt ihres Daseins. Man kann es den Mamas nicht verübeln, wenn sie sich als Heldinnen der Gesellschaft sehen, als bessere Leadertypen, vielleicht als die besseren Menschen ganz allgemein. Wer die Wehen beim Pressen nicht kennt, die schlaflosen Nächte und eine Kindererziehung nie durchlebt hat, die eigenen Anliegen und Bedürfnisse nie vernachlässigen musste, dem muss es doch an Aufopferungsgabe mangeln, an Lebensklugheit, Verantwortungsbewusstsein, Urteilsvermögen und weiss der Kuckuck was. Kinder-freie Frauen werden häufig als egoistisch angesehen, sie beteiligen sich ja nicht einmal am Erhalt der Menschheit.

Ist eine Kinderlose überhaupt eine vollwertige Frau?

"Meine Kinder haben mich weiser gemacht, durch sie bin ich ein besserer Mensch geworden", lautet der klassische Mama-Satz. Für Mütter ist es nur schwer verständlich, wenn eine Frau freiwillig auf solches Glück verzichtet. Bist du über 35 und hast noch keinen Nachwuchs gezeugt, stimmt mit dir sowieso etwas nicht. Ist eine Kinderlose überhaupt eine vollwertige Frau?

Also ich für meinen Teil, glaube es zu sein. Ich besitze Eierstöcke, eine Vagina, bin häufig schlecht gelaunt, zicke gerne herum. Zu Verantwortungsbewusstsein entscheide ich mich situativ, und das mit der Weisheit… okay, lassen wir das. Ich beteilige mich am Erbe der Welt, indem ich für Greenpeace spende oder generell, weil ich weniger Ressourcen in Anspruch nehme. Ich fahre keinen riesigen Family-Van und im Flugzeug besetzen wir nur zwei Sitze. Wirtschaftlicher Rücksicht halber kaufe ich ständig Schuhe und Handtaschen, und grosszügig wie ich bin, bezahle ich mit meinen Steuern Kindergärten, Kinderkrippen, Schulen und Universitäten für die Kids anderer Leute.

Und jetzt kommt das Wichtigste, und das ganz Ironie-frei: Auch wir, die als "Otherhood" bezeichneten, die Frauen ohne Kinder, sind gesellschaftlich vollwertige, komplette und rundum zufriedene Menschen. Mutter zu sein, ist nämlich nur eine Facette der Lebensexistenz. Daneben gibt es aber noch viele andere. Es befähigt eine Frau vielleicht besser bei pädagogischen Fragen (auch das nur aus subjektiver Sichtweise und Erfahrung). Für ein politisches Tagesgeschäft oder für Führungsaufgaben ist Muttersein keine Qualifikation - ausser man zeichnet sich durch einen Führungsstil aus, der, nach verlorener Debatte, unfolgsame Kontrahenten mit Nachtisch-Entzug bestraft.

Ein besserer Mensch zu sein hat nichts mit seiner eigenen Fortpflanzung zu tun. Es ist eine Frage des Charakters.

Tamara Wernli arbeitet als freischaffende News-Moderatorin und Kolumnistin bei der Basler Zeitung. Dort erschien dieser Beitrag auch zuerst.  In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gender- und Gesellschaftsthemen.

Foto: Bildarchiv Pieterman

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Susanne Baumstark / 17.07.2016

Liebe Frau Wernli, die teils respektlosen Kommentare auf Ihren Artikel zeugen davon, dass man selbst in Elternschaft offenbar immer noch nicht ausgelastet genug zu sein scheint, um sich nicht noch einem intimen Feindbild widmen zu können. Warum es gerade jenes der kinderlosen Frau ist, wäre ebenso interessant zu hinterfragen wie der Umstand, dass die geäußerten Vorurteile nicht nur in konservativen, sondern auch in liberalen Kreisen anzutreffen sind, in denen man eigentlich vermuten könnte, dass dort unterschiedliche Lebensweisen respektiert werden, ohne sie bewerten zu müssen; idealerweise sogar zum neugierigen Austausch anregen könnten. Stattdessen feiert das als negativ besetzte Stigma „kinderlose Frau“ fröhliche Urständ, ohne dass jemals nach den Hintergründen gefragt wird und auch ohne zu berücksichtigen, welche Dramen sich in etlichen Familien abspielen, in denen die Elternschaft nicht verantwortungsbewusst wahrgenommen wird oder in denen die Kinder zum Zweck der Eigentherapie eingesetzt werden, wie gerade auch aus einem der Kommentare herauszulesen ist. Wer sich im Übrigen partout nicht vorstellen kann, dass ihn bzw. sie die Zukunft der Welt nicht interessiert, nur weil die eigenen Gene nicht weitergegeben werden, dürfte sich über den Vorwurf des Biologismus nicht wundern. Das oft auch ehrenamtliche Engagement vieler kinderloser Singles im öffentlichen Leben ist jedenfalls ebenso Fakt wie die Pflege des Schreckgespenstes Einsamkeit seitens vieler Eltern bzw. Paare. Solange man die Sache für den Privatbereich betrachtet, mag sie relativ unerheblich sein – schließlich gibt es auch nette, vorurteilsfreie Eltern, mit denen man sich befreunden kann. Für den Politikbereich betrachtet wird es allerdings eng; zumindest wenn etablierte Parteien nicht mehr wählbar sind und sich die Newcomer ausschließlich Familienpolitik inklusive negative Stigmatisierung von Kinderlosen auf die Fahne schreiben. Offenbar ist man sich dort nicht bewusst, wie viele potenzielle Wähler dadurch vergrault werden.

theodor bicking / 17.07.2016

Kinder zu wollen und sie deswegen zu haben, ist sehr wohl eine Frage des Charakters.

Lars Waldgaenger / 17.07.2016

@Sylke Klahr Nach meiner Beobachtung haben wir es gerade in der jüngeren Generation zunehmend mit Menschen zu tun, die sich in der Tat - ohne eine relevante Lebensleistung erbracht zu haben - als “Mittelpunkt der Welt” betrachten. “Rücksichtnahme und Verzicht” scheinen eher vom Aussterben bedrohte Eigenschaften zu sein. Ob da wohl die richtigen “Werte” vermittelt wurden?

Wieland Schmied / 17.07.2016

Ach, verehrte Frau Wernli, als Sohn einer - na, Mutter natürlich - möchte ich Ihnen sagen, daß Damen Ihrer Einstellung wohl zu recht und Gott sei Dank keine Mutter werden. Ganz nebenbei bemerkt hatte meine Mutter neben sehr viel Herz ebenso Verstand, und einen m.E. auch guten Charakter. Was meine Schwester übrigens ebenfalls so sieht. Ihnen sei ein weiterhin reichhaltiges Eigenleben herzlich gegönnt. Jeder werde nach seiner Fac,on glücklich.

Peter Fehlhaber / 16.07.2016

Liebe Frau Wernli, sie können gut Aufsätze schreiben. Ich jedenfalls lese sie immer gern. Auch Kinder schreiben gern, besonders die Mädchen. Die sind längst im Netz, auch mit 11 oder 12 schon, und haben viele Fragen, z. B. im gutefrage.net, Thema ‘Buch’ . Letztes Jahr habe ich die Kinder einer Migrantenfamilie, 7. und 9. Klasse Gymnasium, betreut. Auch die brauchten etwas Hilfestellung, die die Eltern ihnen beim besten Willen nicht geben konnten. Ob nun im Internet oder real, ich habe fast nur sehr nette und dankbare Kinder kennengelernt. Aber bitte machen sie nie wieder Werbung für Greenpeace, sonst fliegen sie hier raus. Nein, Spaß beiseite, aber die sind es doch, die ‘den Planten zugrunde richten.’ (‘Planten’ muss sein. Der kommt immer, wenn diese Spinner sich melden.)  Und was denn für Ressourcen? Alles Quatsch, wir haben Ressourcen im Überfluss.  Ja, dass sie da ein kleines Thema mit sich herumtragen, war mir schon aufgefallen, muss beim Dyson-Aufsatz gewesen sein. Kann ich gut verstehen, man kommt nicht ganz um den Gedanken herum. Wenn sie etwas tun wollen, sollten sie vielleicht, sie haben etwas zu bieten, dann versuchen sie es besser so direkt wie möglich. Schöne Grüße

astridt / 16.07.2016

kinder sind eine lektion im leben, die kinderlosen fehlt und sie zeitlebens um sich selbst kreisen lässt.

Herzog / 16.07.2016

Ein typischer Artikel einer kinderlosen Frau. Warum fühlen Sie sich genötigt sich zu rechtfertigen? Ja natürlich sind Sie auch ohne Kinder eine richtige Frau. Sind Mütter die besseren Menschen? Nein-warum auch. Sind Mütter die besseren Führungskräfte wegen ihrer Mutterschaft? Nein nicht unbedingt, vielleicht sogar gerade deswegen nicht (Doppelbelastung usw.). ABER eines kann ich sagen seitdem ich selbst junge Mutter bin: Die Zukunft der Welt und insbesondere unseres Landes interessiert mich seither wesentlich mehr. Es geht, und das in einem zuriefst ehrlichen und persönlichen Sinne, nicht mehr nur um mich. Als kinderloser Mensch lauerte bei mir sehr dicht unter der Oberfläche ein gewisses Monster, dass “nach mir die Sinnflut” geflüstert hat. Flugreisen, Konsum, persönlicher Luxus auf Kosten unserer Umwelt-all das konnte ich mir gönnen ohne mir über die Konsequenzen allzu viele Gedanken zu machen. Wie i n meinem akademischen Milieu üblich reichte das Etikett “Bio” oder “fairtade” um teilweise sinnlosen Konsum zu legitimieren. Dieses Monster ist mit der Geburt meiner Tochter eliminiert worden. Ab jetzt spielt die lebenswerte Zukunft unseres Planeten über meinen Tod hinaus für mich eine persönliche Rolle. Ich denke, da Mütter (und Väter) aufgrund ihrer Elternschaft immer persönlich betroffen sind wenn es um sehr langfristige Folgen für das Land, die Welt geht, sind sie potentiell zumindest gute Ratgeber für derartige Entscheidungen.

Sylke Klahr / 16.07.2016

Erfahrungen - welcher Art auch immer - prägen Verhaltensweisen von Menschen und Rücksichtnahme und Verzicht sowie das Zurückstellen eigener Ambitionen täte dieser Gesellschaft in vielerlei Hinsicht recht gut. Ich glaube nicht, dass Frauen mit Kindern die besseren Menschen sind, auch nicht, dass es geeignetere Führungskräfte wären, aber dass sie durch die Weitergabe ihrer Werte und Vorstellungen die Welt weit mehr verändern als es jene tun, die sich selbst als den Mittelpunkt der Welt betrachten, das glaube ich ganz bestimmt.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com