Paradoxe Welt bei der laufenden Cites-Konferenz in Bangkok. Die USA wollten den Eisbären schützen, die Vertreter des World Wide Fund for Nature (WWF) waren dagegen.
Nashörner, Tiger, Thunfisch – lauter Arten, um deren Zukunft es wahrlich schlecht aussieht. Doch kein Tier diente in den letzten fünf Jahren so sehr als Symbol für aussterbende Arten wie der Eisbär. Kein politisch korrekter Fernsehbeitrag über die Arktis, in dem der weiße Riese nicht in Szene gesetzt wird, mit dem Impetus, dass der Mensch sein Schicksal besiegelt habe, weil er angeblich immer schneller die Erde aufheize und ihm so die Eisscholle, seinen Lebensraum raube.
Schon erstaunlich: Nie stand jemals ein Tier derart im Zentrum der Artenschutz-Debatte, dessen Bestände sich in den letzten 50 Jahren schätzungsweise verfünffacht haben. Zu Beginn der letzten globalen Erwärmungsphase, die etwa Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre einsetzte, gab es noch circa 5000 Letzte seiner Art. Dann, als es anfing, wärmer zu werden, wurden es immer mehr, bis zum Zeitpunkt, da es dem Klima beliebte, eine – bis heute andauernde – Erwärmungspause einzulegen, etwa gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts. Da waren es dann etwa 25.000, seither scheinen die Populationen zu stagnieren, die einen mehr, die anderen weniger.
Manch einer könnte, wenn es ihm in den Kram passen würde, auf die Idee kommen, in solchen parallelen Entwicklungen einen kausalen Zusammenhang zu sehen. Doch das wäre hier wohl unberechtigt. Der Hintergrund für die Vermehrung des Eisbären war das Abschussverbot, das dem Ursus maritimus im Jahr 1973 das Leben leichter machte. Immerhin: Zu schaffen machte dem Eisbären die Klimaerwärmung bislang nicht. Dennoch wird der Eisbär ganz hartnäckig nicht entlassen aus seiner Symbolarbeit, er muss weitermachen, er muss aussterben, wenigstens in der Debatte um den Klimawandel. Das Wachstum des Bestandes, das – bei aller Unsicherheit – in der Zoologie auch in diesen Ausmaßen allgemein anerkannt ist, hat sich deshalb in weiten Bereichen noch nicht herumgesprochen. Als vor einigen Monaten eine große deutsche Wochenzeitung in einer längeren Reportage einmal anhob, den Klimaskeptiker Marc Morano als den ganz großen Lügner hinzustellen, setzte sie noch vor den Artikel ein Zitat dieses Mannes, quasi zu seiner Überführung: “Tatsächlich ist die Population der Eisbären fünfmal so groß wie vor 40 oder 50 Jahren”. Ganz offenbar hatten die beiden Autorinnen keine Ahnung, dass Morano jedenfalls da nur eine allgemein anerkannte Wahrheit ausgesprochen hatte.
Aber wie ernsthaft ist beim WWF die Trauer um den dahinsichenden Eisbären wirklich? Auf der gerade laufenden Artenschutzkonferenz (Cites) in Bangkok hatten die USA den Antrag gestellt, den Eisbären in den Anhang 1 der Cites-Liste aufzunehmen. Das hätte bedeutet, dass ab sofort auch alle Ausnahmeregelungen für die Eisbärenjagd entfallen wären, dass keine Teile von ihm mehr gehandelt werden dürfen. Und dann geschah das erstaunliche: Die EU, in deren Ländern so viele Eisbären-Solidaritätsposter hängen wie sonst nirgendwo auf der Welt, lehnte den Antrag ab. Und es passierte noch erstaunlicheres: Auch der WWF, der in Bangkok mit starker Mannschaft für seine – grundsätzlich sehr lobenswerte – Lobbyarbeit vertreten ist, konnte sich für den Antrag ebenfalls nicht erwärmen. Das Allererstaunlichste: Die Begründung. Nicht der Abschuss gefährde den Eisbären, sondern der Klimawandel. Ja dann kann man ihn ja jagen. Mit der Knarre in der einen Hand und dem Poster von Eisbär Knut in der anderen. Aber bitte dabei nicht den Eisbären stören bei seiner Symbolarbeit.
Es mag ja sein, dass die Verbreitung des Eisbären nicht die Bedingungen für die erste Schutzkategorie erfüllt, das ist sogar sehr wahrscheinlich. Dann möchte ich aber auch in nächster Zeit nichts mehr von abnehmenden Populationen oder gar der Gefahr des Aussterbens hören. Auch wenn Letzteres erst für 2050 prognostiziert wird.
Nicht dass noch der Verdacht aufkommt, der WWF wäre in Sorge, ihm würde die Überzeugungskraft seines arktischen Symboltieres abhanden kommen, wenn die Eisbärpopulation noch weiter anstiege, gefördert durch ein komplettes Abschussverbot.
Ob es die Hauptperson in diesem Possenspiel vielleicht tröstet, dass in letzter Zeit auch die Wissenschaft Signale gab, dass seine Art nicht so ohne weiteres vom Aussterben bedroht ist? Dies auch ganz unabhängig davon, ob die globale Erwärmung in den nächsten Jahren irgendwann mal wieder Fahrt aufnimmt oder nicht. Die Art ist nämlich nicht nur wie bislang vermutet 200.000 Jahre alt sondern 600.000, was bedeutet, dass er schon mehrere weit wärmere Perioden als die junsere heutige durchstanden hat. Interessant übrigens auch ein Artikel eines Reporters, der eine andere Spezies mal genauer unter die Lupe genommen hat: Diejenigen auf die die Berichte des rasanten Aussterbens des Bären in den Medien zurückgehen, und die vor keiner Übertreibung zurückschrecken. Zac Unger, der Autor, hat darüber auch ein Buch verfasst, was gerade auf den Markt kam, mit einem etwas länglichen Titel: „Never Look a Polar Bear in the Eye: A Family Field Trip to the Arctic’s Edge in Search of Adventure, Truth, and Mini-Marshmallows“.
Noch etwas: Das arktische Seeeis, das im vergangenen Sommer auf eine so kleine Fläche wie noch nie zusammen geschmolzen (bzw. von einem großen Sturm zertrümmert worden) war – und dadurch auch so große Schlagzeilen wie noch nie hervorgerufen hat – wächst derzeit in Rekordtempo. So schnell wie in diesem Winter fror die Arktis seit Beginn der Satellitenmessungen vor 30 Jahren noch nie zu. Das muss klimatisch noch gar nichts heißen. Es sei trotzdem erwähnt, eben weil es keine Schlagzeilen hervorruft.
Zuerst erschienen auf Ulli Kulkes Blog bei der WELT