Ich liebe das heitere Herkunftsraten beim Besteigen eines Flugzeugs. Austrian Airlines Flug von TXL nach VIE, wie sehen Deutsche aus, wie Österreicher? Die Herkunftsfrage entscheidet sich gleich nach dem Betreten des Fliegers. Deutsche Reisende greifen zu vertrauten, bundesdeutschen Presseerzeugnissen (und wehe, es sind keine vorrätig!), ich greife ungeniert zu „Österreich“. Ein Igitt-Blattl, das viele nur mit spitzen Fingern berühren, aber eine ausgezeichnete Unterhaltungspostille. Ich stürze mich mit Anlauf in das Buchstabenmeer, dessen Layout so grauenhaft ist, dass man eigentlich nicht traurig sein muss, wenn Printzeitungen eingestellt werden. Selbst schuld. Aber es geht ja um die Inhalte.
Nach drei Monaten Heimat-Abstinenz ist die Lektüre dieser Tageszeitung die schnellste und zuverlässigste Methode, mich wieder einzugliedern. Auf meine Heimat ist, was Mord- und Totschlag sowie Lebensfreude (keine Lebensfreude ohne Mord & Totschlag und umgekehrt!) traditionell Verlass. „Wir“, also wir Ösis, haben gerade einen wunderbaren Mordfall, der „Prozess des Jahres“. Estibaliz C. (34), Ex-Chefin des Eissalons „Schleckeria“, wurde gerade schuldig gesprochen, 2008 ihren Ex-Mann Holger und im November 2010 ihren Lebensgefährten Manfred getötet, mit Kettensägen zerstückelt und die Leichenteile im Keller einbetoniert zu haben.
Eine Psychiaterin bescheinigt der Spanierin in „Österreich“ eine massive Persönlichkeitsstörung: „Sie wird wieder töten.“ Heutzutage hat man- und das lässt mich wirklich erschaudern- als Doppelmörderin offenbar eine ganz neue Verpflichtung der Öffentlichkeit gegenüber. Früher sahen Mörderinnen vor Gericht selten wie Models aus, aber sie treten ja auch nicht vor Heidi Klum, sondern vor richtige Richter. Da ist das Styling nebensächlich. Sollte man glauben. Aber die Zeiten scheinen sich geändert zu haben.
In „Österreich“ analysiert ein „Medien-Coach“, der man, wenn wir schon beim Thema sind, dringend eine Stilberatung empfehlen würde, weil das Foto so langweilig ist, Estis Körpersprache, ihre Kleidung, ihr Makeup. Mit Erstaunen lese ich, dass ihr graues Etuikleid folgende Botschaft hat: „Ich bin ungefährlich.“ Das ist bei einer Doppelmörderin doch eine recht bizarre Einschätzung. Esti, das Mords-It-Girl, trug während des Gerichtsprozesses in Wien kaum Makeup, nur Lipgloss, dafür „lieblich gestylte Haare“. Aha. Und Perlenohrringe sollen, so der Medien, Coach, „Seriosität verleihen“. Die braucht man in Estis Metier auch dringend. Ich kenne (hoffentlich) keine seriösen Mörder und auch keine unseriösen, werde aber meine Etuikleider umgehend in die Altkleidersammlung geben und die grauen Schuhe gleich hinterherwerfen. Weil: „Mit der Farbe Grau nimmt sie sich zurück, wollte zeigen, dass sie niemandem etwas antun kann.“ Wie wird man eigentlich Medien-Coach?!
Nur sehr leichtgläubige Menschen werden diese Analyse für bare Münze nehmen. Seltsamerweise wurde der schwarze Gürtel (elegant? ein Wink, dass sie Karate kann? Estis Lieblingsaccessoire?) der Verbrecherin von der Expertin völlig ignoriert. Ich finde, das geht nicht. Das ist nicht in Ordnung, das wird Ihnen jedes It-Girl bestätigen.
Estis Urteil lautet „Lebenslang mit Einweisung in eine Anstalt für abnorme Rechtsbrecher“, aber Österreich wäre nicht mein goldenes Heimatland, wenn die Spanierin das Weihnachtsfest nicht bereits in einem Schloss feiern würde. Im Frauengefängnis Schwarzau, das in einem ehemaligen kaiserlichen Jagdschloss untergebracht ist. Ihr Anwalt verriet „Österreich“ und damit dem ganzen, gleichnamigen Land: „Esti freut sich auf die Schwarzau.“ Naja, bei genauer Betrachtung hat sie ja auch wenig Alternativen, anders als andere It-Girls plagt sie ja nicht die furchtbare Entscheidung, ob sie Weihnachten in St. Moritz oder doch lieber in Cannes verbringen soll. Die Schwarzau ist ein Ort mit imposanter Vergangenheit, aber für die heutigen Bewohner mit recht wenig Zukunft, 1911 heiratete hier der spätere Kaiser Karl seine Zita.
Und Esti darf ihre „lang ersehnte Hochzeit mit Ehemann Roland R.“ nachholen. Dafür hat sie sechs bis acht Stunden Zeit. Der Ehemann hat nichts zu befürchten, das Date wird überwacht. Nach Weihnachten und Hochzeitsnacht wird im Schloss dann wieder der Ernst des Lebens einziehen, man darf nicht vergessen, dass zwei unschuldige Männer ermordet wurden. Esti wird jeden Tag um sechs Uhr morgen geweckt werden und voraussichtlich als Küchenhelferin arbeiten müssen. Und sie bekommt eine Therapie. Der Ehemann schweigt, ich halte das für sehr vernünftig. Was sollte er den Menschen auch noch erzählen, was nicht schon in „Österreich“ herbeiphilosophiert wurde.
Und ich reise jetzt weiter, nach Kärnten, Berge und Thermen inspizieren. Ich finde, es ist höchste Zeit, dass der offizielle Beruf der „It-Girl-Mörderin“ erfunden wird.
Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de