Manchmal mache ich mir einen kleinen Spaß daraus, kleine Fragen zu stellen. Bei der Berliner S-Bahn haben die meisten Menschen ja mittlerweile aufgehört, Fragen zu stellen, sie leiden stumm, aber ich finde, man muss verhindern, dass die Leute dort irgendwann mitsamt ihrem Transportsystem ganz einschlafen. Wieder einmal war meine S-Bahn am Bahnhof Brandenburger Tor verspätet und ich in Eile, also wagte ich an dem Glaskasten eine Anfrage. Das funktioniert beinahe virtuell per Lautsprecher und ist sehr gesundheitsunterstützend, da keinerlei Schnupfenviren ausgetauscht werden können. Meine Frage, warum die S1 schon wieder zu spät käme, erklärte die Frau hinter der Glasscheibe so: „Das ist wegen dem Regen und die Blätter!“
Ich guckte erwartungsvoll. Damit wollte ich mich nicht abspeisen lassen, denn erstens bin ich hartnäckig und zweitens hatte ich Zeit, weil eh kein Zug kam.
Die Dame von der Bahn schenkte mir einen Blick, als wäre ich vier Jahre alt und nun alt genug, um endlich auch zu erfahren, wie das ist mit dem Regen und die Blätter. Ich guckte so zurück, wie ich glaubte, dass die Frau es erwartete: ein bisschen doof und sehr erstaunt. Menschen in Uniform haben es gern, wenn das Gegenüber devot ist. Die Expertin erklärte mir, dass die S-Bahnen „wegen dem Regen und die Blätter“ langsamer fahren müssten, „weil die Blätter liegen auf den Schienen“.
Aha. Diese Verspätungserklärung war mir völlig neu. Von Zugentgleisungen wegen Blättern habe ich noch nie gehört, aber vielleicht wird bei der Berliner S-Bahn, einem durchwegs durchorganisierten Unternehmen, das den Winter redlich fürchtet, ja für die Schneewochen geübt.
Man lässt in der Hauptstadt wenig unversucht, um die öffentlich reisenden Kunden bei Laune zu halten. So gibt es ein Spiel, das kein Fahrgast durchschaut, das aber irgendeinen Sinn haben muss, denn wer würde sonst so einen Blödsinn veranlassen: Mit schöner Regelmäßigkeit stoppen die Züge der S1 am Potsdamer Platz, um spontan alle Gäste aussteigen zu lassen. Die Züge werden getauscht! Dann japsen Dutzende genervte, zahlende Kunden über den Bahnsteig und versuchen nicht auf jene zu prallen, die vom gegenüberliegenden Bahnsteig, ebenfalls japsend, kommen.
Besonders erfreulich ist dieses Spiel, wenn man abends eigentlich nur noch nach Hause möchte. Ich vermute, dass diese Szenen irgendwo in einem fernen Land in der Sendung „Versteckte Kamera“ oder „Dumme Europäer hautnah“ laufen. In der Dauerschleife. Untermalt von gackerndem Gelächter.
Vor kurzem habe ich etwas sehr Befreiendes getan: Ich habe mein BVG-Abo gekündigt. Wegen die Unverfrorenheit des Unternehmens. Und wegen der Ärger. Jahrelang. Bald ohne mich. Ich fahre dann mit dem Fahrrad. Unterm Regen und über die Blätter.
Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de