Wolfram Weimer / 23.09.2016 / 18:00 / Foto: Tomaschoff / 2 / Seite ausdrucken

Sigmar Gabriel: Kandidat oder Kandidätchen?

Er sah schon aus wie der Victor Skripnik der deutschen Politik. Wie der Trainer von Werder Bremen schien auch Sigmar Gabriel ein trauriger Niederlagenkönig, dem Pech am Schuh klebt und der seine Truppe einfach nicht in der Griff bekommt. Doch während Skripnik mit dieser Woche seinen Hut nehmen muss, stolziert Gabriel plötzlich wie mit neuer Krone durchs Land.

Tatsächlich hat der SPD-Vorsitzende aus einem politisch verhagelten Sommer einen milden Herbstbeginn gezaubert. In zwei Landtagswahlen (Mecklenburg-Vorpommern und Berlin) behauptete die angeschlagene SPD ihren Regierungsauftrag – zwar mit miserablen Ergebnissen. Aber vor wenigen Wochen noch schien es so, als würde die SPD mit fliegenden Fahnen untergehen. Nun scheint in dieser Disziplin eher die CDU unterwegs, so dass Gabriel als kleinerer Verlierer schon fast wie ein Sieger dasteht.

Und auch im heiklen Streit um das Freihandelsabkommen Ceta hat Gabriel jetzt einen Punktsieg errungen. In Wolfsburg gaben ihm die bissigen Genossen nach langem Streit den Freifahrtschein: Gabriel darf das Abkommen mit Kanada weiter befürworten und im EU-Handelsministerrat Ende Oktober dafür stimmen. Beim EU-Kanada-Gipfel am 27. und 28. Oktober soll Ceta dann offiziell unterzeichnet werden. Rund zwei Drittel der mehr als 200 SPD-Delegierten stimmten für Ceta und damit auch für Sigmar Gabriel. Denn die Ceta-Debatte hatte sich in den vergangenen Wochen zur Machtfrage ausgewachsen. Hätte die SPD-Linke Ceta verhindert, dann wäre Gabriel politisch am Ende gewesen. Nun hat er gewonnen und gibt erleichtert zu Protokoll: “Ich bin stolz auf die deutsche Sozialdemokratie.” Diese Positivfühlung hat er in seiner streitlustigen Partei schon lange nicht mehr aufgenommen. Kurzum: Die Genossen haben gebellt, ihren Vorsitzenden aber nicht gebissen. Ein paar Auflagen haben sie ihm mit auf den Weg gegeben, aber in Wahrheit handelt es sich dabei bloß um rhetorische Beruhigungspillen für die Handelskritiker von links.

Olaf Scholz würde Angela Merkel in ernste Schwierigkeiten bringen

Damit könnte der Weg zur Kanzlerkandidatur nun frei sein. Gabriel ist Parteivorsitzender und Vizekanzler, er hat das vielzitierte “Recht des ersten Zugriffs”. Und doch hoffen in der SPD viele, dass er von diesem Recht nicht Gebrauch macht und freiwillig verzichtet. Zu schlecht sind die persönlichen Umfragewerte Gabriels, zu gering seine Chance, selbst eine angeschlagene Merkel zu besiegen. Zwei Genossen mit besseren Aussichten stünden sofort bereit: EU-Parlamentspräsident Martin Schulz würde sich den Job sichtbar zutrauen, die Mehrheit der Genossen aber würde sich den Ersten Bürgermeister Hamburgs wünschen. Olaf Scholz würde Angela Merkel bei der Bundestagswahl 2017 in ernste Schwierigkeiten bringen können.

Aber kommen Schulz und Scholz zum Zug? Schulz scheint bereits aufzugeben. Er betont nach dem Ceta-Erfolg von Wolfsburg, dass Gabriel in dieser kniffligen Sache seinen “Führungsanspruch und seine Führungsfähigkeit” eindrucksvoll bewiesen habe. Er habe den Parteikonvent “gerockt”. Schulz wirkte dabei wie ein Silbermedaillengewinner, der dem Goldkandidaten bereits gratuliert.

Ganz anders Olaf Scholz. Er weiß um seine große Reputation in Partei und Gesellschaft. Er schätzt Gabriel nicht besonders und wartet erst einmal schweigend ab. Sollte Gabriel verzichten, dann stünde er bereit. Und so beginnt nun ein SPD-Mikado der Kandidatenkür: Wer zuerst zuckt, der hat verloren. Gabriel lässt am Abend nach dem Ceta-Konvent dazu eine interessante Überlegung verlautbaren: Man warte erst einmal ab, ob Angela Merkel denn noch einmal antrete. Das könnte bedeuten, dass Gabriel darauf verzichtet, gegen Merkel zu verlieren. Aber gegen jeden anderen Unionskandidaten würde er wohl antreten – der Kandidat ist noch ein Kandidätchen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European hier.

Foto: Tomaschoff

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Fred Forster / 24.09.2016

Diesmal will es der ewige Loser Siggi Pop (vgl. FOCUS Nr. 39 v. 24.09.2016, S. 24 ff.) womöglich wirklich drauf ankommen lassen mit dem Ergebnis, daß uns dieses Merkel noch für eine weitere Legislaturperiode erhalten bleibt,  denn nur Utopisten und Fantasten träumen davon, daß es wegen Hochverrats angeklagt und verurteilt werden würde (auch wenn es den Tatbestand des § 81 I Nr. 2 StGB locker erfüllt) oder die AfD hier jemals eine Chance auf die absolute Mehrheit hätte, die allein sie angesichts der sich jetzt schon in den Ländern und Komunen bildenden Wagenburgen der selbsternannten wahren Demokraten an die Regierungsverantwortung bringen könnte.

Armin Eickelbaum / 24.09.2016

Gott bewahre uns vor einer rot-rot-grünen Koalition mit einem Kanzler Gabriel. Dann wird der Untergang Deutschlands nochmals mit einem Brandbeschleuniger versehen - und Deutschland ist in 5-10 Jahren schon irreversibel nicht mehr wieder zu erkennen.

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