Fred Viebahn / 12.08.2010 / 03:26 / 0 / Seite ausdrucken

Sieh, das Gute liegt so nah: Wiener Blut in Wintergreen

“Wessen Musik war das eigentlich damals auf der Entbindungsstation?” frage ich meine Mutter per Skype über die paartausend Meilen hinweg, die uns trennen. Ich erinnere mich nur dunkel an die Geschichte, die sie mir früher öfters erzählt hatte—die Geschichte ihrer ersten Bekanntschaft mit klassischer Musik.

“Mozart”, erwidert sie. “Mozart, glaube ich. Es war wunderbar, auch wenn die Kopfhörer knisterten und krachten.”

“Kopfhörer? Es gab 1947 schon Kopfhörer im Krankenhaus?”

“Ja, Kopfhörer. Es war doch ein Vierbettzimmer. Anfangs traute ich mich nicht, sie aufzusetzen. Später lag ich die halbe Nacht wach und hörte schöne Musik.”

“Mozart also”,  sage ich. “Wer noch? Beethoven vielleicht? Haydn? Wie war’s mit Johann Strauss? Franz Lehár? Emmerich Kálmán?”

“So genau weiß ich das nicht mehr”, sagt meine Mutter. “Mozart bestimmt. Alles andere kam danach.”

***


Manchmal liegt das Gute näher, als man denkt. Seit über zwei Jahrzehnten lebe ich in Charlottesville, einer behäbigen, kunstgesonnenen liberalen Universitätsstadt zwei Autostunden südlich von Washington, D.C.  und eine Stunde westlich von Richmond, dem Regierungssitz des “Commonwealth of Virginia”, der einstigen Residenz der abtrünnigen Sklavenhalterkonföderation, der im Bürgerkrieg von 1861-65 der Garaus gemacht wurde. Charlottesvilles bedeutendster Sohn ist Thomas Jefferson, dritter Präsident der U.S.A. und Verfasser der Unabhängigkeitserklärung, dessen Villa Monticello auf der Rückseite jedes “Nickel” (der Fünf Cent-Münze) eingeprägt ist, und ganz in der Nähe lebten seine beiden ebenfalls in Virginia gebürtigen Nachfolger, James Madison (vierter Präsident und prinzipieller Autor des Fundaments der amerikanischen Demokratie, der Constitution) sowie James Monroe, der fünfte Präsident, dessen Monroedoktrin noch heute gilt (zum Beispiel berief sich John F. Kennedy während der kubanischen Raketenkrise darauf). Jeffersons Monticello, Monroes relativ bescheidenes Haus names Ash Lawn und Madisons stattliches Anwesen, Montpelier genannt, sowie die von Jefferson gegründete University of Virginia sind veritable Touristenmagnete; dazu üben die für Pferdezucht ideale grüne Hügellandschaft mit ihrem milden Klima und die sich wenige Meilen westlich ziemlich steil, aber nicht schroff erhebenden Blue Ridge Mountains eine Anziehungskraft aus, die Central Virginia zum begehrten Zuzugsgebiet mit ständig steigenden Immobilienwerten gemacht hat. Was in diesem Beinah-Paradies jedoch lange fehlte, waren Wintersportmöglichkeiten.

Ich sitze in meinem Arbeitszimmer und schaue aus dem Fenster in die Wipfel der Laubbäume am Teich unterhalb unseres Hauses. Das dichte Grün verdeckt zur Zeit den Blick auf die Blue Ridge. Erst im November, wenn die Blätter dem Herbst zum Opfer gefallen sind, wird diese Aussicht wieder frei. Dann kann ich sogar nachts bei klarem Winterhimmel ein helles Band sehen, das wie eine Jakobsleiter aus dem ansonsten stockfinsteren Himmel zu klettern scheint. Es sind die Flutlichter der Skipisten von Wintergreen, die für Unentwegte und Feierabendflitzer bis in die Nacht geöffnet bleiben. Wintergreen wurde Anfang der Siebziger sozusagen aus dem Berg gestampft; inzwischen scharen sich an den Abhängen hunderte luxuriöser Ferienwohnungen und Villen um Konferenzgebäude, Restaurants, Veranstaltungsbauten, Bäderanlagen, Tennisplätze, einen Golfkurs, bis über zwei Kilometer lange Skipisten verschiedener Schwierigkeitsgrade und sieben Lifte. Zwar liegt die Bergspitze nur stark einen Tausender über dem Meeresspiegel, aber diese Höhe—achthundert bis neunhundert Meter höher als Charlottesville—hält Wintertemperaturen gewöhnlich so nahe am Gefrierpunkt, daß auch bei geringem natürlichem Schneefall von Dezember bis März die Schneemaschinen gute Skibedingungen zu produzieren vermögen.

Wie aber vergnügt sich ein Skiort im Sommer? Oder, andersherum gefragt,  wie hält er sich in der warmen Jahreszeit wirtschaftlich über Wasser (und schlägt daraus vielleicht sogar Profit)? Nicht gerade existentielle Probleme, die mich besonders interessiert hätten—hätten nicht die Umstände mich diesen Sommer mit der Nase darauf gestoßen. Denn in Wintergreen fand von Anfang Juli bis Anfang August ein “Summer Festival” der klassischen Musik statt, das diesmal unter dem Motto “Vienna” stand; und da es hier in Charlottesville schon seit Mitte Juni noch heißer ist als sonst, mit Tageshöchsttemperaturen bis über 40 Grad Celsius, nimmt man gerne Chancen wahr, zu den zirka zehn Grad kühleren Gefilden des blauen Höhenzugs zu entfliehen, wo man auch wegen geringerer Luftfeuchtigkeit vornehmlich gegen Abend nicht mehr unbedingt das Schicksal des Kunstklimas allgegenwärtiger Klimaanlagen erdulden muß—und sich gleichzeitig ein bißchen Live-Kultur reinziehen kann.

***

Als Hitlers Horden in Wien einmarschierten, war meine Mutter keine elf Jahre alt. Die oberbergische Dorfvolksschülerin hatte noch nie Beethoven, Haydn oder Mozart gehört; und selbst wenige Jahre später, wenn die Dorfruhe gelegentlich gestört wurde, als alliierte Kampfgeschwader Görings Luftkadern den deutschen Himmel abrangen, war nichtmal die gefälligen Donauwalzer der Familie Strauss an ihr Ohr gedrungen. Außer ein bißchen Schlagergedudele und den allgegenwärtigen Nazimärschen aus dem Volksempfänger gab es in ihrer Jugend wenig Musik—schon gar keine klassische. Wie wundersam erschien es dann, als fünf Tage nach meiner Geburt, zur zwanzigsten Geburtstagsfeier meiner schmächtigen Mutter, die nette Oberschwester der Entbindungsstation des Kreiskrankenhauses ins Zimmer gelaufen kam. “Schnell die Hörer auf, Frau Viebahn! Ein wunderbares Konzert im Radio, genau passend zu Ihrem besonderen Tag und der Niederkunft Ihres Sohnemanns!” Zwar wurden die schönen Klänge, ausgestrahlt auf Mittelwelle vom Nordwestdeutschen Runkfunk, dem Monolpolsender der britischen Besatzungszone, in den Kopfhörern von Krächzen und Piepsen und Rauschen begleitet und ich schrie ab und zu wie am Spieß dazwischen, doch von jener Stunde an war meine Mutter der klassischen Musik verfallen.

Sobald meine Eltern es sich eben leisten konnten, das war nach der Währungsreform, wurde ein Musikschrank zum Zentrum ihrer winzigen Wohnküche. Und so kam es, daß mir schon als Kleinkind neben den Ohrwürmern der kleinen Cornelia und den Alltagsschnulzen von Rudi Schuricke, Favoriten meines Vaters, auch “bessere Musik” vertraut wurde. Vor allem an regnerischen Sonntagmorgenden lag ich oft andächtig auf dem Boden vor dem geheimnisvollen Loewe, der hinter dunkelbraun gebeizten, auf Hochglanz polierten Schiebetüren Röhrenradio, Zehnplattenwechsler, Plattenständer und eine Asbach Uralt, Jägermeister und Eierlikör speichernde Flaschendeponie verbarg, genannt “Bar”; die Spiegelwände dieser “Bar” kreierten eine Illusion von Spirituosen im Übermaß. Aus dem stoffbespannten Lautsprecher in der Mitte des Ungetüms füllte sich das Zimmer mit wundersamen Klängen. “Das ist die Anneliese Rothenberger”, rief meine Mutter von der Chaiselounge, während sie sich verzückt vorbeugte und beim Strümpfestopfen unterbrach, oder sie lehnte sich mit wiegendem Kopf zurück, um gewärmt von Rudolf Schocks Tenor dahinzuschmelzen. Bei leichten Operetten trällerte sie manchmal mit: “Wiener Blut, Wiener Blut…” Sie übte sich als Sopran im Dorffrauenchor, und wenn sie daheim der Kleinen Nachtmusik lauschte, imitierte sie mit ihren Stricknadeln die Stabschwünge des Chordirigenten. Und doch—trotz dieser innigen Hingabe blieben ihr selbst, nachdem wir vom Sechshundertseelenweiler in die viertgrößte Stadt Deutschlands gezogen waren, Opernhaus und Konzertsaal fremd. Nur im Sommer brach das Schwelleneis gelegentlich ein wenig, bei Ausflügen flußaufwärts zur “Lustigen Witwe” und dem “Zigeunerbaron” bei den Koblenzer Operettenfestspielen auf einer Freilichtbühne am Rhein und einmal sogar, während eines Bodenseeurlaubs, zur “Fledermaus” bei den Bregenzer Festspielen. Meine Schwester und ich wurden zu diesen Gelegenheiten den Großeltern in Obhut gegeben oder blieben, später in der Kölner Etagenwohnung, allein zuhaus; doch nach ihrer Heimkehr malte mir die anschauliche Schwärmerei meiner Mutter ein so lebendiges Bild, daß ich mir solchen Musikgenuß unterm Sternenhimmel ersehnte. Auch wenn ich kaum je ein Bedürfnis verspürte, selber ein Musikinstrument zu lernen, und lieber auf der Olympia-Reiseschreibmaschine komponierte, die ich mir zum zwölften Geburtstag gewünscht hatte, wurde ich als Gymnasiast begeisterter Musikkonsument und beschränkte mich dabei nicht nur auf ein paar mückengeplagte und regenbedrohte Outdoor-Konzerte in der warmen Jahreszeit, sondern bemühte mich so oft wie möglich um Last-Minute-Schülerkarten für den Gürzenich und das Opernhaus am Offenbachplatz. Unvergessen das fulminanteste Bühnenerlebnis meiner Jugend: die Uraufführung von Bernd Alois Zimmermanns Oper “Die Soldaten”, in deren donnernden Premierenbeifall (neben ein paar lautstarken Buhs—ach, wie aufregend, wenn sich die Geister scheiden!) ich Primaner mit meiner Zweimarkkarte einstimmen durfte, weil in der Viertelstunde, bevor sich der Vorhang hob, die vereinzelten freien Plätze wie üblich von der Kassiererin an interessierte Pennäler vergeben worden waren. Das war 1965.

***

Sommerfestspiele florieren heutzutage überall. Ob Schauspiel, Ballett, Volksmusik, Jazz, Rock’n Roll oder die Spielarten der Klassik—jeder künstlerische Anspruch kann irgendwo und -wie auf seinen Geschmack kommen. Das gibt es nicht nur hundertfach in Europa, sondern in der ganzen westlichen Kulturwelt. So habe ich in der antiken römischen Theaterruine von Caesarea den Israelischen Philharmonikern zugehört und in Australien, an der Great Ocean Road zwischen Melbourne und Adelaide, in Zelthallen und auf offener Straße das Port Fairie Folk Festival erlebt. Und in Amerika, seit über drei Jahrzehnten meine Wahlheimat, genoß ich manch kulturelle Sommervergnügung, wie das Oregon Shakespeare Festival, bei dem man auf drei Bühnen und höchster professioneller Ebene neun Theaterproduktionen beklatschen kann; das bis kurz vor der Jahrtausendwende vom Bread and Puppet Theater auf einer Farm in Vermont organisierte gigantische Riesenpuppenspektakel; und das berühmteste der etwa sechzig klassischer Musik gewidmeten Sommerfestspiele in Nordamerika, das Tanglewood Music Festival in Massachusetts, bei dem Stars der internationalen Spitzenklasse zu hören und zu sehen sind.

Besonders viel erwartete ich vom Summer Music Festival in Wintergreen nicht—eigentlich nicht viel mehr als ein paar provinzielle Mozarteien und Beethoveniaden. So hatten wir anfangs nur ein, zwei Wochenendkonzerte in unsere Sommerwochen eingeplant; immerhin, die Fahrt dahin und dann wieder heim entlang kurvigen zweispurigen Landstraßen dauert jedesmal fast eine Stunde.  Überhaupt hatten wir in all unseren Jahren in Virginia Wintergreen noch nie einen Sommerbesuch abgestattet, kannten den Ort nur von wenigen Stippvisiten in der kalten Jahreszeit, wenn wir in den frühen Neunziger Jahren, bevor es dort überhaupt ein Sommerfestival gab, unserer Tochter den Gefallen getan hatten, sie zu ihrem Skiplaisier zu kutschieren. (Normalerweise wurde ihre Schulskigruppe per Schulbus auf den Berg transportiert, oder selbst skifahrende Eltern ihrer Freunde nahmen sie mit.)

Unsere Überraschung hätte kaum größer—und kaum angenehmer—sein können. Was uns erwartete, war ein überwältigendes Programm von so erstaunlicher professioneller Qualität, daß wir nach dem ersten Wochenende unseren Kalender ummodelten und uns auch an Wochentagen auf die Reise machten, um wenigstens einen kleinen Teil der insgesamt dreihundert Veranstaltungen miterleben zu können, die das zweihundertseitige Programmbuch über den Zeitraum von vier Wochen auflistete.

Seine ersten schüchternen Schritte hatte das Wintergreen Festival Mitte der Neunziger gemacht, inspiriert vom Aspen Festival in Colorado.  Bald konnten sich die wohlhabenden Sponsoren hin und wieder Stars leisten wie den Cellisten János Starker. Aber erst ab Sommer 2007, nachdem sowohl die künstlerische wie die geschäftliche Leitung dem an der Juilliard School in New York, der führenden Musikhochschule der U.S.A., ausgebildeten Komponisten,  Pianisten und früheren Universitätsdekan Larry Alan Smith übertragen worden war, einem Dynamo unermüdlicher Energie, explodierte das ganze Unternehmen zu seinem heutigen Umfang—einer Größe, die fast seinesgleichen sucht, vor allem in so einer abgeschiedenen Umgebung.

Amateure haben bei diesen Festspielen nichts zu bestellen. Selbst die zweiten und dritten Geigen des Orchesters waren Berufsmusiker, die gewöhnlich ihrem heimischen Sommerloch entkommen konnten und sich hier, in musischer Sommerfrische, ein paar Heller dazuverdienten. Die meisten Konzerte fanden in einer Zelthalle mit vierhundert Klappsitzen statt; vom Hintergrund der Bühne grüßte eine bunte Riesenleinwand, nicht gerade wirklichkeitsgetreu, doch pittoresk bedruckt mit Sehenswürdigkeiten wie Schloß Schönbrunn und Stephansdom, während über den Häuptern des Publikums Portraits der Komponisten schwebten. Mozart, Brahms, Beethoven, Schubert, Vater und Söhne Strauss wurden sowohl von etablierten amerikanischen Größen wie dem Violinisten James Buswell und aufstrebenden internationalen Künstlern wie dem in Wien ausgebildeten spanischen Dirigenten Josep Caballé-Domenech präsentiert als auch hervorragenden Musikern am Anfang ihrer professionellen Karriere. Der pensionierte Juilliard-Professor Paul Sperry hielt öffentliche Meisterklassen für junge Opernsänger ab; in den zwei Stunden, die wir dabeisaßen, schaffte er es, bei seinen vier Meisterschülern—zwei Soprane, ein Tenor, ein Bariton—die Interpretation von Schubert-Liedern so zu modulieren, daß die anfangs etwas mechanisch gesungene deutsche Romantik des 19. Jahrhunderts am Ende völlig glaubhaft klang. Der Komponist und Mozartforscher Michael White, ebenfalls Juilliard-Professor, ließ von Schauspielern Auszüge aus seinem Buchmanuskript “Imaginary Letters—Mozart Remembered” theatralisch aufführen, die Mozart lebensnaher, zeitnaher und trotzdem fast noch exzentrischer darstellten als Peter Shaffer’s Broadway-Stück (und Hollywood-Film) “Amadeus”. Aber auch Verbindungen zum Wien des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts wurden nicht vernachlässigt. So spielte Elisabeth von Trapp, Enkelin der “Sound of Music”-Trapps, klassische Gitarre, und die vor den Nazis nach Amerika geflohenen jüdischen Komponisten Arnold Schönberg und Erich Zeisl kamen nicht nur zu ihrem konzertanten Recht, sondern ihre miteinander vermählten Sprößlinge Ronald Schönberg (pensionierter Richter in Los Angeles) und Barbara Zeisl Schönberg (emeritierte Germanistikprofessorin) reisten aus Kalifornien an, um über ihre Väter und die deutsch-österreichische Kulturvertreibung zu reminiszieren. Den Anschluß an die Gegenwart bildete schließlich der 1955 geborene Wiener Ton- und Kunstmaler (und diesjährige “composer in residence”) Wolfgang Seierl, zu dessen musikalischer Schöpfung “Die Wolke und die Uhr” die ausgezeichnete Bowen McCauley-Tanzcompagnie aus dem Washington-Vorort Arlington eine expressive Choreographie lieferte.

Festspielbesucher, die nach weanerischen Genüssen für Leib und Magen lechzten, konnten übrigens ebenfalls auf ihre Kosten kommen. So wurde im Freiluft-“Café Zeisl” Heuriger kredenzt, und es gab zum Kleinen Schwarzen oder Großen Braunen Sachertorte zu schmausen. Wer’s etwas exklusiver mochte (immerhin lassen sich die beträchtlichen Unkosten dieses Festivals weniger durch die Eintrittspreise bestreiten als, wie in den U.S.A. üblich, durch Sponsorenspenden), der konnte vom aus Kärnten stammenden Washingtoner Meisterkoch Wilhelm Jonach lernen, wie man Linzertorte und Apfelstrudel bäckt, oder sich von Marco Krainer (“bekannt als TV-Koch aus der Hobbythek im WDR”) mit einem exklusiven Mahl verwöhnen lassen.

“Willst Du immer weiter schweifen? / Sieh, das Gute liegt so nah”, dichtete Johann Wolfgang von Goethe. Wie recht er doch (manchmal) hatte! Wir haben unsere Kalender schon für die vier Juliwochen des nächsten Jahres mit “Wintergreen” markiert; zwar steht dann nicht mehr Wien auf dem Programm, aber “Realms of Gold: A Mediterranean Odyssey” klingt ebenfalls vielversprechend. Goldene Gefilde des Mittelmeers—bin gespannt, in welchen konzertalen Häfen die Musikantenflotte des nimmermüden Larry Alan Smith 2011 ankern wird, bezweifle allerdings, gemessen an der diesjährigen Perfektion, daß die mediterrane Odyssee zu einer Irrfahrt gerät. Aber ein bißchen metaphorische Übertreibung darf ruhig sein, wenn es darum geht, touristische Köder für den Geheimtipp eines so virtuosen Musikfestivals auszuwerfen.

***

“Es war Händel”, ruft meine Mutter ein paar Tage nach unserem ersten Gespräch über ihre frühen Musikgenüsse ins Telefon. “Händel, nicht Mozart.”

“Was meinst du, Händel?”

“Händel. Auf der Entbindung, damals im Radio nach deiner Geburt. Ich hab nochmal drüber nachgedacht. Mozart kam später.”

“Bist du sicher? Das ist über sechzig Jahre her.”

“Ja, Händel. Bin ich mir jetzt sicher. Mozart kam erst später.”

“Verflixt”, sage ich. “Händel hat nix mit Wien zu tun. Der ging nach England.”

“Eben”, sagt meine Mutter. “Es wurde ja im NWDR gesendet. Britische Besatzungszone.”

“Jetzt hab ich schon Mozart geschrieben. Händel paßt da nicht.”

“Ist doch egal”, sagt meine Mutter. “Schreib ruhig Mozart. Es ist ja nicht so, als würde mich sonst jemand danach fragen. Hauptsache, es paßt.”

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