Gerd Buurmann / 13.04.2018 / 10:00 / Foto: Gerd Buurmann / 19 / Seite ausdrucken

Sie haben die Wahl: Davidstern oder Hakenkreuz?

Ausgerechnet am 20. April 2018 findet im Theater Konstanz die Premiere von George Taboris „Mein Kampf“ in der Inszenierung von Serdar Somuncu statt. In der Ankündigung zu der Inszenierung heißt es auf der Homepage:

„Die Aufführung von Mein Kampf beginnt schon mit dem Kartenkauf. Sie können sich entscheiden: Mit dem regulären Erwerb einer Eintrittskarte in der Kategorie ihrer Wahl erklären Sie sich bereit, im Theatersaal einen Davidstern zu tragen. Sie haben auch die Möglichkeit kostenlos ins Theater zu gehen: Für eine Freikarte erklären Sie sich bereit, im Theatersaal ein Hakenkreuz zu tragen. Die Symbole erhalten Sie vor der Vorstellung im Theaterfoyer. Bitte nehmen Sie diese nach der Vorstellung noch im Theater wieder ab.“

Der Regisseur des Stücks ist kein Jude. Die Mitarbeiter des Theater Konstanz sind – vermutlich – keine Juden. Es wäre auch eigentlich vollkommen unwichtig, welcher Religion die Mitarbeiter des Theater Konstanz angehören, würden sie ihre Gäste nicht dazu auffordern, Judenstern oder Davidstern zu tragen. Es kann nämlich passieren, dass Juden das Theater besuchen. 

Ich finde den Gedanken, dass ein nicht-jüdisches Theater in Deutschland Juden auffordert, Davidstern oder Hakenkreuz zu tragen, höchst unangenehm. 

Ein Gedanke zu wenig

Wenn Serdar Somuncu diese Erzwingung einer Entscheidung lustig findet, kann ich nur hoffen, dass er niemals „Sophies Entscheidung" inszeniert. Man sollte dann jedenfalls nicht mit seinen Kindern ins Theater gehen.

Diese Erzwingung einer Entscheidung ist besonders unangenehm, weil sich ein Jude, der sich aufgrund seiner persönlichen Biografie nicht zu einer Entscheidung durchringen will, als Jude zu erkennen geben muss. Das ist eine höchst problematische Situation für einen Menschen, der einfach nur ins Theater gehen will, um ein Stück sehen, bei dem man annehmen darf, dass sich die Inszenierung, gerade aufgrund der Thematik, besonders sensibel mit dem Thema auseinandergesetzt hat. 

Serdar Somuncu hat sich wohl wenig Gedanken darüber gemacht, was es für einen Menschen bedeutet, der Opfer des Hasses wurde und wird, der in dem Stück „Mein Kampf" auf bitterkomische Art und Weise thematisiert wird, sich zwischen Davidstern und Hakenkreuz entscheiden zu müssen. Die Inszenierung jedenfalls erwartet nun von Juden, die das Theater Konstanz besuchen möchten, sich zu entscheiden, einen Judenstern oder ein Hakenkreuz zu tragen.

Entweder hat Serdar Somuncu nicht damit gerechnet, dass Juden in seine Inszenierung gehen, oder er lässt es an Empathie für Juden fehlen. 

Auschwitz – nur noch ein Porno

Diese Inszenierung zeigt, wie weit die deutsche Vergangenheitsbewältigung mittlerweile gekommen ist. Die deutsche „Kultur“ der Erinnerung ist zu einem Rudelbums von überwiegend nicht-jüdischen Deutschen verkommen. Auschwitz ist für diese Voyeure nur noch ein Porno, um die eigene Potenz zu steigern. 

Das einige Juden diesem Gangbang aus nachvollziehbaren Gründen eher fernblieben, kommt Serdar Somuncu nicht in den Sinn. Das wäre auch zu viel verlangt, wenn man bei einem Stück über Judenhass daran denken müsste, was Juden wohl dabei fühlen könnten. 

Die Schwäbische hat derweil auf Facebook eine Umfrage gestartet:

„Hakenkreuzbinde oder Davidstern? Die Zuschauer im Theater Konstanz müssen sich kommende Woche beim Stück 'Mein Kampf', inszeniert von Kabarettist Serdar Somuncu, entscheiden. Zu krass? Geht gar nicht. Er verhöhnt damit die Opfer. Die Kunst ist frei und darf auch weh tun.“

Diese Umfrage ist so undurchdacht wie die Inszenierung. Die beiden Alternativen widersprechen sich nämlich nicht. Beide Antworten treffen zu:

„Die Kunst ist frei und darf auch weh tun. Diese Inszenierung zum Beispiel tut weh und verhöhnt die Opfer. Das geht gar nicht, ist aber erlaubt.“

Foto: Gerd Buurmann

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Leserpost

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Hildburg Heider / 13.04.2018

Das Theater ist schon längst zum Porno verkommen. Seit den 1970er Jahren scheinen “progressive” Regisseure nicht mehr ohne Körperflüssigkeiten auf der Bühne auszukommen. Ich erinnere an die unsägliche Don-Giovanni-Inszenierung von Roberto Ciulli in der Bonner Oper, die ein Besucher - als der Vorhang fiel - mit dem Ruf “Perversion” beantwortete. Die Regieeinfälle müssen natürlich immer mehr auf die Spitze getrieben werden, der Kitzel nutzt sich ja ab. Nun sind also auch die letzten Schamgrenzen gefallen, was das tiefste deutsche Trauma betrifft. Auschwitz wird salonfähig (siehe auch die gestrige Echo-Verleihung). Nein, es ist nicht alles erlaubt. Kunst soll ins Herz treffen oder einfach nur umwerfend schön sein. Wenn sie Ekel erregt, mich umerziehen will oder mich im Dunkel des Zuschauerraums als Geisel nimmt, kann ich auf sie verzichten. Ich gehe übrigens nur noch sehr selten ins Sprechtheater.

Gabriele Schulze / 13.04.2018

Bin nicht heil- sondern gottfroh, daß ich als Angehörige des darstellenden Gewerbes nicht mehr an deutschen Bühnen angestellt und dadurch weisungsgebunden bin! Das ist einfach nur strunzdumm und dégoûtant!!

Werner Arning / 13.04.2018

Unsere Gesinnungshelden vergreifen sich ständig im Ton und in den Mitteln. Es mangelt an Einfühlungsvermögen. Sie feiern ihr eigenes Heldentum und ihre „orginellen“ Ideen. Sie rechnen sich wahrscheinlich zur künstlerischen Avantgarde. Ob sie dabei wirklich an die Opfer denken, um die es ihnen angeblich geht, darf bezweifelt werden. Ihre Bemühungen das Publikum zum „Nachfühlen“ zu bringen sind rührend, jedoch völlig deplatziert. Und dass es in Deutschland lebende Juden gibt, die das Stück vielleicht interessieren würde, denen jedoch diese „Markierung“ nicht zuzumuten ist, auf diesen Gedanken kommt keiner der Verantwortlichen?

Thomas Rießinger / 13.04.2018

“Diese Inszenierung zeigt, wie weit die deutsche Vergangenheitsbewältigung mittlerweile gekommen ist.” Und sie zeigt, wie tief das deutsche Theater gesunken ist.

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