Johannes Richardt, Gastautor / 06.10.2017 / 06:14 / Foto: Friviere / 12 / Seite ausdrucken

Sezession ins Nirgendwo

Von Johannes Richardt und Kolja Zydatiss

Der katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont hat angekündigt, in den nächsten Tagen die Loslösung seiner Region von Spanien zu verkünden. Sobald das vollständige Ergebnis des Referendums vom 1. Oktober vorliege, werde Katalonien binnen 48 Stunden die Unabhängigkeit ausrufen (aktuell werden noch Stimmen aus dem Ausland ausgezählt). Am vergangenen Sonntag hatten bei dem verfassungswidrigen Referendum bei einer Wahlbeteiligung von 42 Prozent 90 Prozent für die Abspaltung von Spanien gestimmt. Das entspricht etwas mehr als einem Drittel aller Wahlberechtigten.

Ein starkes Mandat sieht anders aus. Das bereits im Vorfeld der Wahl unverhältnismäßige und brutale (und letztlich erfolglose) Vorgehen der spanischen Zentralregierung zur Verhinderung des Referendums dürfte zu einer hohen Mobilisierung und Solidaritätseffekten bei den Unabhängigkeitsbefürwortern beigetragen haben, während die überwiegende Mehrheit der Gegner einfach zu Hause geblieben sind, weil sie die Abstimmung ohnehin als illegitim oder sinnlos betrachtet haben.

Irreführenderweise wird in den hiesigen Medien oft von „den Katalanen“ auf der einen Seite und „den Spaniern“ auf der anderen Seite gesprochen. Dabei gerät leicht in Vergessenheit, dass Katalonien in der Unabhängigkeitsfrage tief gespalten ist. In den letzten Wochen vor dem Referendum haben die Gegner der Abspaltung bei Umfragen deutlich in Führung gelegen. Erst durch die halsstarrige Haltung der in Katalonien sehr unpopulären konservativen Regierung unter Ministerpräsident Rajoy, die die seit Franco-Zeiten ebenfalls wenig geschätzte paramilitärische Guardia Civil zur Verhinderung des Referendums entsandte, kippte die Stimmung.

Vor gar nicht allzu langer Zeit wurden die Abtrennungswilligen in Katalonien noch belächelt. Ihr Anteil in der Bevölkerung betrug jahrzehntelang nicht mehr als 20 Prozent. Erst in den letzten zehn Jahren pendelte sich ein ungefährer Gleichstand zwischen dem Lager der Separatisten und dem der Befürworter der spanischen Einheit ein. Als die Spanier im Jahr 1978 nach Jahrzehnten der Franco-Diktatur eine demokratische Verfassung verabschiedeten, stimmten auch 90 Prozent der Katalanen dafür. Die Verfassung gewährte den Regionen Katalonien, Galicien und dem Baskenland ein hohes Maß an Autonomie, untersagte dafür aber unzweideutig jegliche Sezession. Dies ist das Hauptargument der Gegner der katalonischen Unabhängigkeit.

Katalonien ist schon lange nicht mehr der Wirtschaftsmotor Spaniens

Der Aufstieg des katalonischen Separatismus in den letzten Jahrzehnten mit seiner Überbetonung einer vermeintlich eigenständigen kulturellen Identität „der Katalanen“ reiht sich in die allgemeine identitätspolitische Wende in Europa ein. Individuen definieren sich zunehmend nicht mehr über ihre frei gewählte politische Haltung („sozialistisch“, „liberal“…) oder die Zugehörigkeit zu die eigene Herkunft transzendierenden Großinstitutionen wie Kirchen oder Gewerkschaften. Angeblich unverrückbare Merkmale wie die ethnische Gruppenzugehörigkeit gewinnen an Bedeutung.

Dieses antiindividualistische und antiuniversalistische Denken in kulturellen Schubladen verbindet die rechten identitären Bewegungen – von den „Wahren Finnen“ über den Front National bis zur deutschen AfD – mit den Separatistenbewegungen in Katalonien, Flandern, Schottland, Norditalien oder anderswo. Während erstere von den europäischen Eliten bekämpft werden, wurden letztere über Jahrzehnte von der EU gefördert, die dieses falsche Verständnis von „Vielfalt“ sogar zum offiziellen Programm erhob (wohl nicht zuletzt auch, weil man durch die Stärkung der Regionen die Souveränität der Nationalstaaten aushöhlen wollte). Das Ergebnis ist ein Flickenteppich von Gebieten, die nach mehr Autonomie oder vollständiger Unabhängigkeit schreien.

Der katalanische Nationalismus ist nicht nur politisch rückwärtsgewandt. Er steht auch ökonomisch auf wackligen Beinen. Viele Katalanen gelangten in den letzten Jahren zu der Auffassung, dass ihre Region die Folgen der EU-Austeritätspolitik besser auf eigene Faust meistern könnte als in der nationalen Solidargemeinschaft Spaniens. In ihrem Stolz auf die kulturellen Eigenheiten übersehen sie, wie es um die katalanische Wirtschaft tatsächlich steht.

Katalonien ist schon lange nicht mehr der Wirtschaftsmotor Spaniens, sondern bloß eine von vielen Regionen mit einer respektablen Wirtschaftsleistung. Die Wirtschaft Kataloniens ist sehr eng mit anderen spanischen Regionen verflochten und in einem überproportionalen Maß vom spanischen Binnenmarkt abhängig – eine Abspaltung hätte wohl massive wirtschaftliche Einbrüche zur Folge. Zudem ist die Region sowohl in absoluten Zahlen als auch im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt die am höchsten verschuldete Region des Landes.

So unvernünftig, illegitim und rückwärtsgewandt das katalonische Referendum auch sein mag (das einzig progressive daran ist wohl die Forderung nach der Ersetzung der Erbmonarchie durch eine Republik, in der das Staatsoberhaupt nicht wie bisher in Spanien durch den Zufall der – blaublütigen – Geburt, sondern durch demokratische Wahlen bestimmt wird), ändert dies jedoch nichts daran, dass das Vorgehen der Zentralregierung scharf zu verurteilen ist.

Die katalanischen Separatisten haben friedlich und demokratisch für ihre Sache gekämpft. Die spanische Regierung hingegen hat eine beunruhigende antidemokratische Haltung erkennen lassen. Statt auf die Macht des Arguments setzte sie auf Verhaftungen, Polizeigewalt und andere, letztlich erfolglose Störungen des Wahlablaufs.

Einmal mehr zeigte sich in Katalonien, wie nervös die politischen Eliten des Kontinents inzwischen auf jegliche Artikulation des Volkswillens reagieren, die nicht dem eigenen Plot entspricht. Nun haben wir das denkbar schlechteste Ergebnis. Der spanische Staat hat an Legitimität eingebüßt, der katalanische Nationalismus wurde gestärkt und das Land steht kurz vor der Spaltung.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Novo hier.

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Wieland Schmied / 06.10.2017

Meine Herren, Glückwunsch zu Ihrem glühenden Appell für den sozialistischen Zentralstaat Europäische Union. Das hätten Sie auch kürzer machen können. Erschreckend dieses unsägliche Denken sozialistischer Globalisten. Hoffentlich obsiegen die rückwärtsgewandten Sezessionisten dieses Kontinents, jetzt aktuell in Spanien, bald und nachhaltig. Alle Freiheiten dem Bürger.

Steffen Falk Schott / 06.10.2017

Die Überbetonung der Härte der Maßnahmen der spanischen Regierung im Vergleich zur milden Beurteilung des Tuns der Separatisten gefällt mir weder hier noch sonstwo. Carles Puigdemont unternimmt es, den physischen und verfassungsmäßigen Bestand des Königreiches und seine Gebietsintegrität zu zerstören. In Deutschland wäre das Hochverrat - und daß Regierungen dem mit Gelassenheit und Dialogangeboten begegneten, wäre eine neue Entwicklung und obendrein keine gute.

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