Gibt es zu einer Thematik keine Beschwerden, sorgen findige Politiker eben dafür, dass etwas zum Problem wird. In dem Sinne haben die Linken in Berlin der "sexistischen" Werbung den Kampf angesagt. Es liegen zwar keine Reklamationen vor, ihm sei auch keine sexistische Werbung in Charlottenburg bekannt, gibt ein Exponent laut "Tagesspiegel" zu. Trotzdem soll sie in der ganzen Stadt verboten werden.
Gemäss dem Kriterienkatalog von "Terre des Femmes" ist Werbung sexistisch und stuft die Frau zum Lustobjekt herab, wenn, unter anderem:
1) Sexualität kommerzialisiert und Produkte dadurch emotionalisiert werden
2) die sexualisierte Darstellung von Frauen als 'befreite Sexualität der Frau' getarnt wird
3) Frauen unpassenderweise spärlich bekleidet sind
Besonders Frauen würden sich durch sexualisierte Werbung physisch minderwertig und diskriminiert fühlen; Essstörungen, Körperscham oder Depressionen seien die Folge. Hinzu kommen laut "Terre des Femmes" schlechter Sex, geringer Selbstwert, verminderte Denkleistung, sexuelle Belästigung, weniger Mitsprache und schlechte Noten.
Die Verbannung von Bikini- und Unterwäsche-Werbung an öffentlichen Orten ist deshalb zum erklärten, flächendeckenden Ziel politisierender Frauenversteher geworden. Als eine seiner ersten Amtshandlungen hatte etwa Londons Bürgermeister Sadiq Khan vergangenes Jahr "allzu offenherzige und sexualisierte Werbung" in Metros und Bussen verboten. In der Schweiz gibt es in einigen Kantonen seit 2011 ein Gesetz gegen sexistische Werbung: Die Fachstelle für Gleichstellung jagt jedes Plakat auf öffentlichem Grund zuerst durch den Sexismus-Scanner.
Warum ist Begehren etwas Negatives?
Es stimmt, dass insbesondere jüngere Damen Rollenmodellen und Schönheitsidealen nacheifern, was sich ungesund auf Körper und Seele auswirken kann (dasselbe gilt übrigens auch für Männer). Eine breit angelegte medizinische Studie aber, mit der sich ein konkreter Zusammenhang ableiten liesse zwischen dem Anblick eines sexy Bikinimodell-Plakates und den psychischen Problemen einer Frau habe ich bislang noch nicht gefunden – falls welche existieren, lasse ich mich gerne eines Besseren belehren.
Zu Punkt 1 im Kriterienkatalog: "Sexualität wird kommerzialisiert und Produkte werden dadurch emotionalisiert": Ja, hoffentlich werden Produkte emotionalisiert, dann werden sie nämlich besser verkauft. Wer sich gegen Kommerzialisierung von Sexualität ausspricht, bedient sich eines Schein-Argumentes, ausser, er prangert auch die Kommerzialisierung von Krankheit oder das Älter werden an – ein stetig wachsender Werbemarkt. Alleine die Arzneimittelbranche investiert 1,3 Milliarden Euro in Werbung. Warum wird nie thematisiert, dass sich kranke oder alte Menschen dadurch psychisch minderwertig und diskriminiert fühlen könnten?
Die Logik der Verbots-Befürworter beruht ja auf der Annahme, dass Bikini- oder Unterwäsche-Werbung mit Sexappeal Begehren auslöse und Begehren gleich Sexismus ist – mit all seiner Lüsternheit und Herabsetzung. Nun lösen aber Plakate mit Sexappeal nicht zwingend Begehren oder Begierde aus. Und auch wenn es so wäre, warum ist Begehren etwas Negatives? Begehren ist ein Kompliment. Jemanden sexy zu finden, ist ein Kompliment – für Frau und Mann (und selbstverständlich für alle dazwischen). Wer Begehren als etwas anderes auslegt, ist gefühlsmässig abgestumpft oder benebelt von einer unzeitgemässen Art der Prüderie. Natürlich kann man jetzt sagen, Begehren ist der Vorläufer von Angrapschen oder von sexueller Gewalt und deshalb gefährlich. Und wenn im Haus eine Treppe existiert, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass jemand diese einmal herunterstürzt.
Am besten gleich den Modelberuf abschaffen
Punkt 2: Werbung werde als "befreite Sexualität der Frau" getarnt. Dass die "befreite Sexualität" von der Frau aus gehen und Teil ihrer Selbstbestimmung sein könnte, scheint für die Vorkämpfer solcher Verbotskampagnen grundsätzlich unmöglich. Denn das wäre ja eigenständiges Denken und hiesse, Frauen wären keine Opfer. In Zeiten aber, wo der Opferstatus als höchste Währung gilt und Unterstützung und Förderung in allen Lebensbereichen verspricht, macht die permanente Darstellung der Frau als herabgewürdigtes, schwaches, sexualisiertes Geschöpf von ihrem Blickwinkel aus natürlich Sinn.
Nur ist das Problem an solchen Thesen, dass sie in grossen Zügen fernab der Realität liegen: Frauen sind grundsätzlich nicht schwach und hilfsbedürftig. Uns darf man durchaus selbständiges Denken und Abwägen zutrauen. Und auch junge Frauen sind klug genug um zu wissen, dass sie nicht aussehen müssen wie Models, dass Werbung nicht immer der Realität entspricht und dass überall digital verschönert, geglättet, verlängert wird – sie sind ja praktisch mit Photoshop und Retusche-Programm aufgewachsen. Und falls es jemand verpasst hat: Es gehört heute zum Standard, dass sich junge Frauen bauchfrei und mit Ultra-Hotpants präsentieren (Punkt 3 im Katalog), im vollen Bewusstsein, dass sie sich damit als Lustobjekt darstellen. Ist diese Aufmachung etwa auch sexistisch… oder doch eher sexy?
Politiker, die ein Verbot für "sexistische" Werbung fordern, müssten konsequenterweise auch ein Verbot für erotisierende Stoffstücke wie dem Push up-BH oder dem Brazilian Bikini fordern. Sie müssten Stars wie Beyoncé oder Shakira zur Mässigung ihrer Outfits auffordern. Sie sollten am besten auch gleich den Modelberuf abschaffen, das Leistungsschwimmen, die Leichtathletik, damit sich beim Anblick dieser wunderbaren, gestählten, sexy Körper ja keine Frau auf dieser Welt minderwertig, diskriminiert und herabgewürdigt fühlt.
Wer schützt uns Frauen eigentlich vor diesem Überschutz?
Der Beitrag erschien in kürzerer Form zuerst in der Basler Zeitung. Tamara Wernlis Kolumne gibt es auch als Videobotschaft, man kann sie auf ihrem YouTube-Kanal abonnieren. Folgen Sie ihren täglichen Wortmeldungen auch auf Twitter. Tamara Wernli arbeitet als freiberufliche Moderatorin und als Kolumnistin bei der Basler Zeitung. In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gesellschaftsthemen.