Bernhard Lassahn / 21.08.2012 / 11:27 / 0 / Seite ausdrucken

Sexismus ist weiblich – oder:  Das Märchen vom bösen Buschmann (1. Teil)

Erster Teil

Was haben Frauen für ein Bewusstsein von Aggression und Unterdrückung? Haben Affen den Flitzebogen erfunden? Hat jede Frau ein süßes Geheimnis? Warum schleppen schwarze Männer Scheiße? Wie erkennt man Sexisten? Warum schmeckt ihnen die Süßspeise nicht?

Das sind vielleicht Fragen. Die haben sich nach und nach ergeben, als ich die Überschrift las: „Viele Frauen haben kein Bewusstsein für die eigene Aggression“. Es war die Überschrift zu einem Interview mit Dr. Barbara Kiesling (auf ‚Cuncti’). Sie sprach mir aus dem Herzen.
Dann sagt sie an einer Stelle: „Männer haben in den vergangenen Jahrhunderten die Welt regiert, sie haben Kriege geführt und die Frauen unterdrückt ...“
Nun ja, das sagt man so. Als da ausnahmsweise ein kritischer Einwand kommt, ein zaghaftes „Äh ...“, gerät sie kurz aus der Spur, läuft sich aber schnell wieder warm, erklärt was sie eigentlich sagen wollte und offenbart eine Schwachstelle:
„Wir können uns wohl darauf einigen, dass es das große Verdienst der Frauenbewegung ist, bei den Frauen ein Bewusstsein dafür geschaffen zu haben, dass die Vorherrschaft des Mannes nicht naturgegeben ist. Durch die Kraft, die mit der feministischen Bewegung einherging, haben Frauen ein bisher nicht vorhandenes Selbstbewusstsein entwickelt und sich auf ihre eigenen Potenziale besinnen können.“
Wohl ist mir dabei nicht. Ich möchte mich lieber nicht so schnell mit ihr in diesem Sinne einigen. Es ist vielleicht unfair, wenn ich nun ausgerechnet eine Textstelle genauer angucke, die nur so dahergeredet ist, aber ich habe kein schlechtes Gewissen: Gerade Stolpersteine regen zum Nachdenken an. Außerdem habe ich das Gefühl, dass es nicht „ihre eigenen“ Worte sind, die sie da von sich gibt, ich vermute, dass Barbara Kiesling an der Stelle als anonymes Sprachrohr dient und etwas sagt, das eine andere Frauenstimme genauso gut hätte sagen könnte. Oder genauso schlecht.
Warum so schwammig? In den Filmbüchern von Federico Fellini finden wir gelegentlich eine Regieanweisung, die auch hier passt: „Nebel hier. Nebel dort!“ Es ist ziemlich undurchsichtig, was da ausgebreitet wird. Sie spricht von den „Potenzialen der Frauen“. Was meint sie damit? Die Gebärfähigkeit? Wenn ja: was noch? (Wir haben einen Plural); wenn nein: wieso nicht? Gehört das etwa nicht zum neuen Selbstbewusstsein der Frau? Wieso bezeichnet sie die als „eigene“ Potenziale? Sind das welche, die nur Frauen ihr eigen nennen dürfen (also doch Gebärfähigkeit) oder sind es welche, die Frauen für sich alleine haben wollen?
Nebelig ist es auch bei einem Begriff, bei dem man Klarheit erwarten sollte: „Bewusstsein“. Sie spricht vom Bewusstsein, das durch die Frauenbewegung geschaffen wurde. Darf man gratulieren? Hat die Frauenbewegung etwas geleistet, was die Philosophen der Aufklärung und die politischen Agitatoren immer nur in Ansätzen geschafft haben? Oder kommt der großartige Erfolg im Schaffen von Bewusstsein nur deshalb so flott zustande, weil dermaßen plump vereinfacht wird, dass es nicht mehr so recht zu einem Begriff wie „Bewusstsein“ passt? Jedenfalls nicht, wenn man bewusst damit umgeht.
Zweimal kommt es in dem Zitat vor (einmal als „Selbstbewusstsein“) – und wir hatten es schon in der Überschrift. Da drängt sich eine Pointe auf, wie sie Kabarettisten gefallen würde: „Viele Frauen haben kein Bewusstsein für die eigenen Aggression ...“ so geht es los, und weiter: „ ... und außerdem kein Bewusstsein von den komplexen Vorgängen, die zur Bewusstseinsbildung beitragen.“
Gegenvorschlag: Vielleicht können wir uns so einigen: Im Zuge der Frauenbewegung haben sich verschiedene Frauen zu Wort gemeldet und ihren Bewusstseinsstand über die „naturgegebene Vorherrschaft“ der Männer zum Ausdruck gebracht. Und? Was haben sie gesagt?
Spulen wir also zurück und nehmen uns den Satz noch mal zur Brust: „Wir können uns wohl darauf einigen, dass es das große Verdienst der Frauenbewegung ist, bei den Frauen ein Bewusstsein dafür geschaffen zu haben, dass die Vorherrschaft des Mannes nicht naturgegeben ist ...“
Wie ist das gemeint? Worauf bezieht sich die Negation, die in dem „nicht“ steckt? Auf die „Vorherrschaft des Mannes“ oder auf das Wort „naturgegeben“? Wenn sie sich auf die „Vorherrschaft des Mannes“ bezieht (was ich vermute), dann soll mit dem Satz soviel gesagt werden wie: Es gibt keine Vorherrschaft des Mannes, das hat man früher fälschlicherweise so gesehen und hat es als naturgegeben hingenommen. Wenn sich die Negation jedoch auf „naturgegeben“ bezieht (und so klingt der Satz), dann wird damit gesagt: Es gibt schon eine Vorherrschaft des Mannes, doch die ist nicht naturgegeben.
Sondern? Wie dann? Kulturell? Sozial konstruiert? Mühevoll erworben? Wenn das so ist, dann ist die Vorherrschaft rechtmäßig - und alles ist gut; dann gab es keine von Natur aus besseren Bedingungen für Männer. Wollte sie das sagen?
Wahrscheinlich nicht. Ich habe den Satz nicht ausgesucht, um ihr eine Ungenauigkeit nachzuweisen, sondern weil ich in dem unglücklich formulierten Satz ein echtes Unglück vermute. Sie wollte wahrscheinlich ein zweifaches Nein aussprechen. Den Eindruck habe ich. Aus dem Nebel leuchten mir zwei Lichter entgegen: das eine rote Licht ist das Nein zur Vorherrschaft des Mannes und das andere ist das Nein zur Natur.
Ich will versuchen, den Nebel zu lichten und verabschiede mich bei der Gelegenheit von Barbara Kiesling, deren Zitat ich für den Einstieg verwendet habe - und ich tue es nicht, ohne mich für die Teile in ihrem Interview, die ich nicht zitiert habe, zu bedanken.
Ich wende mich stattdessen Ingelore Welpe und Isabell Welpe zu, die in dem Buch ‚Frauen sind besser. Männer auch. Das Gender-Management’ von sechs „Irrtümern“ über die Natur von Mann und Frau berichten.

Die sechs Irrtümer

Achtung! Wir werfen nun einen Blick in die Hausapotheke des neuen Selbstbewusstseins der Frauen. Ob sich es just das Selbstbewusstsein ist, das Barbara Kiesling gemeint hat, weiß ich nicht. Sie sprach von EINEM neuen Selbstbewusstsein, nicht von verschiedenen, die womöglich in Konkurrenz zueinander stehen. Außerdem treten Ingelore und Isabell Welpe ebenfalls als Sprachrohre feministischer Errungenschaften auf und beanspruchen, im Namen ALLER Frauen zu sprechen und nun etwas ans Licht zu zerren, was bisher im Dunkel lag.
Die Autorinnen schicken eine Warnung voraus; denn die sechs Irrtümer „dienten“ bisher „den Männern“, und deshalb vermuten die beiden, dass „sehr viele Männer“, wenn sie mit diesen „Wahrheiten“ konfrontiert werden, „beunruhigt“ reagieren oder sogar „Widerstand leisten“. Das klingt spannend.

Wahrheit Nr. 1

Zuerst entsteht die Frau, aus ihr entsteht der Mann
„Nach der Zeugung ist jeder Mensch zuerst weiblich. Ein Mann ist eine Sonderform und muss daher zuerst als Ableger aus einem weiblichen Organismus entwickelt werden ... Wenn man so will, sind Frauen das primäre, Männer das sekundäre Geschlecht ... so zeigt es uns die Natur und kluge weibliche und männliche Manager wissen, dass diese Grundtatsache zu weiteren erheblichen Glaubensrevisionen über die Rolle von Frauen und Männern führen muss und dass sich daraus weit reichende Konsequenzen für die Bewertung und den Einsatz von Männern und Frauen in den Unternehmen ergeben.“

Wahrheit Nr. 2

Weder Mann noch Frau sind vollkommen. Sie sind spezialisiert
Die Frau ist jedoch näher an der Vollkommenheit. Der Zauber um den Begriff „Penisneid“, womit der Frau eingeredet werden sollte, dass ihr was fehlt, erweist sich als Propaganda; denn so ein Penis ist auch nur eine „Klitoris am Stiel“. „Um den Irrtum vollständig zurückzuweisen, muss noch gesagt werden, dass nur dem Mann etwas fehlt, nämlich Gebärmutter und Brüste.“

Wahrheit Nr. 3

Männer sind das größere Geschlecht. Frauen sind das vitalere und schnellere Geschlecht
„Der erste Blick, der natürlich auf die Körperhöhe, auf den Körperbau, die Muskulatur und die Knochen fallen muss, verführt zur Meinung, dass Männer stärker als Frauen seien. Das gilt im Detail, jedoch nicht für das Ganze. Mehr Blut, größere Lungen und ein größeres Herz der Männer machen diese keineswegs während der gesamten Lebensspanne stärker und verschaffen ihnen auch keineswegs eine bessere Vitalität. Die meisten Männer haben eine kürzere Lebenserwartung als die meisten Frauen. Überall auf der Welt leben Frauen im Durchschnitt sechs Jahre länger, trotz der oft schwereren körperlichen Arbeit, die sie im Vergleich zu Männern verrichten ... Frauen übertreffen Männer nicht nur an Vitalität, sondern auch beim Entwicklungstempo.“

Wahrheit Nr. 4

Frauen haben größere Gehirne, und es besteht kein Unterschied in der Intelligenzleistung
Das unterschiedliche Gehirngewicht spielt keine Rolle. Vielmehr müssen zunächst die Unterschiede richtig verstanden werden – und zwar die, auf die es ankommt: „Frauen haben zum Teil um 70 Prozent mehr und dickere Nervenverbindungen als Männer, so wie dies etwa für Musiker im Unterschied zu Nichtmusikern gilt. Zudem sind bei Frauen Gehirnaktivität, Durchblutung und Zuckerstoffwechsel insgesamt besser. Im Verlauf des Lebensalters verlieren Frauen auch weniger Nervenzellen als Männer.“ Da stellt sich schon die Frage: „Und welches Unternehmen kann eigentlich auf spezifische biologische Leistungspotentiale verzichten?“

Wahrheit Nr. 5

Frauen sind das Zukunftsmodell der Evolution, Männer das frühe Modell unserer Stammesgeschichte
„Für Entwicklungsbiologen sind die jungen Formen zukunftsweisend, da Kinder die Merkmale der Zukunft tragen ... (sie) enthalten das Veränderungspotential. Die weicheren Gesichtszüge der Frauen ... sind den Proportionen junger Menschen ähnlicher. Dagegen sind gestandene Männer alte Männer. Sie sehen im Vergleich mit den Frauen auch alt aus. Auch im übertragenen Sinn gilt das, denn stammesgeschichtlich betrachtet sind typische männliche Formen älter und ‚tierischer’. Die männliche Form ist nicht die Krone der Schöpfung, sondern eine frühe Form und, leidenschaftslos betrachtet, eher ein Auslaufmodell.“

Wahrheit Nr. 6

Frauen leisteten den erheblicheren Beitrag zum Überleben der Menschheit durch Sammeln, Kommunikation und Kooperation
„Da uns bis vor kurzem die Geschichte der Menschheit ausschließlich von männlichen Wissenschaftlern und Historikern erklärt wurden, ist es nachvollziehbar, dass der Mann an sich der bevorzugte Gegenstand der Lehrbücher ist und seine Leistungen als die Bausteine unserer Kultur bewertet wurden.“ Doch nun haben wir Nancy Tanner. „Nancy Tanner hat die Leistungen von Frauen unter Vorlage von überprüfbaren Modellen als erfolgskritisch für die Entstehung der Menschheit identifiziert. Um den Schritt vom Vormenschen zum Menschen zu tun, waren nicht Jagen und Werkzeuggebrauch entscheidend - das tun Affen auch -, sondern das systematische Sammeln von Nahrung auf zwei Beinen, anstelle von Futtersuche und Futterjagd ... Wer, wenn nicht Frauen und Mütter, waren gezwungen, erfolgreiche Sammlerinnen zu sein? ... Was und wie viel immer unsere männlichen Vorfahren auch gesammelt haben mögen, sie konnten es allein für sich tun und für sich behalten. Anders als das Jagen verlangen Sammeln, Lagern und Teilen in Gruppen eine kontinuierliche und effektive Kommunikation und Koordination und flexible Organisationsstrukturen.

An dieser Stelle will ich erstmal eine Verschnaufpause einlegen. Ich werde im zweiten Teil sagen, woran mich das erinnert.

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