Jemanden einen Chauvinisten zu schimpfen, der sich vulgär über Frauen äussert, geht völlig in Ordnung. Es spricht auch nichts dagegen, sich monatelang an einem Mann abzuarbeiten, der Unwahrheiten verbreitet oder sonstige verbale Entgleisungen produziert. Man darf verunsichert sein über diesen neuen US-Präsidenten und seine Politik. Vor allem aber hat man das Recht, an einer Kundgebung teilzunehmen, ohne dass einem eine Faust entgegendonnert. Dumm bloss, wenn das nur für eine Seite gilt.
Vergangene Woche hatten die Trump-Gegnerinnen ihren grossen Auftritt. Sie gaben ihrer Abscheu Ausdruck indem sie – anders als der randalierende, mit "Wie konnten wir Hass gewinnen lassen?"-Plakaten durch Washington ziehende Mob – am friedlichen "Marsch der Frauen" teilnahmen. Sie hielten dort ihrerseits Plakate hoch, darunter solche, die andeuteten, dass Trump Homosexuelle und Transgender verunglimpfe – auch wenn er sich nie in negativer Weise zu diesen Gruppen äusserte, im Gegenteil: Auf einen Wahlparteitag der Republikaner hat Trump den Investor Peter Thiel, einen bekennenden Homosexuellen, als Redner eingeladen; in der heiklen Klofrage sprach er sich dafür aus, dass Transgender die Toilette benützen sollten, der sie sich zugehörig fühlen.
Friedvolle Frauensolidarität ist, wenn Madonna dem Publikum erklärt, wie wütend sie sei und dass sie "sehr viel darüber nachgedacht habe, das Weisse Haus in die Luft zu sprengen." Später schob sie auf Instagram nach, sie habe dabei nur "in Metaphern gesprochen". Hollywoodstar Ashley Judd trug das Gedicht einer Soziologiestudentin vor, in dem behauptet wird, dass Trump "feuchte Träume von seiner Tochter Ivanka" habe. Eine Zeile lautete auch: "Ich bin nicht so eklig, wie wenn deine eigene Tochter dein liebstes Sexsymbol ist."
Ein entlarvender Vorfall beim Marsch der Frauen
Dass man als Repräsentantin eines Mediums mit rechtskonservativen (also falschen) Ansichten keinen Anspruch auf Frauensolidarität hat, musste eine Reporterin der US-Website Rebel Media am Marsch der Frauen erfahren. Ein scheinbar durch ihre Anwesenheit in Wallung geratener Demonstrant präsentierte der Kamera seinen Mittelfinger und als sie ihn nach dem Grund seines Zornes fragte, schlug er zu. Ob er die Kamera oder ihr Gesicht treffen wollte, ist in dem Youtube-Video nicht genau zu erkennen. Später identifiziert, bot er an, die beschädigte Kamera zu ersetzen.
Man kann davon ausgehen, dass sich die Interviewerin ihrer Reizung bewusst war, ja. Der Punkt ist dennoch: Ein Zeichen setzen gegen männliche Gewalt an Frauen, zählte nicht gerade das zu den Absichten des Protests? Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet jene Frauen, die Trump bei jeder Gelegenheit (teils zurecht!) anprangern und sich als Opfer seiner angeblich falschen Politik sehen, hier von Solidarität absahen: Keine Empörung, stattdessen wollten anwesende Damen dem Schläger unerkannt zur Flucht verhelfen, hielten Plakate vor die Kameralinse. Den Vorfall filmten andere Medien mit – der Aufschrei der Weltpresse, die ansonsten jedes "Pussy"-Zitat durch den Fleischwolf dreht, blieb aber aus.
Verleumdung, metaphorischer Aufruf zur Gewalt, Zerstörung von Eigentum: Offenbar ist alles cool und erlaubt, solange es sich gegen die Andersdenkenden richtet; die Vorkämpfer demonstrativer Taktlosigkeiten können sich des Applauses der Massen sicher sein. Dass sie damit in die gleiche Kerbe schlagen wie ihr verhasster Protagonist – wen kümmerts?
Tamara Wernli arbeitet als freischaffende News-Moderatorin und Kolumnistin bei der Basler Zeitung. Dort erschien dieser Beitrag auch zuerst. In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gender- und Gesellschaftsthemen.