Der Privatkrieg zwischen vielen westlichen Medien und Donald Trump hat immerhin einen Nutzen: Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass noch erhebliche Schweinereien des amtierenden US-Präsidenten aus dessen Vergangenheit ans Licht kommen, seien sie menschlicher oder geschäftlicher Art. Alles ist bereits gesagt und publiziert worden, woraus man glaubte, Trump einen Strick oder wenigstens Bindfaden drehen zu können.
Kein amerikanischer Politiker wurde dermaßen unter die Lupe gelegt; keinem so akribisch hinterherrecherchiert. Jeder, der eine Rechnung mit Trump offen hatte, Aufmerksamkeit benötigte oder wirklich besorgt über den Aufstieg dieses, nun ja, Ausnahmepolitikers war und der über Belastungsmaterial zu verfügen glaubte, hat Letzteres bereits der „New York Times“ et al gesteckt. Das geht schon seit dem Vorwahlkampf so. Anzunehmen, dass ganze Stäbe der von Trump als Fake News-Produzenten geschmähten linken Medien weiterhin emsig über Donald turned Dagobert investigieren.
Eine dicke Steuerhinterziehung oder ein handfester Sexskandal, das ist zur Zeit der Wet Dream eines jeden Journos, jenseits und diesseits des Atlantiks. Es wäre die Jahrhundertstory, eine Nummer wie Watergate. Die Urheber würden berühmt und reich, wie weiland Carl Bernstein und Bob Woodwards. Und die gesamte Branche hätte lange Zeit Ruh vor Lügenpressegezeter und heimlichen Selbstzweifeln.
Nur hat sich leider bislang keine Deep Throat gemeldet. Statt Fakten werden jetzt „Mimikforscher“ aufgeboten, um Trump auf die Schliche zu kommen. Der Scoop, er ziert sich noch ein wenig. Anlass, mal über den Scoop als solchen nachzudenken. Worin besteht das Wesen des Knüllers? Warum denkt man, wenigstens für den Nachkriegszeitraum, dabei immer nur an Watergate? Gab es nicht noch mehr filmreife Knüller? Und wo, verdammt, sind unsere eigenen, deutschen Scoops?
Wo sind unsere eigenen, deutschen Scoops?
Ja, wo? In den letzten beiden Jahrzehnten ist von den Medien nicht ein einziges Machtkartell zerlegt, kein Top-Skandal aufgedeckt worden. Die VW-Abgasaffäre? Kam durch Stickoxyd-Ausstoßmessungen der Virginia University ins Rollen, nicht durch Journalisten. Keine betrügerische Fat Cat aus dem Brüsseler Selbstbedienungsladen wurde vom Hof gejagt, kein gegen geltendes Recht verstoßender deutscher Spitzenpolitiker aus dem Verkehr gezogen.
Mit Ausnahme des knauserigen Kleinbürgers Christian Wulff, versteht sich. Doch die Zurstreckebringung des Bundespräsidentendarstellers, geadelt mit dem Nannen-Preis, wurde mittlerweile sogar von einem guten Teil der Pressezunft zur Pipifax-Enthüllung geschrumpft und als „Bobbycar-Affäre“ verhohnepiepelt.
Nochmals: Weshalb knüllert es in Deutschland nicht so recht? Erst mal eine Begriffsklärung. Laut Duden bezeichnet Scoop im Pressejargon „eine sensationelle Meldung, mit deren Veröffentlichung eine Zeitung anderen Zeitungen und Medien zuvorkommt.“ Ähnlich die Oxford Dictionaries: „A piece of news published by a newspaper or broadcast by a television or radio station in advance of ist rivals.“
In diesem etwas altputtrigen Sinn (bezeichnenderweise existiert das Internet in beiden Scoop-Bestimmungen nicht) wäre die Erstmeldung von Sigmar Gabriels Handtuchwurf ein Scoop des „Stern“ gewesen. Genau so hoch wurde die Sache auch in Mediendiensten gehängt. Doch kann es unter Profis ernstlich als Knüller durchgehen, wenn ein chancenloser Kandidat zur Annoncierung seiner Nicht-Kanzlerkandidatur eine große Illustrierte benutzt statt, wie weithin erwartet, ein großes Nachrichtenmagazin?
„Tischfeuerwerk statt Sturmgeschütz“
Dann wäre auch jenem Medium, das neulich zuerst den Ausstieg der Bremer „Tatort“-Kommissare meldete, ein Scoop per definitionem gelungen. Personalien bei Deutschlands populärster Krimireihe sind ja für Millionen Zuschauer brandheiße Nachrichten. Wikipedia allerdings verlangt von Scoops, vielleicht im Rückblick auf Watergate, deutlich mehr: „Scoops sind (...) das Ergebnis eigener Recherchen oder resultieren aus den Tipps von Informanten.“
Eigene Recherchen, schön und gut. Der größte Scoop im deutschen Pressewesen kam freilich fast ohne sie aus. Die „Spiegel-Affäre“ von 1962 verschaffte Augsteins Magazin über Nacht das Image eines Gralshüters der Demokratie. Was gar nicht so sehr an der Brisanz des angeblich landesverräterischen Stückes „Bedingt abwehrbereit“ lag. Sondern, weitaus mehr, an der legendär durchgeknallten Reaktion des autoritären Adenauer-Staatsapparates.
Mit der Razzia im "Spiegel"-Haus und der Inhaftierung von "Spiegel"-Redakteuren begann die goldene Ära des Blattes. Augsteins Truppe mauserte sich fortan zum Quasi-Monopolisten im Enthüllungssegment. Fast alle großen Kerben, die älteren Zeitgenossen noch im Gedächtnis sind, konnte der "Spiegel" in seine Coltschalen schnitzen.
Seltsam nur, wie weit weg diese großen Scoops heute erscheinen. Der Neue Heimat-Skandal, die Lauschaffäre Traube, der CDU-Spendenskandal – wann war das noch gleich? Irgendwann muss die dicke Bertha aus Hamburg Ladehemmung gekriegt haben. „Tischfeuerwerk statt Sturmgeschütz“, wie ein „taz“-Forist witzelte.
Wer redet denn noch von den Panama Papers?
Mit zwei Titelgeschichten über Fußballer, die ihre Einkünfte angeblich „schmutzig“ anlegen, versuchte der "Spiegel" Ende 2016 zu alter Form aufzulaufen. Der erste Titel mit diesem Kassengiftthema (die deutsche Neidkultur richtet sich kaum je gegen Kicker, mögen die auch noch so viel kassieren) verkaufte sich mau. Der zweite fiel gar auf den zweittiefsten Platz in der IVW-erfassten Spiegel-Verkaufshistorie.
Wenn das Magazin heute noch mal irgendwen aufregt, dann kaum durch Recherchierkünste. Eher durch seine wahnhafte Covergestaltung – Petry im sepiabraun eingefärbten Unterschuss als Naziführerin, Trump als blonde Bestie in Kometengestalt sowie als bluttriefender Kopfabschneider in IS-Pose .
Nicht, dass anderen Mediensheriffs in letzten Jahren wirklich bedeutende Abschüsse gelungen wären. Natürlich gab es da einige Enthüllungen, etwa aus dem Hause Wikileaks, die Furore machten. Aber die gingen nicht auf das Konto von Journalisten, sondern waren zumeist Arbeitsfrüchte von politisch engagierten Hackern, Verpfeifern („Wistleblowers“) oder an Geld interessierten Datenhehlern.
Überhaupt, diese immerfort tröpfelnden Leaks (das sind die manchen Publikationsorganen zugespielten Datenkonvolute dubioser Herkunft, deren Relevanz und Seriosität kein Normalleser zu beurteilen vermag), sie nerven viele Leute mittlerweile. Wer redet denn noch von den Panama Papers?
Dabei war speziell deren Veröffentlichung mit einem ohrenbetäubenden Trommelwirbel der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten orchestriert worden. Denn an der internationalen Pressekampagne über Geschäfte in Steueroasen waren auf deutscher Seite außer der „SZ“ auch NDR und WDR beteiligt. Folgerichtig trötete der Staatsfunk unablässig die Erzählung von den erschröcklichen Panama-Enthüllungen durch alle Kanäle. Das Klopfen auf die eigenen Schultern, es wollte gar nicht enden.
Der größte Datenfriedhof aller Enthüllungszeiten
Doch für einen waschechten Knüller genügt es nicht, diesen bloß lautstark zu behaupten. Das hochverehrte Publikum muss auch willens sein, sich gehörig über eine Chose zu echauffieren. Was im Fall Panama offenkundig nicht der Fall war. Daher verschwand der größte Datenfriedhof aller Enthüllungszeiten ziemlich rasch aus den Schlagzeilen.
Scoops sind was Wunderbares! Oder könnten es sein. Egon Erwin Kisch, der „rasende Reporter“, erzielte 1913 mit seiner Story über die Spionageaffäre Redl einen Volltreffer, welcher diplomatische Erschütterungen zeitigte. Rolf Hochhuth wurde 1978 mit einem Artikel in der „Zeit“ über den „furchtbaren Juristen“ Hans Karl Filbinger zum gerühmten Initiator weiterer Recherchen (maßgeblich solche von Stefan Aust, damals bei „Panorama“), die Filbinger schließlich zu Fall brachten.
Und die Hitler-Tagebücher? Hätten ein Weltknüller werden können, wären sie echt gewesen. Stattdessen brachten sie ihre Fabrizierer in den Knast. Und eine Reihe von hochbezahlten Verlagsleuten und Redakteuren um Job und Ansehen.
Reihenweise Knüller landete in den 1990ern das „SZ-Magazin“. Und zwar in Form von sensationell freimütigen Interviews mit ansonsten zugeknöpften Hollywood-Stars. Wie der „Focus“ im Jahre 2000 enthüllte (und damit einen Scoop hatte), handelte es sich jedoch bloß um inspirierte Fälschungen des freien SZ-Magazin-Mitarbeiters Tom Kummer. Die Chefredakteure Ulf Poschardt und Christian Kämmerling mussten ihre Hüte nehmen. Das Mutterblatt schoss später immerhin ein Ausgleichstor. Die Recherchen von zwei SZ-Redakteuren ergaben 2014, dass beim ADAC-Autopreis „Gelber Engel“ getrickst worden war. Ein mittelschwerer Klops, den der Clubriese trotz Blessuren überstand.
„Bild“ mußte die kapitale Ente im eigenen Blatt kleinlaut einräumen
Die „Bild“ fiel unlängst mit dem vermeintlichen Scoop auf die Schnüffelnase, in Frankfurts Freßgass hätte während der letzten Silvesternacht „ein Sex-Mob getobt“, ähnlich dem in Köln ein Jahr zuvor. "Bild"-Chef Julian Reichelt, eben erst für mehr Bild-Wahrhaftigkeit angetreten, musste die kapitale Ente im eigenen Blatt kleinlaut einräumen. Wie man sieht, schlagen allzu ehrgeizige Scooplandeversuche manchmal heftig zurück.
Vielleicht der Grund, warum derzeit in aller Regel kleinere Brötchen gebacken werden. Das Essener „Recherchezentrum Correctiv“, aufmerksamkeitsökonomisch ein herausragender Teil der florierenden Investigationsindustrie, ging vor nicht langer Zeit mit einem Hotelzimmergate auf den Markt . Es enthüllte, dass ein Zimmerbuchungsportal bei manchen Ratings ein bisschen geschummelt hatte. Erschütternd! Man fühlte sich angesichts dieser Breaking News wie Captain Renault aus „Casablanca“, der seine Stammspielhölle unter dem Vorwand schließen lässt: „Ich bin geschockt! Hier werden Glücksspiele veranstaltet!“
Gab es denn knüllermäßig gar nichts von Bedeutung in letzter Zeit? Doch, gab es. Aber das Lametta dafür kann vorerst leider nur symbolisch vergeben werden. Niemand weiß nämlich, wie der Blogger, Twitterer oder Facebook-Schreiber heißt, der an Neujahr 2016 (oder schon am späten Abend des 31. Dezember 2015) den ersten Hinweis auf das Geschehen an der Kölner Domplatte ins Netz gestellt hat. Und damit die Mainstreammedien in Zugzwang setzte, peu à peu doch noch über Dinge zu berichten, die viele gute Medienmenschen am liebsten ignoriert hätten.
Erinnerung: Der massenhafte Gewaltausbruch von Schutzsuchenden erfolgte quasi unter den Augen des in Sichtweite zur Domplatte residierenden 4500-Mitarbeiter-Senders WDR. Es dauerte Tage, bis der WDR ausführlich berichtete. Dem „heute journal“ des ZDF war das Kölner Klau- und Fummel-Festival noch in der Ausgabe vom 4. Januar kein Wörtchen wert.
Jenen bislang anonymen Zeugen von der Domplatte, der von seinem PC oder Smartphone aus die Causa Köln auf die Agenda setzte, ein Streichholz zündend, aus dem ein Flächenbrand erwuchs - möchte man den nicht gern mal kennenlernen? Dieser etwas andere Whistleblower müsste doch aufzuspüren sein, mit Geduld und Spucke. Das wäre mal ein Knüller!