Wolfram Weimer / 18.05.2017 / 09:43 / Foto: Ralf Roletschek / 19 / Seite ausdrucken

Schulz und Schuld: Der unterschätzte Griff in die Kasse

Das Triple der SPD im Jahr 2017 besteht aus drei grandiosen Eigentoren. Die Wahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und NRW haben aus einer schulzbeseelten Vorwärts-Partei eine zitternde Martins-Truppe mit halben Mänteln werden lassen. Eigentlich sollten die drei Landtagswahlen die SPD beflügeln und den Weg ins Kanzleramt ebnen. Die Chancen standen noch im Februar bestens dafür. Doch nun wirkt die Partei wie entkleidet.

Die SPD-Politiker sind eilends um Schadenbegrenzung bemüht. Vor allem der Kanzlerkandidat soll vom Strudel des Niedergangs ferngehalten werden. Die Wahlen – im Februar noch als “richtungsweisend” angekündigt – haben plötzlich nurmehr “landespolitischen Charakter”, es habe “Fehler vor Ort” gegeben, es gebe “keine bundespolitische Signalwirkung”.

Die tapfere Wahlverliererin Hannelore Kraft nimmt gar alle Schuld auf sich: “Die Verantwortung für das, was in Nordrhein-Westfalen geschehen ist, die trage ich.” Und weiter: “Ich habe Martin und die Kolleginnen und Kollegen gebeten, die Bundespolitik rauszuhalten aus dem Landtagswahlkampf.” Der Wagenburgreflex um Martin Schulz mag ehrenwert sein, wahrhaftig ist er nicht. Denn bei der Suche nach dem wahren Grund für den spektakulären Absturz der SPD in drei völlig unterschiedlichen Wahlen wird man just bei Martin Schulz fündig. Und das härteste Indiz wird gerne verschwiegen.

Die EU-Biografie holt Schulz ein

Offen diskutiert wird das taktische Argument, wonach Schulz gegenüber Angela Merkel im Nachteil sei, weil er kein Amt innehabe und also keine Bühne finde. Merkel treffe sich mit Trump und Putin, Schulz müsse beim Taubenzuchtverein Termine machen. Daneben kursiert das inhaltliche Argument, dass Schulz sich auf nichts festgelegt habe, er also den Wählern wenig biete, kein Narrativ und keine Idee entwickele, kaum einmal sage, wofür er wirklich stehe. Im Übrigen sei die Gerechtigkeitsklage das falsche Thema zur falschen Zeit.

Und schließlich gibt es das biografische Argument, wonach Schulz als EU-Parlamentspräsident lautstark Positionen eingenommen habe, die in Deutschland unpopulär sind – für gewaltige Transfers an Griechenland, für Eurobonds und für die europaweite Einlagensicherung, die deutsche Sparguthaben kollektivieren und ins offene Risiko stellen würde.

An den drei Argumenten ist jeweils ein Stück Wahrheit. Doch sie erklären den dramatischen Absturz seines Ansehens binnen weniger Wochen nicht. In Wahrheit hat der tiefe Fall von Martin Schulz und seiner SPD einen viel handfesteren Grund. Es ist sein Skandal um den persönlichen Griff in die EU-Kassen, der Millionen Wähler entsetzt oder zumindest entfremdet hat.

Der Skandal breitet sich viral aus

Seit Wochen sind die Detailberichte über diesen Skandal auf den Internetseiten der Republik Klick-Riesen. Viral wird dieses Themas viel stärker verbreitet als in traditionellen Medien; die Tiefenwirkung in der Bevölkerung ist darum massiv. Beim Nachmittagstee von Berliner Tanten wie beim Happy-Hour-Drink vor der Frankfurter Börse wird über “den reichsten Kanzlerkandidaten der Geschichte” (“Focus”) lebhaft geredet.

Es vollzieht sich fast eine Wiederholung der Ereignisse um Peer Steinbrück 2013. Dessen obszön hohe Nebenverdienste mit Rednerhonoraren brachten sein Ansehen bei der Bevölkerung, insbesondere in der eigenen Wahlklientel der SPD, ins Wanken. Auch 2013 hielt man das Thema für eine peinliche Nebensächlichkeit, auch damals aber war es der Gesprächsstoff für die Massen und brachte die Stimmung zum Kippen. SPD-Politiker und Geldgier scheint eine so faszinierende Kombination zu sein wie britische Politiker und Sexskandale – scheinbar unpolitisch, in Wahrheit aber wahlentscheidend. 2013 wurde jedenfalls die Integrität des SPD-Kandidaten damit tief untergraben.

Exakt das Gleiche passiert 2017 mit Martin Schulz. Er hat es als EU-Parlamentspräsident derart geschickt mit Residenzzulagen, Kostenpauschalen und Tagegeldern auf Verdienstsummen gebracht, die jenseits des Ehrbarkeitsgefühls normaler Bürger stehen. Die Enthüllungen der Geldgeschichten aus Brüssel haben den Eindruck entstehen lassen, dass Schulz in seinen Jahren als EU-Spitzenpolitiker wohl zu offensiv Gelder für sich und seine Getreuen mobilisiert hat.

Kritik aus dem Europaparlament mit gewaltiger Wirkung

Das Europaparlament äußerte am 27. April, also wenige Tage vor den Landtagswahlen, ganz offiziell scharfe Kritik am jetzigen SPD-Kanzlerkandidaten und bezeichnete dessen Entscheidung, seinen Wahlkampfmanager quer zu subventionieren, als “kritikwürdiger Umgang mit Steuergeldern und nicht regelkonform”.

Es geht bei dem Skandal um Sitzungsgelder, rechtswidrige Beförderungen und Sonderzahlungen. Besonders eklatant war der Vorgang, dass Schulz in exzessiver Weise (an 365 Tagen im Jahr!) Tagegelder in Anspruch genommen hat. Als der Vorgang vom ARD-Magazin “Report Mainz” aufgedeckt wurde, bestritt er peinlicherweise vor laufender Kamera, die 365 Tagessätze zu erhalten.

Die SPD war im Februar zunächst erleichtert, dass die unangenehmen Berichte über diese Umstände keine größeren medialen Wellen geschlagen hatten. Ihre Tiefenwirkung im Wahlvolk hat sie freilich unterschätzt, denn die ist gewaltig. Sie ist der wahre Grund, warum ein sympathischer, frischer Kandidat mit rhetorischem Mobilisierungspotential binnen weniger Wochen derart abstürzt und seine Partei ins Taumeln bringt.

Es war nicht der Genius von Angela Merkel oder das Retter-Charisma von Armin Laschet, wie die Christdemokraten nun pausbäckig herausposaunen. Es war auch nicht der Dauerstau in Wuppertal, ein rot-roter Oskar an der Saar oder ein unglückliches “Bunte”-Interview von Torsten Albig. Martin Schulz war es ganz allein. Er und sein Portmonee sind wie Peer.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European hier.

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Leserpost

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Markus Freuler / 18.05.2017

Hab ich richtig gelesen, lieber Herr Weimer: “...ein sympathischer, frischer Kandidat…” ? Echt jetzt ? Gilt in Deutschland ein abgelutschter und ausgespuckter EU-Apparatschik wirklich als “sympathisch” und vor allem “frisch” ? Dann ist es aber langsam Zeit, sich um Deutschland Sorgen zu machen. Ich mag mich noch an die Berichterstattung der deutschen Medien über den US- Wahlkampf erinnern. Was wurde sich da ausgelassen über die Wahl zwischen Pest und Cholera. Und nun kann Deutschland “wählen” zwischen Merkel und Schulz. Vielleicht wäre es besser gewesen, sich gegenüber den Amerikanern nicht ganz so weit aus dem Fenster zu lehnen.

Bernd Kertzinger / 18.05.2017

Ich glaube, dass noch ein weiterer Punkt hinzu kommt, der der SPD Wählerstimmen kostet. Ich denke auch den Grünen. Und das ist die Flüchtlingspolitik. Offen wird das natürlich nicht diskutiert werden. Ich denke aber, dass diese oftmals schon naive Politik im Umgang mit den Flüchtlingen und den sich daraus ergebenen Problemen die Wähler abschreckt. Offen spricht man hier ja nur beiläufig über die innere Sicherheit, ohne mal beim Namen zu nennen wodurch diese denn überwiegend bedroht ist. Nur die Wenigsten trauen den linken Parteien zu dieses Problem wirklich lösen zu können. Es ist schon ein Hohn, dass Frau Merkel, die uns den Schlamassel eingebrockt hat, jetzt auch noch bei den Wahlen genau davon profitiert! 

Roger Mathews / 18.05.2017

was mir die SPD mit ihren Granden suspekt macht ist, das sie vor der Wahl immer allen alles versprechen und jeder weiß doch das diese Versprechen nicht seriös sind. Nach der Wahl ist es wie nach dem Aschermittwoch alles vorbei und alles vergessen. Und dann kommt noch eine Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, natürlich Mitglied der SPD die doch behauptet es gäbe gar keine spezifische deutsche Kultur höchstens eine einheitliche Sprache. Da habe ich doch die Vermutung: die SPD ist eine Vereinigung schräger Typen mit noch schrägeren Ansichten. Wie will man diese “Politiker” denn ruhigen Gewissens überhaupt wählen? Um auf Schulz zukommen. Er ist für mich der typische Sozi. Er redet viel, hat tolle Vorschläge. aber alles ist nur Theorie, alles ist Luft. Ich kann mich an kein Interview mit ihm erinnern nach dem ich gedacht habe “das war interessant” Da kommt von ihm nichts außer Platitüden. Und Platitüden wähle ich nicht, da gehe ich lieber ein Eis essen.

Fritz Blumer / 18.05.2017

Tja, Gier ist gewiss nicht das, was Wähler, auch linke Wähler, an einem Kandidaten besonders schätzen. Lächerlichkeit rangiert aber auch ganz weit unten auf der Prioritätenliste. Ich vermute darum, dass die “Fangt doch mal an zu rufen!”-Mitschnitte dem Martin genauso geschadet haben. Im Gegensatz zu seinen EU-Sünden hat er damit aber immerhin etwas zu unserer Erheiterung beigetragen.

Hartmut Laun / 18.05.2017

Der Vorgang zeigt im hellen Licht wie sehr die deutschen Politiker in der Regionalliga spielen, sich aber als Spieler in der Bundesliga selber vorkommen. Kein anderer als Schulz persönlich ist an der Misere schuld. Schulz hätte wissen können welche Leichen er aus Brüssel mitbringt. Schulz musste wissen das er als Kanzlerkandidat erlebt wie diese Leichen wieder nach oben geholt werden. Er hätte sich vorher ausrechnen können was dies für Folgen für ihn und seine Wahlkampf haben wird. Schulz hätte, alles zusammen genommen, auch entscheiden können, das das was er im Leben erreicht hat mehr ist als er jemals sich erträumt hat. Schulz hätte somit, so er klug ist, die angetragene Kanzlerkandidatur einfach nur abzulehnen brauchen.

Wolfgang Lang / 18.05.2017

Das mag richtig sein und richtig ist, dass der Wähler sich von so einem Kandidaten abwendet. Er ist nicht zu gebrauchen für ein Amt, schon gar nicht als SPDler. Aber Fakt ist auch, mit einem ausgelutschten Eurokraten, der in der EU entsorgt wurde, in einer Art Spontan-Recycling plötzlich einen strahlenden Messias aus dem Hut zu zaubern, das ist einfach albern. So blöd sind die Deutschen nun doch nicht, dass sie auf so eine Schmierenkomödie, in Hinterzimmern ausbaldowert, hereinfallen. Das ist nur ein Indiz mehr, dass die politische Klasse abgehoben und psychopatisch ist. Der Wähler sollte noch radikalere Konsequenzen ziehen. Schulz sieht fertig aus und sollte aufs Altenteil. Er bekommt ja genug.

Karl-Heinz Lösche / 18.05.2017

” sympathischer, frischer Kandidat” ?? Sie haben vergessen, diese Textstelle als Ironie zu markieren.

Volker Matthes / 18.05.2017

Meiner Meinung nach war auch der Medienhype um Schulz dafür angelegt, A. Merkel nur umso strahlender erscheinen zu lassen. Denn wenn jemand fallen soll, so muss er erst mal steigen. Das haben die Medien-Königinnen F. Springer, L. Mohn und wer weiß noch für Merkel genau so geplant.

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