Wolfram Weimer / 01.09.2017 / 06:04 / Foto: Heinrich-Böll-Stiftung / 25 / Seite ausdrucken

Schulz, Gabriel und die Pille danach

Nicht einmal Martin Schulz selbst dürfte noch daran glauben, dass er die Bundestagswahl gewinnt und Bundeskanzler wird. Die Umfragen sind für ihn irgendetwas zwischen miserabel und katastrophal. Die SPD liegt kurz vor der Wahl satte 16 Prozentpunkte hinter der Union. In den Direktwahlumfragen versauert er persönlich sogar 29 Prozentpunkte hinter Angela Merkel. Selbst wenn er die gewaltigen Rückstände auf der Zielgeraden noch überraschend verkürzen könnte – es fehlen Wechselstimmung wie Machtperspektive. Denn mit dem Erstarken von FDP und AfD – beide könnten ihre Stimmanteile im Vergleich zur Wahl 2013 fast verdoppeln – verschiebt sich die politische Achse der Republik nach rechts.

Da Schulz zwar kein geschickter Wahlkämpfer, aber doch ein kluger Stratege der Politik ist, dürfte er dieser Tage die Woche nach dem 24. September im Auge haben. Was passiert, wenn die Wahlen in etwa so ausgehen, wie es die Umfragen vorhersagen? Es bräche bei den Sozialdemokraten ein Machtkampf um die Führung von Partei und Fraktion aus. Vor allem Sigmar Gabriel und Martin Schulz stünden sich dabei als Konkurrenten gegenüber.

Sollte es noch einmal eine Große Koalition geben, würden beide gerne Außenminister werden. Sollte Schwarz-Gelb oder Jamaika (also Schwarz-Gelb-Grün) kommen, wird der Machtkampf um die Rolle des Oppositionsführers ungleich härter. Schon seit Wochen ist der schärfer werdende Wettbewerb zwischen den beiden offen zu beobachten. Der “Tagesspiegel” meint, “Sigmar Gabriel übertönt Martin Schulz”, die FAZ beobachtet “Gabriel stiehlt Schulz die Show”, der “Spiegel” analysiert “Einer strahlt, einer strampelt” und die “Welt” urteilt “Für Gabriel und Schulz gilt schon jetzt: Jeder für sich”.

Dass die Umfragewerte von Schulz jetzt auf dem dürftigen Niveau der Endphase des Parteivorsitzenden Gabriel liegen, ist für diesen eine Genugtuung. Zugleich hat Gabriel seine persönlichen Akzeptanzwerte im Außenamt deutlich steigern können – er ist in den Monaten nicht nur schlanker, sondern auch viel beliebter geworden. Zugleich demonstriert Gabriel mit seinen lebhaften Auftritten täglich, dass er der bessere Wahlkämpfer ist. Er diktiert den Tonfall in der Türkei-Politik, in der “Ehe für alle”-Debatte, in der G20-Nachbearbeitung wie in den Angriffen auf Merkel. Er formuliert Grundsatzpapiere und macht mit spitzen Interviews Schlagzeilen. Kurzum: Er verhält sich demonstrativ wie ein Parteichef.

Kommt der Putsch des Verlierers?

Umgekehrt wirkt der ohnehin angeschlagene Schulz dadurch zusehends an den Rand gedrängt, zuweilen gar wie ein Lehrling, der von der Berliner Politik vorgeführt wird. Der für Machtfragen feinfühligen SPD dämmert damit, dass man sich bald entscheiden muss zwischen einem der beiden. Die 100-Prozent-Loyalität der SPD gegenüber Schulz dürfte bei einem Wahldebakel schnell dahin sein.

Bei einem Auftritt in Berlin erklärte Schulz schon einmal vorsorglich, dass er auch nach einer Niederlage SPD-Parteivorsitzender bleiben wolle. Die SPD könne längere Rhythmen in der Amtszeit ihrer Vorsitzenden ganz gut gebrauchen. Das wird unter Sozialdemokraten als Kampfansage gewertet, man solle sich hüten, ihn nach dem 24. September zu stürzen.

Einigermaßen hitzig wird unter Sozialdemokraten bereits die Frage diskutiert, wer – im Fall der erwarteten Niederlage – den Fraktionsvorsitz erringt. In der SPD-Fraktion erinnert man sich noch genau an September 2009, als der desaströs geschlagene Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier die Schockstarre nutzte und sofort erklärte, er wolle dazu beitragen, dass die SPD wieder zu “alter Kraft” zurückfinde, und sei bereit, das “als Oppositionsführer im Deutschen Bundestag” zu tun. Es war der Putsch eines Verlierers, und er gelang.

Ähnliches wird nun von Martin Schulz erwartet. Seine neuen und erstmals persönlichen Angriffe auf Angela Merkel werden als Einstieg in die Rolle des Oppositionsführers gewertet. Schulz habe es aufgegeben, sich als Minister im Kabinett Merkel IV. zu sehen. Er wähle schon jetzt den Tonfall eines angriffslustigen Fraktionschefs der Opposition. Und seine Ankündigung, in jedem Fall Parteivorsitzender zu bleiben, verstärkt den Eindruck, dass er sich nicht von Gabriel als Sündenbock beiseiteschieben lassen wird. Sein Argument wird klassischer Natur sein – Partei- und Fraktionsvorsitz müsse man in einer Hand bündeln.

Wenn Schulz und Gabriel sich streiten, freut sich Nahles

Andererseits könnte das Ergebnis der SPD derart miserabel ausfallen, dass es Schulz den machtpolitischen Boden unter den Füßen wegzieht. “Bei einem Ergebnis von weniger als 25 Prozent braucht er es gar nicht erst zu versuchen”, erklärt ein SPD-Abgeordneter.

Ob aber Sigmar Gabriel dann automatisch die Macht ergreifen kann, ist auch fraglich. Denn bei einem Wahldesaster wäre auch Gabriel als wichtigster SPD-Minister mit beschädigt. Es werde ihm zwar zugutegehalten, dass er zu Jahresbeginn souverän auf die Kandidatur verzichtet habe. Andererseits ist Gabriel in der Fraktion nicht hoch angesehen. Man kennt und fürchtet seine Sprunghaftigkeit wie sein aufbrausendes Temperament. Vor allem aber würde er langfristig die Comeback-Chance der SPD nicht glaubhaft verkörpern können.

“Dann kommt das Thema Generationenwechsel auf die Agenda”, heißt es aus der Fraktion. Die Stunde für Andrea Nahles wäre da. Sie hat größeren Rückhalt in der SPD-Fraktion, sie genießt die Unterstützung von Olaf Scholz und sie organisiert sich im Wahlkampf durch ungewöhnlich viele Auftritte bei Fraktionskollegen fleißig neue Gefolgschaft. Andrea Nahles könnte also aus dem Machtkampf der beiden lauten Männer als die strahlende, leise Siegerin hervorgehen. Merke: Wenn Schulz und Gabriel sich streiten, freut sich die Dritte.

Zuerst erschienen auf The European hier.

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Leserpost

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Susanne antalic / 02.09.2017

Der Herr Brand und Schmidt müssten in ihren Gräben rotieren, wenn sie dieses Personal sehen würden. Was ist nur aus diese Partei geworden?

Wieland Schmied / 02.09.2017

Gabriel - Chulz - Nahles - ??? , gehupft wie gesprungen, also eigentlich völlig wurscht. Alles Sozis, mit allen Vor- aber vor allem sattsam bekannten Nachteilen. Trotzdem, die lassen wenigstens noch eine Illusion einer scheinbaren Qual bei der internen Personalauswahl erkennen, die man bei der Siegerpartei der einsamen GröKaZ wohl auf unbestimmte Zeit weiterhin vermissen wird. Mittlerweile ist es aber doch völlig gleichgültig, welche Figur diesem Land den Garaus macht.

F.Müller / 02.09.2017

Nahles ist genauso, wie alle Funktionäre um sie herum, unfähig die SPD in ein neues Zeitalter zu führen. Warum scheut man das Regieren wohl ? Die Arbeit erledigt sich nicht von alleine (- siehe Lafontaine).

Michael Dunger / 02.09.2017

Das war ja bei mir, bzw. vielen Anderen von Anfang an die Vermutung: Gabriel hatte spätestens Ende 2016 realisiert, dass die SPD auf eine krachende Niederlage zusteuert und er sich schnellstens in Sicherheit bringen muß, um dann irgendwann wie Phönix aus der Asche dazustehen. Blöd nur, dass sich keiner mehr an die guten, alten Regeln hält: Raffzahn Schulz denkt jetzt schon (!) nicht daran, die Verantwortung für das absehbare Desaster zu übernehmen, was Gabriels Pläne durchkreuzt. Oder kurz: 100% Zustimmung zum Artikel!

Thomas Hellerberger / 01.09.2017

Meine Meinung (und Vorhersage) ist, daß die SPD im Falle einer Wahlniederlage (Ergebnis < 23 %, Opposition) den Weg der anderen ehemals großen, im Grunde im Zuge der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert entstandenen sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien gehen wird, das heißt sie wird zuerst marginalisiert und dann verschwinden. Das (urbane) Bürgertum wird in Deutschland heute von den Grünen als Takt- und Ideengeber und der CDU (und für die weniger Fahrradaffinen die FDP) als Exekutor vertreten. Deren Agenda, einerseits Hedonismus und Dekadenz, andererseits Verzichtsideologien, Pazifismus und Regelrelativismus, werden von dort viel glaubwürdiger vertreten. Dieser Prozess begann in den 1980er Jahren und wird nun zum Abschluß kommen. Altlinke und altgewordene DDR-Nationalisten wählen einstweilen weiter die PdL, bis das sich demographisch löst. Da bleibt für die SPD kaum noch Raum. Gegen diesen Block stellt sich derzeit nur die AfD. Sie überdehnt sich aber sichtbar in der Rolle, gleichzeitig Repräsentanz für kleinbürgerliche, wirtschaftsliberal-bürgerliche, nationalkonservative und neorechts-putinistische Kräfte zu sein. Hier dürfte aber nach der Wahl eine Konsolidierung einsetzen, mit dem Auszug oder der Herausdrängung der neorechten, im Kern antikapitalistischen, eher zu den Identitären u.ä. neigenden und/oder Putin zugewandten Kräfte. Die Frage ist am Ende: Zerbricht auch der grünliberal-bürgerliche Block, wenn Merkel (vermutlich 2021) abtritt?

Matthias Kaufmann / 01.09.2017

Auch ohne einen Zweikampf Schulz-Gabriel sehe ich die Nahles als erste Anwärterin auf den Fraktionsvorsitz.  In ihrer Generation ist sie ohne ernsthafte Konkurrenz, und nach der zu erwartenden deftigen Niederlage wird eine Verjüngung gefordert - voilà. Außerdem kennt immer noch niemand die Partei besser als sie, aber für den Parteivorsitz ist es noch zu früh. Aber in den letzten Jahren, zunächst als Generalsekretärin und dann als Ministerin hat sie erfolgreich an ihrem Image gearbeitet als solide Arbeiterin und verlässliche Partnerin in der Koalition. Sie wird sicher die erste Frau an der Spitze der Fraktion, und irgendwann auch an der Parteispitze. Für eine Grunderneuerung der SPD im Sinne einer Besinnung auf die Interessen ihrer ehemals angestammten Klientel ist sie aber sicher nicht zu haben, da sie wie die niederen und mittleren Funktionäre total verbohrt in der Links-Rechts-Frontstellung festhängt. Frisches Denken Fehlanzeige.

Helmut Driesel / 01.09.2017

Ich finde es sehr mutig, die Entscheide eines SPD-Parteitages nach verlorener Wahl jetzt vorher zu sehen. Welches wäre denn die “langfristige Comeback-Chance der SPD”? Doch am ehesten ein Verzicht auf jede Form des Mitregierens für die nächsten Jahre. In Erwartung einer großen Koalition wird Frau Merkel durchblicken lassen, mit wem sie am besten kann. Auch wenn Herr Schulz Tag und Nacht an nichts anderes denkt, glaube ich, er wird es nicht sein. Immer wenn die alten Parteisoldaten von Generationenwechsel reden, meinen sie die Übernahme der gestandenen, scheinbar bewährten Positionen und Haltungen. Auch das, glaube ich, wird nicht geschehen. Es wachsen der SPD jetzt Jahrgänge zu, die nicht an den Granden der Geschichte orientiert sind, die ein völlig anderes Leben führen, zwar mit einer gewissen Naivität gesegnet sind und völlig eigene Vorstellungen haben, was einer Volkspartei in der Gegenwart Existenzberechtigung verleiht. Ich glaube, die mögen diese unvermeidlich mafiösen Aspekte großer politischer Bewegungen nicht. Und die mögen es nicht, wenn Altlasten, die ihre Unfähigkeit längst umfänglich bewiesen haben, und die man gerechterweise inzwischen unter den Harz-4-Kunden vermuten sollte, nun wieder unten auf den Kandidatenlisten erscheinen.

Hans-Peter Hammer / 01.09.2017

So so, Gabriel hat souverän auf die Kandidatur verzichtet! Eher hat er sich weggeduckt und “den Martin” ins Schußfeld geschoben/schieben lassen, um sich das abzusehende katastrophale Wahlergebnis nicht anrechnen lassen zu müssen! Ganz nach dem Motto: Ich wars nicht! Der Martin wars! (Der hat die Schuldan dem Desaster!) Und die SPD hat, scheints, schon ziemlich früh mit einer Katastrophe gerechnet! Was die 100% für Schulz erklärt! Wer zur Strohpuppe ausersehen ist, den können alle wählen, da muß niemand irgendwas aufgeben, da brauchts keine Richtungsdebatten, keine Diskussion, keinen Streit! Ich frage mich nur ob Martin Schulz begriffen das er als Strohpuppenopfer ins Feuer geworfen wird. Wenn ja, dann muß er wirklich von “seiner” Partei überzeugt sein, denn wer opfert sich schon freiwillig, außer Selbstmordattentätern? Wenn nein, ist er als Bundeskanzler, selbst als Minister völlig, absolut, zu 130% ungeeignet!

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