Richard Kämmerlings findet (in seinem Artikel „Am Tellerrand gescheitert“, in der FAZ vom 30.01.08) Jerome Kerviel, der große Geldvernichter von der Société Generale, sei eine literarische Figur, seine Biographie biete Stoff für einen Epochenroman. Kerviel sei ein Held unserer Zeit, ruft uns Kämmerlings anspielungsreich zu.
Eine solche Schwärmerei kann nicht ohne Folgen bleiben, denkt man unwillkürlich. Und da ist sie auch schon, die gefürchtete oder bloß vermutete Frage: „Warum finden sich solche Figuren in der deutschen Gegenwartsliteratur so selten?“ Das ist natürlich rhetorisch gemeint und es kommt, was kommen muss, eine der regelmäßigen Schelten, denen sich unsere Schriftsteller zu unterziehen haben, sofern ihnen der Feuilletonbetrieb und sein Stipendiengeld nicht egal sein kann.
Die, denen es nicht egal ist, kriegen es nun gewaltig ab…
Fazit: Ihre Romane taugen nichts weil sie, die Autoren, die Realität nicht kennen würden. Die des Herrn Kerviel. Nun könnte man einwenden, Thomas Mann hat zwar einen Hochstaplerroman geschrieben, aber es ist gewiss nicht sein bedeutendster, und bei allem anderen hat er sich auch nicht anders verhalten als die jetzt Gescholtenen. Mann hatte Glück, dass über ihn kein Kämmerlings zu richten vermochte.
Nein, dem deutschen Roman fehlt nicht die Arbeitswelt, keinem Roman fehlt diese, wenn einem Roman etwas fehlen sollte, so ist es allein die gelungene literarische Form. Sonst wäre ja Max von der Grün der größte Schriftsteller der Nachkriegszeit. Er schrieb aus seinem reichen Arbeitsleben, aber er schrieb armselig.
Immer, wenn die Realität die Literatur retten soll, kommt irgendwann das Argument der Reportage. Kämmerlings hat seine im „New Yorker“ gefunden. Sie handelt von einer Intensivstation und das interessiert Kämmerlings mehr als irgendein neuer deutscher Roman. Mag sein. Aber, reden wir nicht von Romanen? Doch, doch. Mit Wohlwollen bemerkt der Literaturrichter, dass immer mehr Journalisten Romane schreiben. Schon wahr, aber auch immer mehr Schauspieler schreiben ihre Memoiren und immer mehr Dichter malen Bilder.
Schreiben Sie doch auch einen Roman! Aber nur, wenn Sie einen Vorstandsvorsitzenden kennen, einen Internisten, oder einen Bundeswehrsoldaten, der in Afghanistan stationiert ist.
Vielleicht werden Sie ja der neue Isaak Babel oder zumindest der neue Scholochow.