Ian Murray (65) ist Taxifahrer in Manchester und einer von über 30.000 ehrenamtlichen Richtern, die es in England und Wales gibt. Seit zwölf Jahren hat er neben seinem Beruf am Magistratsgericht seiner Stadt kleinere Strafverfahren geleitet - freiwillig und nur gegen eine geringe Aufwandsentschädigung. Aber ob er diese Tätigkeit auch in Zukunft fortführen kann, ist unsicher, denn ihm droht ein Dienstaufsichtsverfahren.
Dabei hatte Mr Murray eigentlich nur versucht, sich in einer sensiblen Angelegenheit korrekt zu verhalten. In seiner Strafkammer sollte der Fall der 32-jährigen Zoobia Hussain verhandelt werden. Ms Hussain, Mutter von fünf Kindern, war wegen Sachbeschädigung mit einem Gesamtschaden von 5.000 Pfund angeklagt. Unter anderem soll sie, nachdem ihr von der Wohnungsbaugesellschaft gekündigt worde war, ein Graffiti an die Wand des Hauses gesprüht haben, in dem sie zuvor gewohnt hatte.
Eigentlich ein Routinefall für Richter Murray, wäre Ms Hussain nicht vollverschleiert vor der Kammer erschienen, aus religiösen Gründen. Presseberichten zufolge soll Richter Murray wegen der Verschleierung der Angeklagten Bedenken gehabt haben, den Fall zu entscheiden, weil er ihre Identität nicht zweifelsfrei habe feststellen können. Um die Frau jedoch nicht bloß zu stellen, habe er sich ohne Angabe von Gründen für befangen erklärt und den Fall abgegeben.
Dieses Verhalten könnte ihm nun zum Verhängnis werden, denn die Verteidigerin von Ms Hussain kündigte eine Beschwerde an. Ihre Mandantin sei durch das Verhalten des Richters ihr gegenüber eingeschüchtert worden, erklärte sie. Richter Murray habe offensichtlich vergessen, dass sich unter dem Schleier ein Mensch befinde. Die Gefühle ihrer Mandantin seien zutiefst verletzt.
Von der drohenden Beschwerde aufgeschreckt, wurde Richter Murray sofort von der Gerichtsverwaltung zum Gespräch einbestellt. Danach erklärte das Gericht, Richter Murray habe seinen Fehler eingesehen, da er nicht ohne Angabe von Gründen das Verfahren hätte abgeben dürfen. Im Übrigen unterstütze und respektiere er selbstverständlich andere Kulturen und Religionen und sehe auch ein, dass sein Verhalten von Ms Hussain falsch verstanden werden konnte.
Dabei Richter Murrays Bedenken eigentlich nicht einmal unbegründet, denn die offiziellen Richtlinien für englische Gerichte sehen vor, dass der Klärung der Identität der Prozessbeteiligten im Zweifelsfall Vorrang eingeräumt werden soll vor dem Wunsch der muslimischen Frauen, ihr Gesicht zu verhüllen. Er hätte somit auch darauf bestehen können, dass Ms Hussain den Schleier abnimmt, entschied sich aber statt dessen lieber dafür, den Fall abzugeben - aus Rücksicht auf die Angeklagte. Eine Fehleinschätzung, wie sich nun herausstellt.
Der Fall der Zoobia Hussain wird 18. Juli von anderen Richtern entschieden. Die Angeklagte wird ihren Schleier wohl behalten dürfen; dafür ist Richter Murray sein Ehrenamt wahrscheinlich los.