Henryk M. Broder / 18.01.2012 / 17:06 / 0 / Seite ausdrucken

Schickt die Referenten in die wohl verdienten Renten!

Als ich noch in der Salzburger Straße am Rathaus Schöneberg wohnte, fuhr ich manchmal zum Markt am Winterfeldtplatz und setzte mich nach dem Einkauf entweder auf einen Falafel ins “Habibi” oder auf eine Schokolade ins Berio. Im Berio kellnerte damals ein junger Mann mit Glatze, der an seinem Akzent als Israeli zu erkennen war. Später traf ich ihn bei Renate und Frieder wieder, zwei Berliner Happening-Künstlern, für die er als “Gretchen” mit blonder Perücke und Zöpfen Modell stand. Bei Renate und Frieder lag auch mal ein Buch auf dem Tisch, das Tsafrir Cohen den beiden geschenkt hatte. “Berlin von hinten -  The ultimate gay guide to Berlin”, einer der Autoren war Tsafrir Cohen.

Irgendwann bekam ich eine mail von Tsafrir, in der er bekannt gab, dass er von “medico international” zum “Referenten für Palästina und Israel” ernannt wurde und deswegen an den Ort seiner Arbeit umziehen würde, nach Tel Aviv, Ramallah oder Gaza, ich weiss es nicht mehr. Das ist ja prima, dachte ich, das ist so, als würde eine Biene in einen Honigtopf fallen.

Ich bekam dann in unregelmäßigen Abständen Rundschreiben von medico international über die Lage in Palästina, verbunden mit Spendenaufrufen. Trotz der Anwesenheit von medico international ging es den Palästinensern immer schlechter - und schuld daran waren natürlich immer die israelischen Besatzer, auch in Gaza, obwohl dort längst die Hamas das Sagen hatte. Ich fragte mich auch zwischendurch, warum es den Palästinensern in Gaza am Nötigsten mangelt, wenn die Hamas-Kämpfer immer in feschen Kampfuniformen paradieren und dabei die allerneuesten Waffen präsentieren, die sie bestimmt nicht am Flohmarkt in Jaffo gekauft hatten.

Gestern bekam ich wieder eine email von Tsafrir, diesmal ging ers um etwas ganz Anderes:

Sehr geehrte Damen & Herren, liebe Freunde & Kollegen,
die Frankfurter Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international beklagt fortgesetzte Menschenrechtsverletzungen und zunehmende Repression der palästinensischen Autoritäten und bewaffneter Gruppen gegenüber der eigenen Bevölkerung. Erst vor einigen Tagen wurde der Menschenrechtsaktivist Mahmoud Abu Rahma von der medico-Partnerorganisation Al Mezan in Gaza von drei vermummten Angreifern mit Messern verletzt. Die Täter begründeten den Überfall mit einem jüngst von Abu Rahma veröffentlichten Artikel. Darin warnt er vor einem System der Rechtlosigkeit und der Willkür, das entstehe wenn Regierung und Widerstandsgruppen das Recht auf Meinungsfreiheit oder auf physische Unversehrtheit weiter mit Füßen treten.
Die Berichte aus dem Arbeitsalltag der Gazaer Menschenrechtsorganisation sind erschreckend. Sowohl Fatah wie auch Hamas setzen willkürliche Verhaftungen und Folter zur Einschüchterung des politischen Gegners im innerpalästinensischen Machtkampf ein. Al Mezan liegen Hunderte Fälle von Folter sowohl in der Westbank als auch Gazastreifen vor, die in mehreren Fällen mit dem Tod endeten. Die palästinensischen Quasiregierungen verweigern dazu Auskünfte und seriöse Untersuchungen.
Auch militante Gruppen nehmen billigend in Kauf, dass Zivilisten zu Schaden kommen. Sie bauen Übungsplätze nahe öffentlicher Einrichtungen wie Schulen. Kinder wurden durch nicht explodierte Bomben verletzt, die sie beim Spielen fanden. Einem jungen Mann, der sich öffentlich darüber beschwerte, schossen Unbekannte ins Bein.
medico unterstützt Al Mezan mit Spenden und Öffentlichkeitsarbeit. Die Menschenrechtsorganisation im Gazastreifen sieht ihre Aufgabe nicht nur im Anprangern von Menschenrechtsverletzungen aller Seiten, sondern auch in der Unterstützung der Opfer.
Weiter unten finden Sie einen Beitrag über die Hintergründe sowie ein Portrait unseres Kollegen Mahmoud Abu Rahma.

Die Weiterleitung dieser Beiträge sowie deren Veröffentlichung (unter Angabe der Quelle http://www.medico.de) sind erlaubt und erwünscht.

Mit den besten Grüßen aus Frankfurt
Tsafrir Cohen

Das ist aber seltsam, dachte ich. Ich konnte mich an keine einzige mail von Tsafrir erinnern, in der er die “Menschenrechtsverletzungen aller Seiten” angeprangert hätte. Immer war es die Israelis, die sich schlecht benahmen. Nun aber, da ein Mitarbeiter seiner Organisation angegriffen wurde, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Es gibt auch “Menschenrechtsverletzungen und zunehmende Repression der palästinensischen Autoritäten und bewaffneter Gruppen gegenüber der eigenen Bevölkerung”! Wie schrecklich! Wie konnte das nur passieren? Wo sich doch medico international und Hunderte anderer NGOs um die Not leidende Bevölkerung kümmern! Tag und Nacht, von vorne und von hinten.

Eine mögliche Erklärung für dieses seltsame Phänomen fand ich dann bei SPON. Der Bericht hiess “Disco Ramallah” und handelte von den Freuden eines Lebens im Krisengebiet: “Palästina ist das bestgehütete Geheimnis in der Hilfsindustrie. (..) Es klingt cool und gefährlich, weil es als Kriegsgebiet bezeichnet werden kann, aber tatsächlich ist es ziemlich sicher und hat all den Komfort, den Internationale wollen…”

Vom Designer-Sofa den Kamof den Palästinenser um Selbstbestimmung unterstützen, abends mit einer Bloody Mary auf das Wohl der Hamas anstoßen und zwischendurch Bettelbriefe nach Europa schreiben - was für ein Leben!

So lange dieses parasitäre Pack nicht von seinem “Recht auf Rückkehr” Gebrauch macht,  wird es keinen Frieden in Palästina geben. Bei Berio am Winterfeldtplatz sind noch ein paar Stellen frei.

 

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