Petapa ist überall
Sie fragt mich, ob ich wisse, warum der indische Pipal-Baum nicht nur ein heiliger Baum sei, sondern auch als Buddha-Baum bezeichnet werde. Wie immer, wenn ich mit ihr spreche, fällt mir darauf keine eloquente Antwort ein. Und wie immer beginnt sie, mir die Geschichte ihres Hundes zu erzählen. “Petapa” sei der Name des bettelarmen Ortes in Guatemala, in dem sie ihren Vierbeiner aufgelesen und gerettet habe. Das würde ihn so besonders machen. Er sei ein Hund mit Geschichte, mit Kultur, ein echter “Typ” eben. Stolz bezeichnet sie ihn als eine “wilde Latinokreuzung”, ein “ehrliches Stückchen Natur”, das ist ihr wichtig. Eben kein “Designerhündchen vom Züchter”, wie sie immer betont. Kurz schaut sie zu meinem Hund rüber.
Ihr Hund sei ihre Aufgabe, ihr Platz in der Welt. Um einem verlorenen Lebewesen eine Chance zu geben, das sei der einzige Grund, weshalb man überhaupt einen Hund haben sollte. Inzwischen habe sie von ihrem Hund schon so viel gelernt. Es sei unerträglich, wie einige Menschen ihre Hunde als Statussymbol oder Identitätsschub benutzen würden. Sie wirkt von ihren Worten überwältigt und möchte, dass ich sie kurz in den Arm nehme.
“Petapa” solle mit seinem Namen an all die streunenden, gequälten Hunde erinnern, die unsere Hilfe brauchen. Das Schicksal ihres “Petapa” müsse doch allen Hunden dieser Welt Mut machen. Aber sicher doch. Vielleicht werde ich den Straßenhunden bei meinem nächsten Griechenland-Urlaub, anstatt ein Stöckchen zu werfen, einfach mal von “Petapa” erzählen? In diesem Moment greift sie meine Hand und sagt: “Wir müssen jetzt handeln, denn es geht hier nicht nur um Guatemala. Petapa ist überall.”
Schweigend stehen wir eine Weile dort. Sie beseelt, ich peinlich berührt. Immer noch hält sie meine Hand, und ich fühle mich wie die Hälfte einer Lichterkette. Endlich erfinde ich einen wichtigen Termin und leite den Abschied ein, indem ich meinen Hund rufe.
Ich rufe meinen Hund ja wie ein Mensch, sagt sie schmunzelnd. “Na ja, irgendwie bin ich ja leider auch einer”, schmunzele ich zurück. Aber Hunde fühlen, denken, kommunizieren anders! Das sei mir schon klar, sage ich, aber ich habe eben dummerweise bisher nur menschliche Sprachen gelernt.
“Pass mal auf”, sagt sie, “watch me!” Ja, sie spricht gerne für ein internationales Publikum. Dann legt sie die Hand auf den Rücken ihres Hundes, schließt ihre Augen und bittet mich, Selbiges zu tun. Dann macht sie plötzlich ein Geräusch, das klingt, als würde sie Kontakt zu einer ausländischen Lebensform aufnehmen. “Become one with the dog”, nennt sie das. Sie will, dass ich dem Hund erlaube, zum “Spiegel meiner Seele” zu werden. Und durch die “intensive Reibung zweier Seelen”, meiner und der des Hundes, entstehe Wärme.
“Aisso, Aisso”, flüstert sie dann in Petapas Ohr, der darauf reagiert, indem er keine Reaktion zeigt. Ich versuche, die Situation aufzulockern, und frage, ob Petapa am Telefon auch so schweigsam sei. Daraufhin schaut mich Frauchen in etwa so an wie Petapa meinen Hund, als der ihm die andere Seite seines Stockes zum Festbeißen anbietet. Es ist, als wolle mein Hund sagen: “Komm, Dicker! Ich habe hier den coolsten Stock! Jeder zieht an einer Seite, wir knurren schön laut und haben super viel Spaß!” Kopfschüttelnd schaut “Petapa” mit müden Augen zu meinem Hund rüber, als wolle er sagen: “Das kann ja nun wirklich nicht dein Ernst sein, du hohle, überzüchtete Wohlstandsnuss. Weißt du, ich habe in Guatemala jeden gottverdammten Tag ums Überleben gekämpft. Ich wäre verhungert, hätten nicht ein paar Baumwollratten eine vertrocknete Tarantel mit mir geteilt. Wenn du sehen würdest, was ich gesehen habe, würdest du dein feines Industriefutter hier auf die Wiese kotzen, muchacho. Ich habe einfach gelernt, dass das Leben viel mehr zu bieten hat, als auf einem Stück Holz rumzuknabbern. Und jetzt kommst du Plattnase und bietest mir das Ende deines widerlich zugesabberten Stockes an? Muchas gracias, aber du kannst mich mal am Arsch lecken!”
Eine Einladung, die mein Hund immer dankend annimmt.Doch in diesem Fall kommt der Nachbarschaftskläffer “Keks” früh genug dazwischengerauscht und will mitspielen. Wieso hat die dralle Mittvierzigerin ihren Hund “Keks” genannt ? Eine Frage, die sie gerne beantwortet, obwohl sie ihr nie gestellt wurde. “Keks” sei der Name des Hundes in der Kindersendung “Löwenzahn”. Das fände sie lustig. Nun ja.
Drei Hunde sind einer zu viel, außerdem haben “Petapa” und “Keks” sich sicher viel zu erzählen.
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