Alexander Wendt / 08.12.2016 / 06:29 / Foto: Antonio Crucis / 9 / Seite ausdrucken

Der Denunziant, Teil 2

Der bei der Agentur Scholz & Friends angestellte Werber Gerald Hensel kämpft gegen alles, was aus seiner Sicht politisch rechts ist, indem er werbetreibende Firmen öffentlich unter Druck setzt, keine Anzeigen mehr in den von ihm geächteten Online-Medien zu platzieren.

„Unternehmen“, meint Hensel, „können in diesen Zeiten nicht unpolitisch bleiben“. Dass sich jeder zu bekennen habe und „nicht unpolitisch“ bleiben darf, zählt sowieso seit Jahrzehnten zum mentalen Grundbestand wohlmeinender Kreise: "Sag mir wo Du stehst".

Der Aktivist Hensel versucht allerdings nicht nur, der „Achse des Guten“ zuzusetzen, sondern auch der Trump-freundlichen US-Seite breitbart.com, über die sich seit der Präsidentschaftswahl fast alle deutschen Leitmedien entsetzen. Die gängigsten Vorwürfe gegen die Seite lauten, sie sei antisemitisch und hetze gegen Schwule. Konkrete Belege dafür lieferten bisher weder Spiegel Online noch ZEIT oder Hensel selbst. Warum Spiegel Online nicht erst einmal nach Antisemitismus auf der eigenen Seite fahndet (Jakob Augstein: „Wenn Jerusalem anruft, beugt sich Berlin“), bleibt dabei eine ganz spezielle Fußnote. Davon abgesehen: Nach Gerald Hensels absichtlich unscharfer Begriffsbestimmung von „rechts“ könnte man „Spiegel Online“ auch problemlos als linke Hetzseite bezeichnen –  die eine steht der politischen Mitte ungefähr so fern wie die andere in gegenteiliger Richtung.

Es gibt in der Tat einen einzigen Artikel auf Breitbart, dessen Headline (ein republikanischer Politiker wird als "Renegade Jew", als abtrünniger Jude bezeichnet) grenzwertig erscheint. Allerdings wirft der – jüdische – Autor darin dem Politiker vor, Israel nicht genügend zu unterstützen. Staranwalt Alan Dershowitz nannte die Headline "ill adviced, but not antisemitic".

So weit ich sehen konnte, fand Dershowitz' Urteil keinen Eingang in etablierte deutsche Medien – denn dort Antisemitismus entdecken zu wollen, wo Dershowitz, der sein Berufsleben lang gegen Antisemitismus kämpfte, keinen sieht – das wäre nun doch etwas zu offenkundig lächerlich. Mit Joel B. Pollak ist ein orthodoxen Jude Vice Senior Editor von Breitbart, mit Milo Yiannopoulos ein bekennender Schwuler Senior Editor.

Ein weiterer Vorwurf in Deutschland gegen breitbart.com richtet sich mittlerweile auf den Werbeboykott von Kellog’s gegen die Seite, den Breitbart mit einem Gegen-Boykottaufruf beantwortet („Dump Kellog’s). Nun ist jeder frei, irgendwo nicht zu werben, so wie es jedem freisteht, Cornflakes einer bestimmten Firma nicht zu essen.

Spiegel Online, dessen Schreiber sich erst über Breitbarts Kellog’s-Boykott auslässt, unterstützt selbstredend Hensel in seiner Aktion „Kein Geld für Rechts“. Über den Bringservice Lieferheld, der Hensel antwortete, die Firma sei "nicht von der Gesinnungspolizei", beeilte sich SpOn zu kommentieren, sie verhalte sich "unbeholfen".

Nun gibt es dreierlei zu der Aktion „Kein Geld für Rechts“ anzumerken: Erstens heißt es, breitbart.com wolle demnächst einen deutschsprachigen Ableger gründen. Konkrete Schritte dafür gibt es noch nicht. Aber einen besseren deutschen Werber und Netzstrategen als Boykott-Hensel könnte die Seite kaum finden. Vielleicht gehören Scholz & Friends ja zum Vorauskommando und betreiben Guerilla-Marketing für die Amerikaner?

Zweitens kann breitbart.com bei seiner Reichweite in den USA und weltweit einen geringen Verlust an Werbeeinnahmen von deutschen Firmen problemlos verschmerzen.

Und drittens finanziert sich die Achse des Guten vor allem durch Unterstützungsbeiträge ihrer Leser. Und deren Bereitschaft, etwas zu geben, dürfte durch den eifrigen Werber eher gefördert werden. Es kann zwar jeder unpolitisch bleiben, wenn er mag. Aber wer es nicht tut und eine Achsen-Patenschaft abschließt, der bekennt sich  – und erfüllt Hensels Wünsche schon mal zu fünfzig Prozent.

Mehr zum Autor: www.alexander-wendt.com

Foto: Antonio Crucis CC BY-SA 3.0, via Wikimedia

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Franck Royale / 08.12.2016

Klasse Reaktion von Lieferheld. Bei den anderen Unternehmen würde ich sagen: ja, die wissen sicherlich nicht, wo sie werben. Die wissen aber auch nicht, was für Pfeifen ihre sozialen Medienkanäle bespielen. Den tendenziösen SPON-Artikel mit den zitierten Denunzianten und die entsprechenden Reaktionen darauf sollte man sich schon mal aufheben - das hat auf jeden Fall noch juristische Relevanz.

Bernhard Reiter / 08.12.2016

Inzwischen bin ich der Auffassung, dass rechtfertigen allein nicht reicht. Man muss sich gegen solche Typen mit allen rechtstaatlichen Mitteln zur Wehr setzen. Die Äußerungen von Herrn Hensel sind klar geschäftsschädigend und sollten mit einer Unterlassungserklärung, einer Gegendarstellung sowie ggfls. Schadenersatzforderungen beantwortet werden.

Bernd Naumann / 08.12.2016

Dies war der Auslöser, endlich eine Patenschaft zu übernehme. Diesem Blog habe ich viel zu verdanken, wahrscheinlich würde ich ohne ihn immer noch grün wählen. Also danke und weiter so. Und wenn mich nicht alles täuscht, wird es diesen Blog noch geben, wenn das linksgrüne Denunziantenblatt sein Erscheinen längst eingestellt hat.

Gabriele Kremmel / 08.12.2016

Souverän und gar nicht unbeholfen finde ich die Atwort der Firmal Lieferheld auf die versuchte Einflussnahme der Gesinnungshobbydetektei. Wobei das eine starke Verharmlosung für derartige Umtriebe ist. Aktionistisch veranlagten Menschen wie besagtem Herrn Hensel geht es wohl kaum um das zusammentragen und abwägen von Fakten zu ihrer Meinungsbildung. Noch weniger sind sie bereit oder in der Lage, 1 + 1 zusammen zu zählen und auch nur annähernd objektiv zu bewerten. Sie beherrschen offensichtlich nur das ganz kleine Einmaleins der Meinungsbildung, und berechtigte Einwände finden schon gar keinen Einlass in solch einfach gestrickte Weltbilder. Mich erschrecken Menschen, die so völlig frei von unabhängigem Denken sind und denen das demokratische Grundprinzip der Gleichwertigkeit und Toleranz sowie der Berechtigung und sogar Notwendigkeit konstruktiver Kritik offensichtlich nicht bekannt ist. Noch mehr erschreckt mich die völlig ohne Not betriebene Agitation gegen Firmen, Organisationen und früher oder später einzelnen Menschen, die sich nichts zu Schulden kommen lassen außer andere Ansichten zu vertreten oder Werbung in missliebigen Medien platziert zu haben. Wer, wie ich, in der Nähe eines deutschen KZs aufwuchs und bereits im Volksschulalter mit der Frage konfrontiert wurde, was um alles in der Welt ganz normale Menschen dazu trieb, gegen ihre Mitmenschen zu agitieren, zu denunzieren, sie zu erniedrigen oder auch nur feige dabei zuzusehen wie andere dies tun, der findet seine Antworten zumindest teilweise bei solchen Aktionismushanseln. Ich hätte gute Lust, ihn dazu zu interviewen, um für diese Lebensfrage doch noch eine adäquate Erklärung zu finden.  

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