David Harnasch / 12.01.2014 / 12:29 / 1 / Seite ausdrucken

Sabra und Shatila

Ein paar Worte zu #Sabra und #Shatila, den Schnappatmungsstichwörtern unzähliger Leserkommentare zu den Nachrufen auf Ariel Scharon:

Die Falange dürstete nach Rache für ihren Anführer Gemayel Bashir. Und selbstverständlich nahmen die Falangisten bei ihrem Gemetzel in den Lagern, beides PLO-Hochburgen, dabei keinerlei Rücksicht auf die Genfer Konvention, wie ja auch sonst keine Partei im Libanonkrieg. Einschließlich der PLO beim Massaker von Damur. Oder den Moslemmilizen beim Massaker von Shatila und Burj-el Barajneh, dessen Opferzahl ähnlich liegt wie die von Sabra und Shatila, obwohl davon kein Schwein je gehört hat, weil keine Juden zugegen waren. Natürlich hätte Israel der Falange diesen Wunsch abschlagen können, um den Preis, die Allianz massiv zu beschädigen und um den Preis, sich selbst mit den PLO-Kämpfern herumschlagen zu müssen, die in nicht geringer Zahl neben den Zivilisten auch ermordet wurden. Vom sicheren Deutschland aus mit 30 Jahren Distanz betrachtet mag das moralisch geboten erscheinen, auch die israelische Kahan-Komission kam zu diesem Schluß. Ob es damals in der Hitze des Gefechts taktisch besonders klug gewesen wäre, wissen wir nicht.

Das einzige, was m.E. bemerkenswert ist, ist die Doppelmoral, mit der hier Israel mit größter Selbstverständlichkeit an komplett anderen Maßstäben gemessen wird, als ALLE anderen Teilnehmer an diesem Krieg.

Aus heutiger Sicht mag das sogar irgendwie verständlich erscheinen, denn Israel hat bei den Aktionen “Pillar of Defense” und “Cast Lead” ja tatsächlich größere und erfolgreichere Anstrengungen zur Schonung “feindlicher” Zivilisten unter widrigsten Umständen (das übliche Vorgehen der Hamas ist bekanntlich das doppelte Kriegsverbrechen, sich beim Angriff auf Zivilisten hinter den eigenen Zivilisten zu verschanzen) unternommen, als jemals irgendeine Armee in der gesamten Menschheitsgeschichte bewaffneter Konflikte, einschließlich der Bundeswehr und unseren Verbündeten in Afghanistan. Dass Israel zu solchem Vorgehen heute in der Lage ist und es sich leistet, ist selbstverständlich aller Ehren wert, kann aber unmöglich der Maßstab sein für 1985.

Die Angemessenheit einer Kriegshandlung ist selbstverständlich ganz und gar abhängig von den äußeren Umständen und besonders den Handlungen des Feindes. Will sagen: “Gut” und “böse” sind nicht primär relevante Kategorien auf dem Schlachtfeld. Einen Krieg moralisch “gut” gefochten zu haben, bringt mir rein gar nichts, wenn ich ihn verliere und meine Familie und mein Volk ausgerottet wurden, weil der Gegner weniger Skrupel hatte. Nur, wenn ich lebend aus der Sache rauskomme, kann ich mir den Luxus erlauben, mein Verhalten überhaupt anhand moralischer Maßstäbe zu reflektieren. Was Israel mit der Kahan-Kommission ja auch tat.

Auch das ist alles andere als selbstverständlich, wie jeder bestätigen kann, der den Libanon bereiste: Der Krieg wird entweder beschwiegen oder in vollkommen wahnwitzigen Narrativen beschrieben.

Erst heute und nur im Konflikt mit einem massiv unterlegenen Gegner wie der Hamas verfügt Israel über eine derartige militärische Überlegenheit, dass es sich moralische Skrupel während der Kriegsführung erlauben kann.

Ich maße mir nicht an zu sagen, dass Scharon “richtig” gehandelt hat. Definieren wir “richtig” als: “beachtung der Genfer Konvention und Vermeidung von Kriegsverbrechen”, hat keine Parte im Libanonkrieg “richtig” gehandelt. Ich stelle lediglich fest, dass ich die Angemessenheit seines Handelns nicht beurteilen kann. Und ich würde mir diese Zurückhaltung von all jenen deutschen Sesselstrategen wünschen, die im Nachhinein ganz genau wissen, wie man einen moralisch angemessenen Krieg geführt hätte, und denen zu Burj-el Barajneh damals genauswenig einfällt wie zu Yarmouk heute. Ansonsten bleibt Begins Feststellung gültig: “Goyim kill goyim, and they blame the Jews!”

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Leserpost

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Karl Baumgart / 12.01.2014

Interessanter Artikel. Ihrer Einschätzung der Doppelmoral der von Ihnen treffend ‘Sesselstrategen’ genannten Schlachtenbummler stimme ich zu. Aber eine Frage habe ich zu dem Begriff ‘Narrativ’. Gibt’s dazu nicht einen deutschen Begriff?  Meines Erachtens muss es einen geben, denn ‘Narrativ’ als Sustantiv kommt im Duden nicht vor.

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