Rainer Grell / 12.01.2017 / 16:00 / Foto: Tim Maxeiner / 3 / Seite ausdrucken

Runde und andere Zahlen

„123 Gramm Bierschinken, bitte.“ Die Verkäuferin sah mich ungläubig an: „Sie meinen ein viertel Pfund?“ „Nein, ich meine 123 Gramm.“ Angesichts dieses unmiss­verständlichen Kundenwunsches verzichtete sie natürlich auf die übliche Floskel, ob’s ein bisschen mehr sein dürfte. Zufrieden verließ ich den Laden.

Sie ahnen schon: Das habe ich mir nur ausgedacht. Niemand, und ich schon gar nicht, würde so eine verrückte Bestellung aufgeben. Man kauft eben ein viertel oder ein halbes Pfund oder meinetwegen auch 300 Gramm, aber niemals 123 oder 219. Aber warum eigentlich nicht? Oder haben Sie schon mal erlebt, dass Sie bei einem viertel Pfund genau 125 Gramm bekamen. Entweder, wenn’s ein bisschen mehr sein durfte, waren es 132 Gramm oder eben 123. Also hätten Sie ruhig gleich 123 verlangen können. Vielleicht hätten Sie dann 125 bekommen oder 132.

Aber das ist noch nicht alles. Nehmen wir mal die Jubiläen. Es gibt ein 25-jähriges Dienstjubiläum und ein 40-jähriges. Warum? Nun, 25 Jahre sind ein Vierteljahrhundert. Und 50 Jahre Arbeit kommen praktisch nicht vor, jedenfalls nicht bei Akademikern. Aber warum nicht auch 30 oder nur 30 statt 25? Oder gar 27 oder 32? Offenbar spielt die Magie der Zahlen eine Rolle. In der Regel müssen sie „rund“ sein. Wir feiern Schillers 200. Todesjahr (2005), Goethes 250. Geburtsjahr (1999) und 2006 das Heinejahr, weil der Dichter vor 150 Jahren gestorben ist.

Warum nicht mal „113 Jahre SPD“ feiern?

Die Amerikaner feierten 1976 zweihundert Jahre Unabhängigkeitserklärung, die Franzosen 1989 das Bicentenaire (200 Jahre Französische Revolution), und alle Welt 1999 das Millenium (die Jahrtausendwende). Und die Deutschen erwartet nächstes Jahr das 500-jährige Reformationsjubiläum, „ein Ereignis, bei dem man dabei gewesen sein muss“ (EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm), allein schon wegen der „Reformationsbotschafterin“ Margot Käßmann. Wann nach 1945 wurde ein Antisemit derart gefeiert? In der Lutherstadt Wittenberg wurde eigens ein „Reformationsjubiläum 2017 e.V.“ gegründet.

In München warb die SPD allerdings mal mit „113 Jahre SPD“, aber da war gerade Wahl und es stand keine andere griffige Zahl zur Verfügung. In einer solchen Notsituation muss es halt auch mal eine „krumme“ Zahl tun. Aber sonst!

Die Hochzeitsjubiläen bilden nur scheinbar eine Ausnahme. Die Haltbarkeit einer Ehe ist äußerst fragil, da käme man mit runden Zahlen nicht über die Runden. Man braucht schließlich einen Grund zum Feiern, und da ist eben jedes Mittel recht: zum Beispiel die „Blecherne Hochzeit“ nach acht Jahren oder die „Petersilienhochzeit“ nach zwölfeinhalb Jahren.

Die Magie der Zahlen (The Magic of Numbers, La Magie des Nombres, La Magia de los Numeros, La Magia dei Numeri), sie lässt auch uns (scheinbar) Aufgeklärte nicht aus ihrem Bann: In sieben Tagen erschuf Gott Himmel und Erde mit allem, was da wächst, kreucht und fleucht. Jesus hatte zwölf Jünger. Die Christen glauben an die Dreifaltigkeit, weswegen vermutlich aller guten Dinge drei sind.

Der Beter und der Joker

Sogar in den profanen Schlager hat diese Magie Eingang gefunden, wie uns der niederländische Sänger Ernst Gottfried Bielke, besser bekannt als Bruce Low, in seinem „Kartenspiel“ demonstrierte:

Ich fand zur Vesperzeit in einem Dom mich wieder
und setzte mich im Seitenschiff auf eine Holzbank nieder.
Schräg vor mir saß ein Mann, der spielte dort mit Karten!
„Sie müssen damit“, sprach ich, „bis nach der Messe warten!“
Der Fremde hob den Kopf und sah mir ins Gesicht:
„Verzeihen Sie, mein Herr, aber ich spiele nicht!
Kommt mit hinaus“, sagt er, indem er sich entfernt,
„ich zeig Ihnen, was man von meinen Karten lernt.“
Und draußen im Portal, dort, wo es niemand stört,
hat mir der Fremde dann sein Kartenspiel erklärt.
„Mit jedem ASS“, sprach er, „soll ich erinnert werden:
Es gibt nur EINEN Schöpfer des Himmels und der Erden.
DIE ZWEI sagt mir: ZWEI Menschen gab’s im Paradies;
Adam und seine Frau, die welche Eva hieß.
Zieh ich die Karte DREI, so heißt das für den Frommen:
DREI heil’ge Könige sind nach Bethlehem gekommen.
VIER Evangelisten, zu uns’res Herren Ruhm,
haben uns gebracht das Evangelium.
FÜNF Kieselsteine suchte sich David aus dem Bach,
dann legt’ er mit der Schleuder den Goliath er flach.
In SECHS Tagen schwerer Arbeit erschuf sich unser Herr
die Menschen, Tiere, Pflanzen, die Erde und das Meer.
Am SIEBTEN Tage ruhte der liebe Gott sich aus
auf einer kleinen Bank vor seinem gold’nen Haus.
ACHT Menschen, wohl gezählt acht nur, und zwar die Frommen,
sind bei der großen Sintflut damals nicht umgekommen:
Noah und die drei Söhne, das sind zusammen vier,
und jede ihrer Frau’n. Danach schloss sich die Tür.
NEUN Aussätzige in Israel, bis auf den Tod erkrankt,
haben für ihre Heilung dem Herrn nicht mal gedankt!
ZEHN Gebote Moses den Auserwählten gab,
als er vom Berge Sinai zum Volke stieg hinab.
Ich habe hier vier Buben, ich habe hier vier Damen,
ich habe hier vier Könige, das sind ZWÖLF zusammen.
Zwölf Stunden hat der Tag, zwölf Stunden jede Nacht,
zwölf Monate das Jahr: So wird die Zeit gemacht.
Herz, Karo, Pik und Treff, VIER Farben in der Hand:
vier Jahreszeiten färben Wald, Wiese, Feld und Land.
ZWEIUNDFÜNFZIG Karten hab’ ich in meinem Spiel;
nun zähl im Jahr die Wochen, es sind genau so viel.
Und zählen wir die Punkte, so sind es ohne Frage
DREIHUNDERTFÜNFUNDSECHZIG, soviel ein Jahr hat Tage.“
„Moment“, sagt’ ich, nachdem ich Papier und Blei genommen,
„ich kann nur auf dreihundert und vierundsechzig kommen“.
„Ja“, meinte da der Fremde mit einem stillen Lachen.
„Sie dürfen nie die Rechnung ohne den JOKER machen!“

„Unglückszahl“ 13. Aber was ist mit der 7?

Eine besondere Rolle spielt bekanntlich die 13, die nicht nur bei uns als „Unglückszahl“ empfunden wird. Dabei handelt es sich lediglich um eine Primzahl, wie 3, 5, 7 und viele andere. In den USA wird auch heute noch vermieden, ein 13. Stockwerk zu benennen. Stattdessen wird es z.B. mit 12A beziffert oder gleich das 14. daraus gemacht. Ähnlich ist es auch in Flugzeugen oder auf Kreuzfahrtschiffen, wo es ebenfalls keine 13. Sitzreihe bzw. kein 13. Deck gibt. Auch in Krankenhäusern wird auf ein Zimmer Nr. 13 verzichtet, im Formel-1-Motorsport auf die Startnummer 13. In Wellington, der Hauptstadt Neuseelands, sind Regierungsbüros oft im 13. Stock, weil dieser nicht an Geschäftsleute vermietbar ist, die anscheinend Bedenken haben, diese Adresse könnte geschäftsschädigend sein. (Wikipedia)

In der Mathematik hat die Sieben eine Sonderstellung: Sie kann weder als Produkt noch als Faktor aus den Zahlen 1 bis 10 gebildet werden, weder durch Dividieren noch durch Multiplizieren der ersten zehn Zahlen lässt sich die Sieben gewinnen:

1 = 10:10
2 = 10:5
3 = 9:3
4 = 2x2
5 = 10:2
6 = 2x3
7 = ?
8 = 4x2
9 = 3x3
10 = 2x5

Die Sieben gilt als göttlich gesetzt, sie zeugt nicht und wird nicht gezeugt. Es gibt sieben Weltwunder: die Pyramiden von Gizeh (als einzige erhalten), die hängenden Gärten der Semiramis, der Koloss von Rhodos, der Leuchtturm von Alexandria, die Zeus-Statue von Olympia, der Artemis-Tempel von Ephesos, das Mausoleum von Halikarnassos. Und die sieben Zwerge wollen wir auch nicht vergessen! Wie sagte doch Napoleon I.? Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt.

Na ja. Die berüchtigte Zahlenmagie der Chinesen schenke ich mir deshalb. Sie macht das Leben auch heute noch komplizierter als es ohnehin schon ist.

Foto: Tim Maxeiner

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Leserpost

netiquette:

JF Lupus / 12.01.2017

Die schlimmste Zahl derzeit ist 11, denn 11 Jahre leidet dieses Land nun schon unter Merkel. Vermutlich werden spätere Generationen der Reste deutscher Bevölkerung (nicht diejenigen, die noch nicht so lange hier leben, sondern die Nachfahren derer, die schon verdammt viel länger hier leben) die 13 als Unglückszahl abwählen und die 11 nehmen.

Dietrich Herrmann / 12.01.2017

Schon mal was von Numerologie gehört, Herr Grell?

Wilfried Cremer / 12.01.2017

Zahlen sind wie Engel. Machen Sie nur kein B davor!

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