Fred Viebahn / 08.01.2007 / 00:02 / 0 / Seite ausdrucken

Role Model - mit kleinen Fehlern

Auf dem Cover des heutigen “Parade Magazine”, der millionenfach verteilten
Sonntagsbeilage der Washington Post und manch anderer amerikanischen
Zeitung, sind drei Sportler abgebildet: Basketball-Star LeBron James und
Volleyball-Olympiasieger Misty May-Treanor und Kerri Walsh. Darunter steht
in fettem Gelb: “Get Fit Now!”

Alle drei sind sympathische Kids, ehrgeizig, determiniert, die sich und
ihren Erfolg mit breitem gewinnendem Lächeln präsentieren, echte role models
also: Kinder, macht’s ihnen nach, statt auf der faulen Haut zu liegen oder
euch von unerreichbaren Tagträumen deprimieren zu lassen—oder gar in der
Falle krimineller Aktivitäten zu verkommen. Das Foto, dominiert von roter
Sportkleidung auf neutralem hellblauem Hintergrund, ist dabei sehr brav,
ohne jede sexuelle Anzüglichkeit.

Und doch stört mich was an diesem Bild: LeBrons Arme sind voll tätowiert.
Nein, da sind keine nackten Seejungfern zu sehen oder Namen verflossener
Freundinnen in gotischen Lettern, keine Kreuze oder Teufelssymbole; die
Tätowierungen scheinen eher zum Abstrakten zu tendieren, oder vielleicht
sind es Fantasieszenen—genau läßt sich das nicht ausmachen, als hätten
Fotograf oder Fotoredakteure hier die Eindrücke absichtlich mit Perspektive,
Licht oder Photoshop zum Verblassen gebracht.

Na toll, da haben wir’s mal wieder: Es fällt der “seriösen” Presse, die
sonst so bedacht auf ihr Renommee als “family newspaper” ist, daß jedes
four-letter word (einschließlich sowas harmlosem wie “damn”) geschamig
ausgepunktet wird, nicht ein, daß so ein Foto in dieser Riesenauflage
Scharen Jugendlicher in mieselige Tätowierungssalons treiben könnte (und
wahrscheinlich wird), wo sie sich, motiviert von einem “Vorbild”, mit
Körperkitsch verschandeln lassen—und zwar möglichst großflächig
und weithin sichtbar, denn so hat LeBron James es ihnen vorgemacht. Ich hab
nicht unbedingt was gegen kleine private Tätowierungen, und über größere,
wie sie manche Biker im reiferen Alter auf dem Bizeps oder sonstwo zur Schau
tragen, kann ich meistens nur grinsen (es sei denn, sie verbreiten eine
rassistische message). Doch jungen Leuten eine fragwürdige Hautästhetik per
role model auf dem Titelblatt der Sonntagszeitung zumindest unterschwellig
als begehrenswert schmackhaft zu machen, finde ich perfide.

“Aber du hast doch auch Sachen gemacht, die den älteren Leuten damals nicht
gefielen, wie dir die Haare lang über die Schultern wachsen lassen, und du
trägst sie immer noch lang”, sagte meine Tochter vor Jahren, als sie mit
Tätowierungsgelüsten flirtete. “Stimmt”, sagte ich, “aber die hätte ich mir
jederzeit abschneiden können—no damage done.”

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