Erschienen in der WELT AM SONNTAG am 3.2.2008
Der Einzug der Linken in die Landtage Niedersachsens und Hessens hat das Dilemma des deutschen Parteiensystems dauerhaft gemacht. Ihre Präsenz in den Parlamenten zweier westdeutscher Flächenländer macht die Linken zur festen fünften Kraft im parlamentarischen Getriebe. Dort kann sie, wie jetzt schon im Bund, klare Mehrheitsverhältnisse verhindern und Zweier-Koalitionen außer einer Großen Koalition unmöglich machen. Eine solche Blockadesituation, die jetzt in Hessen eingetreten ist, zeichnet sich als Nächstes auch für die bevostehende Landtagswahl in Hamburg ab…
Dass “Die Linke” in zwei großen westlichen Bundesländern unter ganz unterschiedlichen Voraussetzungen erfolgreich sein konnte - in Niedersachsen hatte sie es mit einer kraft- und führungslosen, in Hessen mit einer agilen SPD im Aufwind zu tun -, zeigt, dass sie mehr ist als eine flüchtige “Protestpartei”, die nur von der Schwäche anderer lebt. Der hastige Linksschwenk der SPD hat ihr den Wind jedenfalls nicht aus den Segeln genommen. Im Gegenteil: Dass es der Linkspartei scheinbar mühelos gelang, die Sozialdemokratie nach links zu treiben und das wichtigste Erbe der Ära Schröder, die Agenda 2010, eilfertig über den Haufen zu werfen, muss ihre Wähler davon überzeugen, dass eine Stimme für sie auch im Westen keineswegs verschwendet ist. Auch das Argument, die Linke schwäche die SPD und diene so objektiv der Rechten, lässt sich nicht ohne Weiteres aufrechterhalten. Sie fängt vielmehr nicht zuletzt Wähler auf, die sonst gar nicht mehr - jedenfalls nicht für etablierte Parteien - an die Urne gehen würden.
Mit der Linkspartei kehrt das historische Gespenst einer linkssozialistischen Kraft zurück, das von der Nachkriegs-Sozialdemokratie (und später von den “realistisch” geläuterten Grünen) schon dauerhaft aus westdeutschen Parlamenten verdrängt zu sein schien. Unter der Patronage der ostdeutschen Postkommunisten feiern nun chronisch erfolglose westdeutsche Linksaußen jenseits der SPD ungeahnte Erfolge. Auf dem Ticket der Linken schaffte es in Niedersachsen gar ein aktives Mitglied der abgehalfterten DKP, einst Statthalterin der SED in der Bundesrepublik, in einen westdeutschen Landtag.
Zwar bietet die West-Linke in weiten Teilen das Bild eines zusammengewürfelten und zerstrittenen Haufens, der verbitterte Altsozialdemokraten, aktivistische Gewerkschafter und Linkssektierer unterschiedlichster Färbung umfasst.
Doch darauf, dass sich die frischgebackenen linken Landtagsfraktionen selbst zerlegen könnten, wie dies etwa bei der rechtsradikalen DVU der Fall war, sollte niemand zu große Hoffnungen setzen. Die Linksparlamentarier haben mit der Ex-PDS nämlich den erfahrenen Apparat der Nachfolgerin einer einstigen kommunistischen Staatspartei im Nacken. Er wird sich den historischen Einbruch in die politischen Zentren des einstmaligen westdeutschen Feindeslandes kaum von einigen haltlosen Sektierern zerstören lassen. Auch dürfte der Machtinstinkt gewiefter Polit-Profis wie Oskar Lafontaine oder bewährter Drahtzieher wie dem niedersächsischen Landesvorsitzenden und einstigen westdeutschen Stasi-Zuträger Dieter Dehm ausreichen, um Mittel und Wege zur ausreichenden Disziplinierung störrischer Links-Chaoten zu finden.
“Durch eine noch linkere Politik kriege ich sie nicht weg”, sagt SPD-Fraktionsvorsitzender Peter Struck zutreffend über den hilflosen Versuch der SPD, die Gysi-Lafontaine-Truppe im Linkssein zu übertrumpfen. Denn die Linkspartei besetzt ein ideologisches Segment, das von der SPD auch mit noch so viel Sozialrhetorik nicht ausgefüllt werden kann. Es ist das einer grundsätzlich antikapitalistischen Systemopposition mit ausdrücklich sozialistischer Ausrichtung. Im Inneren ist ihr Fernziel eine andere Republik als die wesentlich von der Sozialdemokratie mit geschaffene, nach außen stellt sie frontal die transatlantische Westbindung Deutschlands infrage. Die Verschärfung der Lage in Afghanistan und der zunehmende Druck auf die Bundeswehr, dort offen an Kampfeinsätzen teilzunehmen, wird der - auch weit über ihre Klientel hinaus populären - Forderung der Linken, sich aus dem politisch-militärischen Solidarverband des Westens zu verabschieden, in den kommenden Monaten weiteren Auftrieb geben.
Zumindest auf Bundesebene würde die SPD mit einem Linksbündnis daher riskieren, in eine Politik hineingezogen zu werden, die ihren Grundwerten zuwiderläuft. Alle Erfahrungen zeigen zudem, dass die SPD nur regieren kann, wenn sie auch die bürgerliche Mitte erreicht. Das gilt kaum weniger für die Grünen, die einen langen, of schmerzhaften Weg der Abkehr von linksfundamentalistischen Positionen hinter sich haben - ein Lernprozess, der im Sog der Linken schnell zunichtegemacht werden könnte. Andererseits bietet jedoch nur die Einbindung der Linken in Regierungsarbeit die Aussicht, sie politisch zu domestizieren.
Aber nicht nur SPD und Grüne, auch die “bürgerlichen” Parteien stellt die Karriere der Linkspartei vor ein schier unlösbares Problem. Der Wahlkampf Roland Kochs in Hessen hat bewiesen, dass sich mit ideologischer Polarisierung der Bann des durch die Linke hervorgerufenen Patts kaum brechen lässt. Wollen die Parteien den Linken die Rolle des Züngleins an der Waage nicht auf Dauer überlassen, müssen sie untereinander in stärkerem Maß als bisher koalitionsfähig werden. Ampel- und Jamaikakoalitionen müssen zu normalen Optionen werden. Doch damit verwischten die Parteien ihre für den Wähler erkennbaren Unterschiede weiter. Zudem können Dreierkoalitionen noch unbeweglicher sein als Große Koalitionen. Davon profitieren die extremen Ränder.
Nutzten aber andererseits SPD und Grüne ihre “strukturelle Mehrheit” mit der Linken und drängten die bürgerlichen Parteien in die Daueropposition, müssten diese mit einem Rechtsruck antworten. Hielten sie die Mitte, könnte eine Rechtsaußen-Partei entstehen. Ein Sechs-Parteien-System mit zwei radikalen Polen aber würde die politische Stabilität der Bundesrepublik tatsächlich ernsthaft gefährden.