Kann man einen Tag nach der Wahl überhaupt noch eine sinnvolle Wahlnachlese schreiben? Das Ergebnis der saarländischen Landtagswahl war so überraschend langweilig, dass es für jeden Kollegen, der das Abstimmungsverhalten der Saarländer zu kommentieren hatte, schwer war, einen halbwegs originellen Ansatz zu finden. Gut, da gab es den leichten Verlust der SPD, die sich schon beinahe an der Landesspitze wähnte. Da hätte man schon schreiben können, dass die Kleider des neuen sozialdemokratischen Kaisers Martin Schulz noch so hundertprozentig sein mögen, sie können die unschöne inhaltliche Blöße und Beliebigkeit der SPD nicht bedecken. Doch das schrieb ja schon jeder, wenn auch vielleicht in andere Worte gekleidet.
Zum sensationellen Erfolg der CDU-Ministerpräsidentin, die sich im Wahlkampf gern AKK kürzeln ließ, was manchen Beobachter allerdings nicht – wie wahrscheinlich gewollt – an JFK erinnerte, sondern mehr an AK 47, hat auch schon jeder alles gesagt. Manche sahen darin einen Sieg der Kanzlerinnen-Gefolgsfrau. Andere glaubten, ihr Erfolg könne im Gegenteil damit zu tun haben, dass sie, dem Vorbild von Mark Rutte in den Niederlanden folgend, Propaganda-Auftritte von Erdogan-Ministern verbieten wollte.
Zwei demoskopische Irrtümer ergeben eine perfekte Aufstiegskurve
Das herausragendste Ergebnis war noch das schlechte Abschneiden der Grünen. Der saarländische Landtag wird in den nächsten vier Jahren auf ihre Beiträge zur Volkserziehung durch gut gemeinte Verbote verzichten müssen. Dass Linke und AfD etwas schwächer als erwartet, aber auch nicht sensationell schlecht abschnitten, bot ebenfalls kaum Gelegenheit, eine originelle Wahlnachlese zu schreiben. Was also tun? Vielleicht sagt ja jemand aus der Riege der Parteiführerinnen und -führer etwas, das Anlass zu einem ironisch-unterhaltsamen Kommentar bietet. Doch wie immer haben ja doch alle irgendwie gewonnen oder sie finden Gründe, warum sie trotz richtiger Politik und richtiger Inhalte und der richtigen Kandidaten nicht beim Wähler landen konnten.
Aber eine Variante fiel auf, die seit einigen Wahlen den Instrumentenkasten der Wahlverlierer bei der Umdeutung zum Sieg bereichert. Diesmal hat vor allem SPD-Vize Ralf Stegner davon Gebrauch gemacht. Er braucht einen Sieg, um den Schulz-Effekt zu belegen. Zu sehr hatte sich der Genosse über den gelungenen Coup gefreut, als die Öffentlichkeit mit einer schnellen sozialdemokratischen Postenverschiebung, inklusive neuem Hoffnungsträger Martin Schulz, überrascht wurde. Das hundertprozentige Wahlergebnis, das ihm jüngst die Parteitagsdelegierten bescherten, schien zu bestätigen, dass sich Wähler so leicht beeindrucken lassen.
Wie aber lässt sich die Niederlage nun in einen Schulz-Sieg uminterpretieren? Ganz einfach: Um Sieger zu sein, muss man sein Ergebnis verbessert haben. Ein verlorener Prozentpunkt gegenüber dem letzten Ergebnis ist natürlich kein Sieg. Aber Stegner hat einen anderen Vergleichswert ausgemacht: Die Umfrageergebnisse der Demoskopen. Nicht die, die nach dem Erscheinen von Martin Schulz im Saarland ein Kopf-an-Kopf-Rennen von CDU und SPD vorhersagten, sondern die, die vor wenigen Monaten noch schlechter aussahen, als das jetzige Wahlergebnis. Demgegenüber hätte man ja gewonnen, sagt Stegner, und somit sei belegt, dass der Schulz-Effekt wirkt.
Trunkenheit von falschen Prozenten?
Wie schön. Andererseits könnte es auch sein, dass nicht Stegner, sondern der Wähler gegen die Demoskopen gesiegt hat. Die Zuverlässigkeit von Umfrageergebnissen hat ja in letzter Zeit ohnehin erheblich nachgelassen, nicht nur beim Brexit-Referendum. Möglicherweise zeichneten die von Demoskopen nach der Schulz-Krönung nahezu explodierenden Umfragewerte für die SPD kein realistisches Bild von der tatsächlichen Stimmungslage bei deutschen Wählern. Was, wenn die glückliche Trunkenheit der Sozialdemokraten auf falsch angenommenen Prozenten fußt?
Dann müssten sich die Genossen doch wieder fragen, wo der Fehler in ihrer Wahrnehmung liegt. Das Hundertprozent-Ergebnis war sicher echt und schien dem Schulz-Hype recht zu geben. Nur kann man die Zahl auch anders interpretieren. Dort, wo es früher in der SPD noch Widerspruch und offene Debatte gab, herrscht inzwischen Leere. Vielleicht liegt es daran, dass es in den Jahren vor der angeblichen Parteieintrittswelle in die SPD, viele Parteiaustritte gab. Vor allem auch viele Parteiaustritte von Genossen, die eigentlich zum sozialdemokratischen Urgestein zählen müssten. Ist die Partei von denen, die widersprechen, gereinigt, dann klappt es auch mit den hundert Prozent. Nur für viele frühere SPD-Wähler wird die Partei immer uninteressanter.
Mag Stegner seinen Sieg über die Demoskopen feiern. Wenn die Wähler auch über Demoskopen siegen, ist es viel spannender.
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