Die Migros will in den nächsten Wochen 200 Tonnen Reis vernichten. Diese Nachricht traf mich beim sonntäglichen Frühstück und der Schlussredaktion meiner nächsten Kolumne. Auch wenn es nichts Heiliges gibt, überkam mich ein heiliger Zorn. Meine eben fertig gestellte Kolumne wurde vernichtet. Es war Zeit, auf die Migros einzuprügeln. Wie üblich, wenn Migros in Bedrängnis gerät, frohlockt im Hintergrund Coop. Bei ihnen seien nur dreissig Tonnen kontaminiert! Das hat mir den Rest gegeben. Ist etwas kontaminiert, bedeutet dies, es hat irgendeine Sauerei drin, zumindest aber etwas Giftiges. Und genau dies ist hier nicht der Fall…
Beim „kontaminierten“ Reis hat es nämlich unter Tausenden von Reiskörnchen ab und zu ein gentechnisch verändertes Reiskorn. Bei Coop lagern seit einem Jahr zweitausend Tonnen vom verdächtigen Reis. Dank der nicht willkürlich festgelegten Empfindlichkeitsgrenze des DNA-Nachweistests sind bei Coop bloss 30 Tonnen positiv. Migros hat mehr Pech gehabt, von den 1500 Tonnen ihres Reiselagers scheinen 200 Tonnen ab und zu ein gentechnisch verbessertes Körnchen zu enthalten. Es lagern also in der Schweiz 3,5 Tonnen Reis mit denen man nicht so genau weiss, was tun, oder die man industriell verwerten will. Was immer das bedeuten mag, ich hoffe, damit wird nicht Bioethanol für umweltfreundliche Autos produziert. Reis ist kein grüner Tiger für den Tank!
Meine Spontanreaktion war verfrüht. Die Grossverteiler hängen bloss mit drin. Der Verkaufstopp kommt vom BAG. Für nicht bewilligte Gentechpflanzen herrscht in der Schweiz Nulltoleranz. Da Vorschriften nun mal Vorschriften sind, schiebt das BAG die Verantwortung gleich weiter in Richtung EU. Man tut dies, obwohl man zugibt, dass von dem Reis keinerlei Gefahren für den Konsumenten ausgehen. Man ist mit dieser Meinung auch nicht alleine: Niemand auf dieser Welt stuft diesen Reis als gefährlich ein, ausser vielleicht ein paar Wirrköpfe, die vom Angst schüren leben.
Selbstverständlich will auch die EU die Hände in Unschuld waschen. Angesichts des weltweiten Hungers, hat niemand ein gutes Gefühl, wird ein Kulturgut wie Reis vernichtet. Schuld ist also die Achse des Bösen und die sucht man neuerdings in Amerika. Dort hat man einen Agrokonzern gefunden, gegen den bereits Sammelklagen laufen. Im Schnellverfahren wurde dieser Gentech-Reis in Amerika zwar zugelassen und wird nun von Millionen Menschen verzehrt, aber die böse Firma hat keine Formulare für die Zulassung in Europa ausgefüllt.
Das Trauerspiel erinnert an den Herbst 2002, als das Welternährungsprogramm gentechnisch veränderten Mais den 13 Millionen hungernden Menschen in Afrika zur Verfügung stellen wollte. Der wohlgenährte Präsident von Sambia weigerte sich das Geschenk anzunehmen. Er lasse lieber seine Leute verhungern, als ihnen giftiges Genfood zu geben! Diese Aussage erschütterte bloss ein paar Humanisten bei uns. Hoffentlich protestiert nun die dritte Welt, wenn wir Reis vernichten, nur weil die notwendigen Formulare in den Aktenordnern der Behörden fehlen.
In diesem Affentheater braucht es jetzt jemand der Mut hat. Falls die Migros sich auf ihre Ursprünge besinnt, als ihre Vertreter noch Steine aus dem Bundeshaus schmissen, wäre jetzt ein kleinwenig sozialer Ungehorsam wahrscheinlich sogar Image-fördernd. Würden die 200 Tonnen Reis in umweltfreundliche Papiersäcke abgepackt, mit einem Bild von Dutti und der Aufschrift «gratis» in die Regale gestellt, wäre dies wahrscheinlich sogar billiger als die Vernichtung. Im Kleingedruckten auf dem Sack könnte zudem stehen: „Dies ist ein gesundes Lebensmittel, kein Schwein darf es essen, weil bei uns Nulltoleranz herrscht.“ Damals, beim «Gentech-Lezithin-Schokoladen» Skandal hatten nämlich wenigsten die Schweine etwas davon.
Vielleicht fällt für einmal die Coop der Migros nicht in den Rücken und unterstützt diese Aktion, diesmal aus Scham, weil man Lebensmittel nicht vernichtet, ausser sie wären giftig.
Die Kolumne von Beda M. Stadler erschien zuerst in der NZZ am Sonntag am 23. September 2007.