Dass stärkstes Misstrauen geboten ist, wenn „Studien“, „Forschungsberichte“ oder „Rankings“ von Organisationen in Umlauf gebracht werden, in deren Namen „UN“ (wie „United Nations“) aufscheint, ist keine ganz frische Erkenntnis. Die Elaborate dienten schon oft, wenn nicht überwiegend, einer einzigen Agenda: öffentliches oder privates Geld für nutzloses Zeug locker zu machen. Zum Beispiel für weitere „Studien“, „Untersuchungen“ etc. pp. Eine Studie der Kinderhilfsorganisation Unicef insinuierte kürzlich, deutsche Jugendliche seinen zwar relativ „reich“ und schulisch gut gebildet, dennoch im Vergleich zu ihren Altersgenossen in anderen Industrieländern ziemlich unglücklich.
Im „Zufriedenheitsranking“ der Unicef sind die deutschen Kids gegenüber der letzten einschlägigen Untersuchung um 16 Zähler auf Platz 22 abgestürzt, liegen somit noch hinter griechischen Jugendlichen. Der Hype schaffte es sogar in deutsche Leitmedien wie „Bild“ und „Süddeutsche Zeitung“. Prompt erhob sich große Betroffenheit. Sofort von Journalisten angerufene „Experten“ kriegten den Laberflash. Der funktioniert nämlich auch ohne Kokain. Für ein Quäntchen Medienpräsenz würde so mancher Prof seine Oma totquasseln.
Ein „Zeit“-Autor hat jetzt der Studie, soweit es ihr Zufriedenheitsranking betrifft, den Stöpsel gezogen. Was der Kollege da aufdröselt, ist ein klassischer Fall, wie man mit zusammengeklaubten Datensätzen, aus denen dann abwegige und teils grotesk falsche Schlüsse gezogen werden, Tatarenmeldungen in die Welt setzt. Gelegentlich erinnert die „Zeit“-Recherche über die Aussagekraft von „Fakten“ zum Jugendunglücksgefühl ein bisschen an den lustigen Fall der Hitler-Tagebücher des „Stern“, als im Vorfeld der Veröffentlichung so genannte Experten gefälschte Schriftproben mit gefälschten Schriftproben verglichen.
Zitat aus der „Zeit“: =Im Falle des Zufriedenheitsrankings stammen die Daten aus dem Report “Health Behaviour of School Aged Children” (HBSC), der in regelmäßigen Abständen für die Weltgesundheitsorganisation erhoben wird. Noch genauer: Eigentlich bezieht sich der Unicef-Report – wie bei einer Art Stillen Post – auf einen Unicef-Hintergrundartikel, der sich seinerseits auf einen wissenschaftlichen Artikel bezieht, der sich wiederum auf den HBSC-Report bezieht.=
Was Martin Spiewak, Autor des verdienstvollen „Zeit“-Artikels, meiner Meinung nach nicht ganz richtig einordnet, ist die Schuldfrage. Er macht die deutschen Medien für das sinnlose Bohei um die Unicef-Veröffentlichung verantwortlich. Die Journalisten hätten nicht genau in die umfängliche Unicef-Studie hineingeschaut - sonst wäre ihnen aufgefallen, dass die behauptete Misere gar keine ist.
Doch andererseits schreibt Spiewak:
=Die Zahlen zur Schule sind besonders interessant. Denn das Unicef-Komitee-Mitglied Hans Bertram machte “die einseitige Konzentration auf Leistung und formalen Erfolg” dafür verantwortlich, “dass sich viele Kinder und Jugendliche ausgeschlossen fühlen”. Das Zitat lief auf allen Kanälen. Laut HBSC-Umfrage klagt jedoch nur ein knappes Viertel der deutschen Schüler über zu viel Leistungsdruck, weniger als in den meisten anderen Ländern. Im Schulparadies Finnland sind es fast doppelt so viele. In den deutschen Unicef-Bericht schafften es diese Zahlen leider nicht.=
Wenn also eine solche Studie schon mal hakenkrumm und auf einen Effekt hin verkürzt der Medienmeute zum Fraß vorgeworfen wird, welcher Journalist wäre dann in der Lage, ihre Fehler sogleich zu durchblicken? Journalismus hat auch was mit Tag zu tun, so ist das nun mal. Ausgeruht nachschauen, das ist ein Job für, sagen wir, Schreiber von Wochenpublikationen.
Was wenigstens in diesem Fall ja auch geschehen ist. Am besten wäre es freilich, man träte Studien, auf denen was mit UN draufsteht, gleich in die Redaktionstonne. Erkennbar idiotische „Glücks-Rankings“ sowieso.
PS: Wenn, möglicherweise, deutsche Pubertierende trauriger sind als andere – nicht viel, aber ein bisschen -, könnte das auch an einem Umstand liegen, den weder Unicef noch die „Zeit“ auf dem Zettel haben? Es gibt, glaube ich als ziemlich Gereister sagen zu dürfen, wohl kein anderes Industrieland, in dem die naturgemäß für jeden Mist anfälligen Jugendlichen von Medien und Erziehern (was in Deutschland auf dasselbe rauskommt) derart mit Horrorszenarien über ihre Zukunft belästigt, permanent verängstigt, von Kika-Tagen an verunsichert und mit Risikobetrachtungen zugemüllt werden. So heftig, so tendenziös, so faktenfrei, dass zum Beispiel den Jungs und Deerns von der Waterkant schon der Bau eines hoch modernen Kohlekraftwerks in Hamburg-Moorburg als nahende Apokalypse erscheinen muss.
Darüber werden wir allerdings, fürchte ich, in der „Zeit“ so bald nichts lesen. http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-04/unicef-bericht-unglueckliche-jugendliche-analyse/komplettansicht