Von Markus Karp.
„Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben!“ – so oft ist dieses Zitat des barocken Bajuwaren Franz Josef Strauß gebracht worden, dass es schon als abgenutzt gelten darf. Aber obwohl man es bis zum Überdruss gehört hat, ist die innewohnende Botschaft wohl überhört worden. Die Kanzlerin hat die Aussage sogar persönlich relativiert: „Wenn der Satz von Strauß aber andererseits auch so verstanden werden kann, dass im Ergebnis Prinzipien relativiert oder gar aufgegeben werden müssten, damit Menschen sich nicht von der Union abwenden, Prinzipien, die für unser Land wie auch die Union konstitutiv sind, die den Kern unserer Überzeugungen ausmachen, dann gilt dieser Satz für mich nicht.“
Geschickt wurde das Strauß’sche Bonmot so relativiert: Er gelte, natürlich, aber wenn die CDU-Führung davon abweiche, dann nur um ganz grundlegender demokratischer und humanitärer Werte wegen. So wurde ein Credo entsorgt, ohne Kritik zuzulassen. Denn wer möchte sich um Worte – außerhalb Bayerns durchaus zwiespältig wahrgenommener – verblichener Politgrößen verdient machen, wenn es um eine höhere Moral geht?
Ob Merkel aber das Mantra nur aus moralischen Erwägungen heraus entsorgt hat? Und selbst wenn, war es klug und hält es auch einer langfristigen verantwortungsethischen Betrachtung stand?
Kohl wurde eine solche Dualität geglaubt
In den letzten Wochen des Wahlkampfes 2017 war die durchaus schizophrene Situation zu besichtigen, dass der amtierende schwarze Innenminister und CSU-Innenpolitiker mit harten Vorschlägen zum Familiennachzug beim Wahlvolk hausieren ging, während Schäuble und Özdemir bei Anne Will die heißeste Phase vor den Wahlen mit nach außen dokumentierter Eintracht in einer Talkshow einläuteten und Merkel attestierten, eine „Lichtgestalt“ zu sein.
Freilich, mit einer ähnlichen Dualität von im Grunde widersprüchlichen Positionen, die gleichermaßen Menschen links wie rechts der Mitte anzusprechen versuchten, war die Union auch schon zu Zeiten Helmut Kohls aufgefallen.
Nur in der Ära Kohl wurde es geglaubt. Mittlerweile jedoch hat das mit Vorliebe vor Wahlen praktizierte Unionsritual, mit harten innenpolitischen Forderungen das konservative, nationale und moderat rechte Wählerpotenzial zu gewinnen, erheblich an Effektivität eingebüßt. Selbst ein Horst Seehofer, lange Zeit Hoffnungsträger, vor allem von frustrierten konservativen CDU-Wählern außerhalb Bayerns, die mit der bayerischen Dialektik unvertraut waren, kann mit scharfen Ankündigungen keine Begeisterung mehr entfachen. Dass die nämlich irgendwelche Folgen zeitigten, hofft oder befürchtet niemand mehr. Selbst die routinierte rot-grüne Empörung über die gut kalkulierten Seehofersager ebbt schnell wieder ab, weil alle Beteiligten wissen, dass es sich um Kulissenschieberei handelt.
Widerborstige wurden in die Todeszone verbannt
Viele, wohl eine Mehrheit in der Bundesrepublik, begrüßen das. Die National- und Rechtskonservativen in der Union waren jahrzehntelang ein Ärgernis für die Mitte ihrer Partei und ein rotes Tuch für alle, die sich links von der CDU verorteten. Das Angela Merkel von Linksextremen attackiert und ausgepfiffen würde, wie einst Strauß und Kohl, ist undenkbar geworden. Bei den Wahlkampfauftritten der alten und neuen Kanzlerin haben sich denn auch keine linken Störer mehr eingefunden.
Gesäumt waren die Wahlkampfauftritte hingegen fast immer von rechten Demonstranten, die Merkels progressiver General Tauber mit drastischen Worten allesamt ins nationalsozialistische Eck verwies. Damit waren die Widerborstigen samt und sonders in die Todeszone der Politik verbannt, eine Diskussion beendet.
Es fragt sich allerdings, ob es für das politische Gefüge Deutschlands gut war, die Entfremdeten pauschal als rechtsextrem zu deklarieren und die Union damit der Möglichkeit zu berauben, in dieses Spektrum hineinzuwirken. Zwar sagt man sich jetzt, nach der Wahl, es sei ja noch einmal gutgegangen. Die AfD sitzt zwar mit einem soliden Ergebnis im Bundestag, aber der Union hat das kaum geschadet. Angela Merkel kann Kanzlerin bleiben und weiß sich einig mit einer übergroßen Mehrheit im Bundestag, dass der bisherige Kurs im Grundsatz richtig war.
Die AfD wird ausgegrenzt, so gut es geht, es herrscht die Überzeugung vor, dass sie sich entlarven wird. Die skandalträchtige Partei könnte, so die Meinung vieler Politikprofis, schon bei der nächsten Bundestagswahl an der Fünfprozenthürde scheitern. Auch die bisherigen Mobilisierungsthemen der AfD, Euro und Migration, könnten 2021 längst erledigt sein, so die Hoffnung.
Die Rechten besetzen die Megathemen
Hier gibt es aber eine ganze Reihe von Annahmen, die sich als illusorisch erweisen könnten: Die Skandale und Machtkämpfe in der AfD haben zwar deren Ergebnis erheblich eingetrübt, aber sie waren auch eine Gnadenfrist für die klassischen Bundestagsparteien. Eine konsolidierte AfD hätte wohl wesentlich weniger Wähler verprellt – für den Bundestag hat es so oder so gereicht. Auch die Selbstzerstörung ist nicht ausgemacht.
So, wie sich die Grünen vom linken Narrensaum getrennt haben, könnte die disziplinierende Wirkung des Parlamentarismus denselben Effekt auf den extrem rechten Rand der AfD haben. Zweifelsohne wird es bei der AfD auch viele Skandale, beschämende Enthüllungen und spektakuläre Austritte geben, anlässlich derer der politische Feuilleton verlässlich das Totenglöckchen läuten wird. Schaut man aber in die europäische Nachbarschaft, zeigt sich, dass für rechte Parteien der Weg ins rechtsextreme Sektierertum nicht vorgezeichnet ist, wenn sie es einmal in das jeweilige nationale Parlament geschafft haben.
In der Regel setzt sich dann eine Überfigur durch, die rechtsextreme Irrläufer aus der Partei drängt und die Partei zwischen wohlkalkulierten Rechtspopulismus und moderateren Signalen pendeln lässt. Das führt zwar nie zur Mehrheit, aber für eine Etablierung im verlässlichen Korridor von 15-30 Prozent, wovon sozialdemokratische Parteien in vielen dieser Ländern oftmals nur noch träumen können.
Auch die Themen werden dem Rechtspopulismus nicht ausgehen: Erstens ist diese Parteienfamilie äußerst adaptionsfähig und kann mal orthodox wirtschaftsliberal, mal traditionell sozialstaatlich auftreten, wie in Österreich oder Skandinavien geschehen. Und die Themen Migration, Identität und Globalisierung zeichnen sich als die Megathemen des 21. Jahrhunderts ab. Die werden bei der nächsten Bundestagswahl keinesfalls von der etablierten deutschen Politik erledigt worden sein.
Und selbst wenn die Partei zerbräche: Ob die Union dann die Verstoßenen zurückgewinnen könnte? Oder würden die politikfähigen Teile der AfD nicht einfach nur gehäutet in einer neuen Partei mit dem alten Wählerpotenzial auftreten? Hierfür gibt es aus den Niederlanden ein Exempel.
Die hohle Formel von der Rückgewinnung
So bleibt es bloßes Bekenntnis und hohle Formel, wenn Angela Merkel ankündigt, „jeden einzelnen AfD-Wähler“ zurückgewinnen zu wollen. Die Kluft ist im Wahlkampf eher weiter geworden und das Programm und die Realpolitik der neuen Koalition ganz und gar nicht dazu angetan, abtrünnige Wähler zurückzuholen.
Schon wird die CDU von der Bevölkerung als Partei links der Mitte wahrgenommen, während sie vor weniger als zehn Jahren noch als hochkonservative Truppe galt. Das dürfte viele rechtschaffene Unionspolitiker, die schon immer unglücklich mit dem überkommenen Zerrbild des konservativen Spießbürgers waren, freuen. Ebenso wie den linksliberalen Teil der Gesellschaft, denen die Dominanz der altväterlich-kleinbürgerlichen Union seit jeher ein Dorn im Auge war.
Damit ist aber passé, dass das Fünftel bis Viertel der Wähler, dass sich auf der Rechten des politischen Spektrums in unterschiedlichen Schattierungen tummelt, in eine Volkspartei – wenn manchmal auch zähneknirschend – integriert ist. Was das bedeutet, kann man auf der bundesrepublikanischen Linken mit ihrer Parteientrias besichtigen. Deutschland wird damit politisch nicht stabiler, nicht konsensfähiger, nicht regierbarer.
Es war übrigens ausgerechnet der eingangs zitierte Strauß, dem ein ähnlicher Lapsus wie Merkel unterlaufen ist: Aus seinem Beritt gliederten sich die Republikaner aus, weil sie den moderateren Kurs gegenüber der DDR als Aufgabe konservativer Werte begriffen. Die Rebellen waren drauf und dran, jene rechtspopulistische Kraft zu werden, die in anderen europäischen Ländern Normalität ist.
Kohl aber stellte in der Migrationskrise der frühen 90er Jahre die Weichen so, dass konservative Wähler ins christdemokratische Lager zurückkehrten. Nach beachtlichen Anfangserfolgen ging den Republikanern die Puste aus, der Einzug in den Bundestag wurde verfehlt, der Abstieg in Bedeutungslosigkeit und Extremismus folgte.
Angela Merkel aber gab dieses Erbe auf und setzte sich auch in diesem Punkt von ihrem politischen Ziehvater ab. Das mag der Kanzlerin genützt und den Platz im Geschichtsbuch gestützt haben. Aber auf die Christdemokratie kommen noch erhebliche Probleme zu, selbst wenn sie zur Stunde kaum sichtbar sind.
Prof. Dr. Markus Karp ist u.a. Professor für Wirtschaft und Recht an der Technischen Hochschule Wildau