Die Steinzeit endete nicht, weil der Menschheit die Steine ausgegangen waren. Man hatte einfach etwas Besseres gefunden: Kupfer, später Bronze. Doch gilt diese Binsenweisheit auch für jenen Technologiewechsel, den wir im Moment gerade erleben? Weg vom Verbrennungsmotor hin zur Elektromobilität? Spiegel-Online ist sich sicher und lässt einen deutschen Physiker im Leitartikel zu Wort kommen, der das mal ganz genau durchgerechnet hat. 2022 komme der Durchbruch, 2026 sei es vorbei mit dem Verbrennungsmotor! Der interviewte Richard Randoll hat diesem Thema immerhin seine Promotion gewidmet.
„Seit 2011 [..] verdoppelt sich alle 15 Monate die Zahl der verkauften batteriebetriebenen E-Autos. Dieses natürliche Wachstum wird durch eine Exponentialfunktion beschrieben. Wählt man eine logarithmische Skala, so erscheint die Funktion als Gerade, deren Werte man für kommende Jahreszahlen ablesen kann. Im Sommer 2026 erreichen wir 100 Millionen Elektrofahrzeuge jährlich, das ist dann voraussichtlich die komplette Weltproduktion. Das heißt, schon 2026 kommt das endgültige Aus für den Verbrennungsmotor. Wenn Ihnen im Jahr 2036 ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor begegnet, ist es vermutlich mindestens zehn Jahre alt.“
Ich bin da etwas skeptischer, denn bereits im zweiten Satz steckt eine Selbsttäuschung. Nichts an diesem Wachstum ist „natürlich“. Es beruht allein auf politischem Alarmismus, Flottenverbrauchsregeln, CO2-Vorgaben, Feinstaub-Hysterie und vor allem einem dicken Batzen Subventionsgelder. Mit anderen Worten: Politik und Psychologie treiben hier die Wirtschaft vor sich her wie der Hütehund die Schafe – und alle hoffen, dass der Schäfer weiß, was er da tut. Technologisch betrachtet sind E-Autos bislang die Ablassbriefe des 21. Jahrhunderts und werden auch von genau demselben Menschentyp gekauft: Von Menschen, die das religiöse Prinzip aus Schuld und Sühne verinnerlicht haben, welches die Politik seit Jahren von allen Kanzeln predigt und von denen, die sich den Ablass leisten können, weil er gerade gut ins Portfolio passt – als Zweitwagen oder für das tägliche 20 km Pendeln zur Arbeit.
Für Deutschland kommt hinzu, dass die avisierte Elektromobilität auf einem anderen dysfunktionalen und volatilen Markt aufsetzt, der durch politischen Ablasshandel und satte Subventionen am Leben gehalten wird: der deutschen Stromwirtschaft. Niemand weiß, wie die gigantischen Netzbelastungen aufzufangen wären, wenn Elektroautos in erheblicher Anzahl zu bestimmten Zeiten die Stromnetze belasten würden. Niemand kann sagen, wie die Netze stabilisiert werden könnten, weil Angebot und Nachfrage sich nie wieder im Gleichgewicht befinden würden. Am wahrscheinlichsten wird die Politik dieses Dilemma zu lösen versuchen, indem sie regelnd und bevormundend in den Tagesablauf jedes Einzelnen eingreift – das wird dann ein weiterer Zügel sein, den die Politik in der übervollen Hand haben wird, um die Individualität einem abstrakten höheren Ziel zu opfern. Die Individualität der Bürger würde jedenfalls darunter zu leiden haben. Randoll zieht zum Beweis für seine steile These Beispiele aus der Vergangenheit heran:
„Der Technologiewandel vom Handwebstuhl zum dampfbetriebenen Webstuhl, vom Holzsegelschiff zum Stahldampfschiff, von der Pferdekutsche zum Automobil mit Verbrennungsmotor, von der Dampflok zur Elektrolok, vom Röhrenbildschirm zum Flachbildschirm, von der Analogfotografie zur Digitalfotografie, vom Handy zum Smartphone, von der Glühbirne zur LED sind nur ein paar Beispiele aus der Vergangenheit. Die weltweite Energiewende im Strom- und Heizungssektor läuft gerade parallel zur Mobilitätswende.“
Wachstum durch Volkserziehung
Diese Argumentation geht leider komplett nach hinten los, denn (fast) alle aufgezählten Wandel sind durch überlegene Technologie zustande gekommen, nicht durch politische Indoktrination und Geldregen durch Subventionen. Das Smartphone in unserer Hand musste man uns doch nicht durch Prämien und Quoten schmackhaft machen, es war den Nokias technologisch einfach Meilen voraus! Das Dampfschiff war in allen Belangen schneller und zuverlässiger als das Segelschiff. Man konnte größere Schiffe mit mehr Ladekapazität bauen, brauchte weniger Mannschaft und konnte so die höheren Kosten für Betriebsstoffe wie Kohle und Öl locker ausgleichen. All das ist mit den heute verfügbaren E-Autos nicht gegeben. Es gibt nur wenige Anwendungsbereiche, die sie derzeit abdecken können und es gibt die sich potenziell verstärkenden Probleme beim Laden. Konzepte für elektrischen Lieferverkehr oder handwerkliche Dienstleistungen gibt es überhaupt noch nicht. Allein schon der nötige Netzausbau (smart Grid) würde deutlich mehr Zeit und Geld verschlingen, als Richard Randoll das lieb sein könnte.
Zudem outet sich der prophetische Physiker als Anhänger von Planwirtschaft und nationalem Marktisolationismus, denn flächendeckende Verbote hält er für ein probates Mittel der Volkserziehung:
„Weil die Entscheidungen für neue Automodelle jetzt getroffen werden müssen, brauchen wir den Weckruf durch die Politik – auch mit konkreter Deadline. In Zeiten eines Wandels ist ein Verbot alter Technologie zu einem gut abgeschätzten Zeitpunkt verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik und kann dafür sorgen, dass heimische Unternehmen den Wandel überdauern.“
Und er liefert auch gleich ein Beispiel, das seine Unkenntnis historischer Zusammenhänge offenlegt:
„Das Glühbirnenverbot trug dazu bei, dass ein deutscher Glühbirnenhersteller den Technologiewandel zur LED überdauert hat.“
Förderung unausgereifter Technologien
Hier muss ich dann doch mal korrigieren. Denn was die Lobby der Leuchtmittelhersteller um Philipps und Osram in Brüssel durchzusetzen versuchte, war die „Energiesparlampe“ – eine Technologie, die sich am Markt gegen die gute alte Glühlampe ohne Schützenhilfe der Politik einfach nicht behaupten konnte. Billighersteller aus Fernost knabberten zudem die mageren Gewinne aus den Verkäufen der klassischen Glühlampen an, also warf man aus Verzweiflung die Lobbyismus-Maschine an, um eine Technologie zu promoten, die aus Verbrauchersicht einfach nur mies war: zu teuer, schlechtes Ansprechverhalten, nicht dimmbar, unangenehmes Licht, wegen des Quecksilbergehalts aufwendig zu entsorgen.
Die heute gebräuchliche LED war zu dieser Zeit noch längst nicht so flexibel und preiswert wie heute. Die Energiesparlampe wurde uns als Zukunft verkauft, obwohl deren einziger signifikanter Vorteil, wie der Name schon sagt, das Energiesparen war. Es handelte sich also um einen politisch erzwungenen Technologiewechsel, dem erst später die technologisch überlegene LED zur Rettung beisprang. Wir sehen hier also das Paradebeispiel dafür, dass die Politik eine unausgereifte Technologie zu fördern bereit war, ohne alle Aspekte der Tauglichkeit im Blick zu haben, wie ein funktionierender Markt dies ohne weiteres schafft. Die Lampenhersteller schwenkten jedenfalls sehr schnell auf die LED-Technologie um, weil es die bessere war und die Kunden diese auch akzeptierten. Das heutige Elektroauto erscheint mir jedenfalls kaum mehr zu sein, als eine „Energiesparlampe“. Die Frage ist nur, warum man alles auf diese Technologie setzen sollte, die mit so vielen Nachteilen behaftet ist.
Ich habe prinzipiell nichts gegen E-Autos. Wir können mit dem Erdöl wahrlich Besseres anstellen, als es einfach zu verbrennen. Ich halte einen Technologiewechsel sogar für unvermeidlich. Aber nicht so. Nicht durch Verbote und gigantische Subventionen für unausgereifte Technologien. Hier laufen wir meiner Meinung nach blind in eine technologische Sackgasse, denn seriöse, belastbare Folgeabschätzungen einer flächendeckenden Elektromobilität gibt es bisher nicht. Wenn eine Million Energiesparlampen angeschaltet werden, belastet das die Stromnetze weniger, als herkömmliche Glühlampen dies tun. Wenn eine Million E-Autos die Schnellladefunktion nutzen, bricht das deutsche Stromnetz zusammen.
Im Gegensatz zu Richard Randoll sehe ich nicht ein weltweites politisches Ereignis als Vorbehalt für seine optimistische Schätzung, dass 2026 das letzte Stündlein des Verbrennungsmotors geschlagen haben wird, sondern ein technologisches. Das ist aber bisher noch nicht mal in Sicht. Deshalb werde ich mir 2027 wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Auto mit Verbrennungsmotor kaufen.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt hier.