Henryk M. Broder / 24.02.2007 / 03:37 / 0 / Seite ausdrucken

Ralf Balke: Aroma rein. Starbucks raus

TEL AVIV “Freitagmittags herrscht hier regelrecht Krieg”,
sagt Chaim Capone. Der Werbetexter muss es wissen, denn er ist
regelmäßig hier. Gern trinkt er nach dem Einkaufen noch schnell einen
Cappuccino im Shopping-Center neben dem Ichilov-Hospital in Tel Aviv. “Die
Leute”, sagt Capone nur halb amüsiert, “prügeln sich fast um die
Sitzplätze.”

Im “Aroma”, einer Espressobar, kommen sie alle zusammen: neben einer
bunten Mischung aus mehr oder weniger rüstigen Senioren der nahe
gelegenen Altenresidenz sitzen Patienten des riesigen Krankenhauskomplexes,
teilweise im offenen OP-Hemd und mit Infusionsgestell im Schlepptau. In
einer anderen Ecke rekeln sich Teenager aus der Nachbarschaft und
Familien mit Kindern. Sie alle strömen scharenweise hierher, um sich eine
der zahlreichen Kaffeespezialitäten zu gönnen, ein Sandwich zu essen,
zu plaudern oder um sich durch die telefonbuchdicken Wochenendzeitungen
zu arbeiten. Ab 11.00 Uhr vormittags ist der Laden rappelvoll.

Das “Aroma” ist damit Sinnbild für den Wandel der Trinkgewohnheiten
der Israelis, für den Siegeszug der “Koffein-Davids”. Kaffee ist auch in
diesem auf Traditionen bedachten Land längst nicht mehr nur ein
brauner Wachmacher. Kaffee ist Lifestyle. Und die zugehörigen Ladenketten
werden mittlerweile in alle Welt exportiert. Selbst in den USA, dem
Heimatland des Platzhirschs “Starbucks”, haben sich die Israelis bereits
etabliert.

Würde heute ein Zeitreisender aus den sechziger Jahren versuchen, in
Israel einen Kaffee zu bestellen, so hätte er angesichts von bis zu
dreißig angebotenen koffeinhaltigen Getränken in einer modernen
Espressobar große Probleme, sich zurechtzufinden. Denn in den guten alten
Pioniertagen gab es nur “Kaffee Botz”, zu Deutsch: “Kaffee Schlamm” oder
“Kaffee Turki”, die türkische Version. Kaffeepulver wurde einfach mit
heißem Wasser aufgebrüht, Zucker dazu, fertig. Beim Trinken knirschte
es ordentlich zwischen den Zähnen, und im Glas klebte anschließend
eine rasch zu Beton werdende braune Pampe, deren Entsorgung der
Abflussreinigungsbranche vermutlich fette Margen bescherte. Später tauchte dann
“Kaffee Ness” auf, ein Instantprodukt, das nicht wie der Name
suggeriert aus dem Hause Nestlé stammte, sondern sich mit dem Begriff
“Wunderkaffee” übersetzen lässt - und geschmacklich eher an Batteriesäure
erinnerte.

Heute dagegen gibt es sechs große Espressobarketten wie das “Aroma” -
für ein so kleines Land wie Israel mit seinen sieben Millionen
Einwohnern eine erstaunlich hohe Zahl. Sie traten vor rund fünfzehn Jahren
ihren Siegeszug an und revolutionierten die Kaffeetrinkgewohnheiten.
Dabei ist die ökonomische Logik, die hinter diesem Konzept steht, recht
simpel: Ein Kaffee und ein Sandwich in einer Espressobar sind in der
Regel billiger als eine Mahlzeit mit Getränken in einem Restaurant.

Bietet man dazu auch noch gute Produkte in einer angenehmen
Atmosphäre, dann kommt das einer Lizenz zum Gelddrucken gleich. Schließlich sind
die Israelis bekennende Kaffee-Junkies. Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt
bei rund 110 Litern im Jahr. US-Amerikaner schlürfen 60 Liter, die
Europäer rund 90 Liter. Und so können trotz des überschaubaren
Kundenstamms gleich mehrere Ketten auf dem israelischen Markt bestehen und munter
expandieren.

Wichtig für den Erfolg sind dabei die richtige Positionierung sowie
die Präsenz an attraktiven Orten. Und natürlich ein überzeugendes
Konzept. Wie das funktioniert, erklärt Sarah Schemer, eine der
Mitgründerinnen der Kette “Arcaffe”, die über Jahre hinweg immer wieder nach
Europa geflogen war, um guten Kaffee aufzutreiben. Schließlich traf sie
im italienischen Livorno nahe Pisa auf den Großhändler “Arcaffe”: “Die
Idee war, einen Zwitter zu schaffen”, sagt Schemer. “Wir wollten
italienischen Qualitätskaffee mit hochwertigen französischen Backwaren
kombinieren.” Eine Geschäftsidee war geboren.

1995 machten sie gemeinsam in Herzelya Pituach, mitten im Herzen von
Israels boomendem High-Tech-Distrikt, ihr erstes “Arcaffe” auf. Ein
zweites kam 1996 auf dem trendigen Rothschild-Boulevard in Tel Aviv dazu.
Danach ging es rasant aufwärts. Etwa alle neun Monate öffnet ein neues
“Arcaffe” seine Pforten. Die knapp dreißig “Arcaffes” sind komplett im
Besitz der Firmengründer, anders als die meisten Geschäfte der
Konkurrenz, die nach dem Franchising-Prinzip organisiert sind.

Während “Arcaffe” sich als Premium-Brand versteht und überwiegend
Geschäftsleute anspricht, ist “Aroma” mit seinen rund siebzig
Espressobars der Platzhirsch vor Ort, der sich eher als Discounter versteht. Allen
gemeinsam ist aber, dass sie mit Kaffee nur rund sechzig Prozent ihres
Umsatzes erwirtschaften, den Rest machen Sandwichs und Salate aus. Die
Mischung aus gutem Kaffee und hochwertigen Snacks dürfte auch das
Rezept für den erfolgreichen Markteintritt in anderen Ländern sein. Denn
in vielen anderen Espressobars steht allein der Kaffee im Mittelpunkt,
das Essen dagegen ist von minderer Qualität.

“Arcaffe” wagte 2004 den Sprung ins Ausland, die erste Filiale wurde in
Paris eröffnet. Und weil der Erfolg alle Erwartungen überstieg,
folgte schon 2005 eine zweite Bar, ausgerechnet im Luxuskaufhaus “Lafayette”
- 350 000 Dollar investierten Schemer und ihre Mitgesellschafter dafür.

Auch der mit weniger als zwanzig Coffee-Shops und knapp 11 Millionen
Dollar Umsatz viel kleinere Konkurrent “Café Hillel” ist ins Ausland
gegangen, 2005 nach Amsterdam. Und im Juli 2006 sorgte “Aroma” für
Schlagzeilen, weil man ausgerechnet in New York die erste Espressobar
aufmachte - und damit offensiv “Starbucks” angreift.

Mitten im “Big Apple” werben die Israelis nun um Kundschaft, wobei man
mit Rücksicht auf politische Stimmungen allerdings eine kleine
Änderung an der Speisekarte vornahm: Aus dem in Israel sehr populären
“Irakischen Sandwich” mit Auberginen und Tehina-Soße wurde das
“Orientalische Sandwich”.

Umgekehrt müssen sich die Israelis aber auch Angriffen aus dem Ausland
erwehren. Die 1963 in Kalifornien gegründete Kette “Coffee Bean and
Tea Leaf” ist eher auf eine jüngere Kundschaft ausgerichtet. Sie
betreibt in Israel zehn Filialen. Und “Starbucks”? Das legte in Israel
ausgerechnet eine Bauchlandung hin. Mit viel Tamtam eröffnete der Gigant aus
Seattle 2001 seine erste Filiale in Tel Aviv. “Wir bringen den Israelis
jetzt das Kaffeetrinken bei”, tönte das Management. Doch damit hatte
der Profi-Röster schon ein PR-Desaster produziert, bevor der erste
Caffè Latte über den Tresen ging. Zugleich war die Kritik an den
Produkten verheerend. Der Kaffee des Weltmarktführers sei “in der
Evolutionsstufe nur einen Schritt über dem Wischwasser zur Bodenreinigung”,
schrieb eine Zeitung.

Geschmacklich musste “Starbucks” allerdings floppen, denn die Israelis
geben einem stärkeren Kaffee den Vorzug - der italienische Einfluss
hat die Geschmacksknospen im Land geprägt. Außerdem brach 2001 gerade
die durch die zweite Intifada bedingte Wirtschaftskrise über das Land.
Statt wie angekündigt über fünfzig Filialen zu eröffnen, zog sich
“Starbucks” um einige Millionen Dollar ärmer nach nur zwei Jahren aus
Israel wieder zurück - eine Schlappe, die laut der israelischen
Wirtschaftszeitung “Globes” Starbucks-Chef Howard Schultz noch heute wurmt.

Doch in jüngster Zeit verdichten sich die Gerüchte, dass der
“Koffein-Goliath” einen zweiten Anlauf plant, die Davids zu schlagen.
Wenngleich mit einem kleinen Trick - diesmal mit einer bereits etablierten
israelischen Kette als Partner.

(Handelsblatt, 22. Februar 2007)

 

 

 

 

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