Das Spiel ist aus amerikanischen Crime-Shows bekannt: ein Polizist (der „bad cop“) spielt den Bösewicht, der andere („good cop“) gewinnt Vertrauen durch kleine Gesten. Die griechische Regierung spielt es routiniert. Finanzminister Giannis Varoufakis, der seine europäischen Kollegen mit langen Monologen und provokanten Statements nervt (wenn er nicht gerade mit Interviews beschäftigt ist), bildet den Kontrast zu Premierminister Alexis Tsipras, der zumindest versucht, sich als verantwortungsvoller, dialogbereiter Regierungschef zu präsentieren, auch wenn er sich nur selten auf etwas festlegen lässt.
Diese griechischen Spiele sind wir inzwischen gewohnt. Aber Griechenland ist keineswegs das einzige Land mit einer verwirrenden Verhandlungstaktik. Noch schwieriger ist es, die Logik hinter der deutschen Position zu erkennen.
Denn in Deutschland gibt es nicht nur einen „good cop“ und einen „bad cop“, sondern außerdem noch ein Bataillon aus Hilfssheriffs. Auch versierte Beobachter der deutschen Politikszene können nicht mehr sagen, welches Resultat die deutsche Regierung in der griechischen Euro-Krise tatsächlich anstrebt. Ist es der Grexit? Soll Griechenland in der Eurozone gehalten werden? Oder ist das Resultat egal, solange Berlin nicht den schwarzen Peter zugeschoben bekommt?
Fangen wir mit dem deutschen „bad cop“ an. Das ist niemand anderes als Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Wenn auf irgendjemand die Bezeichnung „alter Fahrensmann der Politik“ zutrifft, dann auf ihn. Seit 1972 sitzt er im Bundestag, länger als irgendein anderer Parlamentarier in der jüngeren deutschen Geschichte. Der 72jährige ist außerdem einer der letzten in der Nachkriegszeit sozialisierten Politiker, denen die europäische Integration immer am Herzen gelegen war. Dieser Hintergrund kontrastiert auf merkwürdige Art mit seiner aktuellen Rolle in der Euro-Krise.
Die Rolle des IWF
Zu Beginn der Krise vor fünf Jahren war Schäuble überzeugt, Europa könne alleine mit ihr fertig werden. Schäuble war gegen eine Einbeziehung des Internationalen Währungsfonds in Griechenland. Er schlug vor, stattdessen eine europäische Version des IWF zu schaffen, damit Europa sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern konnte.
Entgegen seinen Wünschen wurde der IWF hinzugezogen, weil die Bundeskanzlerin es so wollte. Ihre Sorge war, dass die europäischen Institutionen zu viel Nachsicht gegen Griechenland üben könnten. Die Gefahr war, dass europäische Regeln gebeugt werden würden, um dem griechischen Problem Rechnung zu tragen. Darum wollte sie den IWF in Athen als starkes Gegengewicht dabeihaben.
Seit der Anfangsphase der Euro-Krise, als Schäuble gegen die Beteiligung des IWF und für europäische Lösungen argumentierte, hat sich die Haltung des deutschen Finanzministers geändert. Heute schlägt er schärfere Töne als seine Bundeskanzlerin an, wenn es um die Einforderung von Reformen in Griechenland geht. Und innerhalb der Regierung ist es jetzt Schäuble, der die meiste Sympathie für die Prinzipienfestigkeit des IWF aufbringt.
Wie erklärt sich diese Sinneswandlung? Eine Antwort muss notwendigerweise spekulativ sein. Je länger Schäuble Verantwortung für das Staatssäckel trägt, desto mehr ist er zum Pfennigfuchser geworden. Damit keine Missverständnisse aufkommen, das ist als Kompliment gemeint. Jeder gute Finanzminister wacht mit Argusaugen über das Geld der Steuerzahler und setzt es nicht leichtfertig aufs Spiel, schon gar nicht für hoffnungslose Fälle wie Griechenland.
Die Wandlung Schäubles
Vom Europa-Romantiker hat sich Schäuble zum Europa-Zuchtmeister gewandelt. Er lässt keine Gelegenheit aus, seinen griechischen Amtskollegen Varoufakis zu verspotten. Und Schäuble war es, der verlauten ließ, dass ein Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone nicht auszuschließen sei (womöglich gar eine gute Option wäre).
Zwar ist Wolfgang Schäuble immer noch vom Gedanken der europäischen Einigung beseelt und befürwortet weiterhin den Euro. Seine Rolle als „bad cop“ der deutschen Regierung gegenüber Griechenland genießt er trotzdem.
Dagegen spielt Angela Merkel den „good cop“ für Deutschland. Anfangs, das heißt 2010, war sie gegen Rettungsprogramme für Griechenland und bestand dann auf strengen Austeritätsprogrammen unter Aufsicht des IWF. Jedoch ist ihre politische Flexibilität legendär. Heute ist sie es, die gegen Griechenland die meiste Nachsicht übt.
Anders als Schäuble verspürte Merkel nie eine emotionale Bindung zur Frage der europäischen Integration. Als jemand, die hinter dem Eisernen Vorhang in der DDR aufwuchs, war die Beziehung Merkels zur Europäischen Union wahrscheinlich stets eine pragmatischere gewesen als die Beziehung Schäubles und anderer westdeutscher Politiker.
Für Merkel war es pragmatisch, anfangs für Griechenland auf strikter Austerität, gekoppelt mit IWF-Supervision, zu bestehen. Heute ist es für sie ebenso pragmatisch, gerade so viele Kompromisse zuzulassen, dass Griechenland in der Eurozone bleiben kann.
Was die Bundeskanzlerin bewegt
Zwei Dinge bereiten Merkel Sorge. Ein griechischer Ausstieg aus der Eurozone könnte zum strategischen Problem werden, falls Russland oder China in Athen an Einfluss gewinnen. Und Merkel will nicht für verantwortlich gemacht werden, falls Griechenland die Eurozone verlässt, was sie zur Zielscheibe von Hass in Europa machen würde.
Die seltsame Gespaltenheit der deutschen Regierung zur Griechenlandfrage ist damit erklärt. Einerseits redet der Ur-Europäer Schäuble Tacheles zu den Griechen. Andererseits tut die Euro-Agnostikerin Merkel das ihre, um das Projekt der europäischen Integration am Leben zu erhalten – wenn nötig, indem Griechenland mehr Zeit und ein paar zusätzliche Milliarden eingeräumt werden.
Spekulationen in den deutschen Medien über Unstimmigkeiten zwischen Merkel und Schäuble werden daher seit Monaten geäußert. Ihr Verhältnis war nie ein einfaches. Nicht genug damit, dass Merkel einst den Parteivorsitz von einem durch den Parteispendenskandal geschwächten Schäuble übernahm. Vor Jahren gab sie ihm auch zu versstehen, sie würde ihn bei einer Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten unterstützen, nur um im letzten Moment ihre Meinung zu ändern. Die aktuelle Meinungsverschiedenheit zu Griechenland ist daher im Verhältnis zwischen Merkel und Schäuble nichts Neues.
Die offensichtliche Uneinigkeit zwischen Schäuble und Merkel lässt die Position Deutschlands als unklar erscheinen. Bezieht man den Koalitionspartner ein, wird das Bild noch komplizierter. Schäuble und Merkel gehören wenigstens nominell derselben Partei an. Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist jedoch Sozialdemokrat. Dementsprechend stand er der linkslastigen griechischen Regierung unter Alexis Tsipras wohlwollender gegenüber.
Allerdings hat auch Gabriel in den letzten Wochen den Ton verschärft. Plötzlich klingt er genauso genervt wie Schäuble. Gabriels geänderte Haltung strahlte auch auf andere Sozialdemokraten wie Martin Schulz, den Präsidenten des Europäischen Parlaments aus.
Mit Ausnahme Merkels lässt die Bereitschaft, Griechenland zu retten, auf der gesamten Breite des deutschen Politikspektrums nach. Merkels Finanzminister, ihre Hinterbänkler und jetzt auch noch ihr sozialdemokratischer Koalitionspartner distanzieren sich nun von weiteren Kompromissen mit Athen.
Nur auf einen Punkt können sich alle deutschen Politiker verständigen: Sie möchten nicht schuld sein an dem, was als nächstes geschieht. Sollte Griechenland aus der Eurozone hinausfallen, wäre das in Ordnung – solange klar ist, dass Griechenland daran schuld ist und Deutschland nichts damit zu tun hat.
Auf diesen kleinsten gemeinsamen Nenner können sich alle deutschen Politiker einigen.
Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.
‘Germany’s Greek stance keeps everyone guessing’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 18. Juni 2015. Übersetzung aus dem Englischen von Eugene Seidel (Frankfurt am Main).