Karl Pfeifer / 13.11.2006 / 21:22 / 0 / Seite ausdrucken

Querfront in Ungarn

In Ungarn regiert seit 2002 eine Koalition aus Sozialisten (MSZP) und Liberalen (SZDSZ). Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány (MSZP) hielt im September eine Rede vor Funktionären und gab unumwunden zu, dass seine Partei Wahlversprechungen machte, die nicht haltbar sind und spielte auf das Geständnis eines Radiojournalisten an, der im Oktober 1956 zugab, das Radio hätte „Tag und Nacht“ gelogen. Gyurcsánys Rede wurde den Medien zugespielt und die große Oppositionspartei FIDESZ, die sich von einer liberalen antiklerikalen Partei zu einer mit Klerikalismus kokettierenden Volkspartei entwickelte, benützte dies als Vorwand, um wieder – so wie nach den Wahlen 2006, die sie verloren hatte – Demonstrationen zu organisieren, die am 17. September begannen….

 

 

 

Noch im März erklärte Zoltan Pokorni, stellvertretender Vorsitzender der FIDESZ: „Ähnlich der deutschen, französischen, niederländischen und der anderen christlichdemokratischen, konservativen Parteien lehnt auch FIDESZ jede Form des Antisemitismus entschieden ab.“
Einige Gesten dieser Partei liessen hoffen, dass diese Erklärung ernst gemeint sei. Das war nicht immer so. Vor den Wahlen 2002 hatte FIDESZ – um Stimmen zu maximieren – den radikalen rechten Wählern Zugeständnisse gemacht, die nicht den „westlichen Werten“ entsprechen.
Zu dieser Politik ist man zurückgekehrt. Vier FIDESZ Abgeordnete nahmen an Demonstrationen teil, bei denen offensichtlich für alle, Árpád-Streifen-Fahnen geschwenkt wurden, die, während der dunkelsten Periode der ungarischen Geschichte mit dem Pfeilkreuz versehen, die Fahne des ungarischen Nazipöbels war. Alle Erklärungen, wonach doch dies die Fahne Ungarns bis 1301 war, können nicht die Tatsache verdunkeln, dass die Pfeilkreuzler Massenmörder waren.
Am 6. Oktober, nachdem Gyurcsány im Parlament die Vertrauensabstimmung gewonnen hatte, kam es zu einer Demonstration bei der auch Viktor Orban, Vorsitzender der FIDESZ sprach. Die vielen Neonazis mit Arpad-Fahnen störten ihn nicht.
„Was fühlten Sie“ fragte ein Fernsehjournalist „als sie ihre Rede vor dem Parlament hielten und sich gegenüber einer Masse von Fahnen mit dem Arpad-Streifen fanden?“
„Warum, was hätte ich fühlen sollen?“ antwortete Orban, und erklärte dann, dass diese Fahne gar nichts zu tun hätte mit derjenigen der Pfeilkreuzler 1944, hatte doch diese ein Pfeilkreuz in der Mitte, diese Fahne sei ein uraltes ungarisches Symbol und als solche nicht verboten. Tatsächlich sind in Ungarn Pfeilkreuz und fünfzackiger roter Stern als Symbole von Diktaturen verboten.
Tatsache ist aber auch, dass diese Fahne bereits vor Jahren geschwungen wurde, als ein faschistischer Pöbel den damaligen Staatspräsidenten Göncz am Reden hinderte und dass diejenigen welche diese Fahne vor sich trugen zumeist Skinheads und andere sattsam bekannte Rechtsextremisten waren.
Viktor Orban hat bei einer Brüsseler Veranstaltung der Konrad Adenauer Stiftung im November wiederholt, was er zuvor in Straßburg sagte, dass die EU denjenigen Regierungen keine Hilfe geben sollte, die nicht mit der moralischen Erbschaft des Kommunismus brechen. In Brüssel ging Orban noch weiter, als er ausführte, dass in Mitteleuropa nicht der Rechtsextremismus sondern die Wiedergeburt der alten kommunistischen Machtausübung die wahre Gefahr sei.
Genau das Gegenteil davon ist wahr. Die ungarische Gesellschaft wurde seit Jahrzehnten nicht mit ähnlichen rechtsextremistischen Phänomenen konfrontiert. Zwar kam es während der letzten 16 Jahren vor, dass Redner und Teilnehmer von Demonstrationen antisemitische Parolen skandierten, doch solche Demonstrationen hatten nur wenig Zuspruch. Heute hat sich die Lage geändert, FIDESZ hat hoffend auf einen Wahlsieg die radikal rechten Wähler an sich gezogen und benützt diese. Der rechtsextremistische Pöbel erhält natürlich keine Anweisung von Orban, aber dieser – der die Parlamentswahlen 2002 und 2006 verloren hat,  stellte nach jeder Wahlniederlage die Machtfrage und kann sein politisches Überleben nur durch das Schüren von Unruhen und weitere Polarisierung sichern.
Beobachter dieser Demonstrationen berichten von der hysterischen Stimmung und dass antisemitische Bücher verkauft wurden, dokumentierte die ungarische Monatszeitschrift „szombat“. Bei diesen Demonstrationen nahmen auch Antiimps teil, die nun offen eine Querfront propagieren:
„Aber dass die Ziele des (bei uns) so genannten Bürgerlichen mit denen der prinzipientreuen Kommunisten übereinstimmen kann, zeigt, dass sich der Vorsitzende der antiliberalen Ungarischen Kommunistischen Arbeiterpartei, Gyula Thürmer gerade in einem in der einzigen oppositionellen Tageszeitung, der „Magyar Nemzet“ erschienenen Artikel auf die Seite des populären Vorsitzenden der größten Oppositionspartei, der Fidesz, Viktor Orbán gestellt hat, indem Gyula Thürmer die Initiative Orbáns, das Volk über die neoliberalen Reformen (sprich: Ausbeutungspolitik) abstimmen zu lassen, klar unterstützt.

Das ehemalige Schema Links-Rechts hat seinen Sinn also verloren – falls es einen überhaupt hatte. Jetzt befinden sich Trotzkisten, Marxisten, Antiglobalisten, sozial gesinnten Katholiken, Etnopluralisten [sic!] und Nationalisten im gleichen Lager: im Lager des Kommenden. Und hoffentlich, im Lager des Siegenden.“  Der Student, der den von der AIK publizierten Artikel geschrieben hat, bedankt sich auch lebhaft beim Wiener Nationalbolschewisten Werner Pirker: „Und zum Schluss: Nochmals herzlichen Dank für Werner Pirker, der einzig die wirklichen Gründe des ung. Aufstandes dargestellt hat. Die oben erwähnte Tageszeitung „Magyar Nemzet“ hat – nachdem ich sie auf diesen Artikel aufmerksam machte – den von Pirker gefassten Artikel schon zitiert.“
http://www.antiimperialista.org/index.php?option=com_content&task=view&id=4843&Itemid=82

Zu bemerken ist, dass „Magyar Nemzet“ nicht selten rechtsextremistische und antisemitische Texte veröffentlicht.
Die Pläne von Viktor Orban gingen nicht auf, bereits als Gyurcsány sich einer Abstimmung im Parlament gestellt hatte, war es klar, dass die links-liberale Regierung nicht daran denkt, auf Grund von Straßendemonstrationen, zurückzutreten.
Vorläufig hat die Querfront eine Niederlage einstecken müssen, bei der letzten Demonstration am 4. November konnten sie nur 500 Menschen mobilisieren.
Demonstrationen und Interessenvertretung sind in einer Demokratie legitim. Das Schüren der politischen Hysterie ist aber eine gefährliche Waffe, die auch nach hinten losgehen kann.

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