Wolfgang Röhl / 08.10.2015 / 11:05 / 2 / Seite ausdrucken

Quacksalber mit Quecksilber

Besonders schlagfertig war ich nie. Wenn doch mal, bleibt mir das in schöner Erinnerung. Wie folgender Dialog mit einem Heiler, dem ich vor etlichen Jahren in einem Hotel auf Sri Lanka begegnete.

Er: Ayurveda is five thousand years old. Good for your body, good for your soul.

Ich: But medicine made some progress since.

Daran dachte ich neulich, die Oktoberausgabe des grün gerahmten Magazins „Geo“ in einer Bahnhofsbuchhandlung betrachtend. „Ayurveda. Die erstaunliche Heilkraft einer unterschätzten Medizin“ stand da als Titelzeile über dem Bild einer entrückt lächelnden Ersteweltbewohnerin, die von braunen Heilerhänden verwöhnt wird.

Ich blätterte das Heft auf. Der Vorspann zum Ayurveda-Stück verhieß: „Klinische Forscher bekunden: die traditionelle indische Medizin hat viel mehr zu bieten als Wellness. Sie wird an Universitäten gelehrt und dient als Gesundheitssystem für Abermillionen. Ihre Stärken sind die Vorbeugung und Heilung von chronischen Erkrankungen – und ein ganzheitliches Menschenbild.“

Hatte ich auf Sri Lanka was verpasst?

Vielleicht nicht wirklich. Der Umstand, dass man sich mit Hilfe von Ayurveda-Mittelchen, die auf Sri Lanka und in anderen Wissenschafts-Hotspots des Fernen Ostens verfertigt werden, leicht die finale Entspannung geben kann, machte jüngst mal wieder Schlagzeilen.

„Massiver Gewichtsverlust, Verwirrtheitszustände und unkontrollierbare Zuckungen sind die Anzeichen. Auch Magenkrämpfe, Durchfälle, Kopfschmerzen, Haarausfall und Vergesslichkeit treten auf. Mit Infusionen müssen die hochgiftigen Schwermetalle langsam aus dem Körper geschwemmt werden“, meldete das NDR-Magazin „Visite“ am 6. Oktober. „Der Grund sind extrem hohe Belastungen mit Blei und Quecksilber bei Pillen aus Sri Lanka, die eine schwere Vergiftung auslösen können.“

Neu war das nicht. Das Bundesumweltministerium hatte schon im Mai dieses Jahres vor ayurvedischen Produkten gewarnt, „die vielfach hohe Gehalte an Blei und Quecksilber enthalten.“ Ende August berichtete der „Spiegel“ über eine Hamburgerin, die sich infolge einer Ayurveda-Kur eine lebensgefährliche Vergiftung zugezogen hatte.

Alarmierendes über die „fernöstliche Bleivergiftung“ („Deutschlandfunk“) melden Medien seit Jahren. Zum Beispiel, dass „Blei, Quecksilber und Arsen in Ayurveda-Produkten“ stecken, so das „Deutsche Ärzteblatt“ 2008. Zitat:

„Dass Ayurveda-Produkte mit Schwermetallen belastet sind, ist dabei kein Zufall. Denn eine der beiden Gruppen von Ayurveda-Medikamenten, ‚rasa shastra’ genannt, wird unter Verwendung verschiedener Metalle (vor allem Quecksilber) hergestellt. Der Verband europäischer Ayurveda-Mediziner und Therapeuten sieht diese Therapie sogar in der Tradition der mittelalterlichen Alchemie, bei der Quecksilber im Zentrum des therapeutischen Interesses stand.“

Über das im Westen durch den Esoterik- und Wellnessboom populär gewordene Ayurveda erhält man einen Eindruck, wenn man die auf „unterschiedlichen Lebensenergien“ basierende Typologie der Patienten in „Vata“-, „Pitta“- und „Kapha“-Menschen studiert. Dagegen wirken Katholizismus, Sufismus oder Scientology vergleichsweise vernunftgetrieben.

Nach den aktuellen Hiobsbotschaften hätten die Geo-Leute ihren Ayurveda-Titel mutmaßlich gern gekippt. Was aber nicht ging. Denn die auch weltanschaulich grüne, auf hochwertigem Papier gedruckte Bildungsbürgergazette wird lange im Voraus produziert.

Dumm gelaufen. Aber nicht unlogisch. Wer der herzenskalten Schulmedizin und den profitgierigen Pharmakonzernen gern die Leviten liest und als Remedur Sanftes und Ganzheitliches empfiehlt, das einen indischen Wasserbüffel umhauen kann, der darf sich nicht wundern, wenn die Realität unsanft zurückschlägt.

PS: Bei einer Ayurveda-Kur würde ich kollateral auch noch „entgiftet“ werden, hatte mir der o.g. Heilslehrer auf Sri Lanka in Aussicht gestellt. Er hatte wohl erspäht, dass ich an der Hotelbar den Teufeln Alkohol und Nikotin einigen Tribut zollte. Am nächsten Abend sah ich ihn in einer schummerigen Ecke derselben Hotelbar wieder. Ein Zigarillo paffend, vor sich ein Gläschen Arrak.

Ich winkte. Er grinste, winkte zurück und hob sein Glas. Dieser Scharlatan besaß immerhin Humor. http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/ayurveda-medikament-lebensbedrohliche-vergiftungsgefahr-a-1050322.html
http://www.ndr.de/ratgeber/gesundheit/Vorsicht-vor-giftigen-Ayurveda-Medikamenten,ayurveda158.html

 

 

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Leserpost

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Martin Muhle / 10.10.2015

@Tilo Schwarzbach: die westliche Medizin hat ein systemisches Gesamtverständnis: eine Arznei oder Behandlungsmethode muss erst einmal seine Wirksamkeit (und sein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis) bweisen. Ein quasi ritueller Überbau wie in der TCM (immerhin traditionell angewandt und mit halbwegs überprüfbaren Behandlungserfolgen) oder gar Homöopathie (die eindeutig Quacksalberei ist) ist nicht unbedingt hilfreich. Zumindest nicht für die Gesundheit. Hilfreich sind bestimmte Techniken und Standards: Zeit, Zuwendung und die Beseitigung sowohl von sekundären Krankheitsverlusten (wie Vereinsamung) als auch sekundären Krankheitsgewinnen.

Tilo Schwarzbach / 08.10.2015

Die moderne westliche Medizin hat unschätzbare und unerreichte Vorteile. Zuallererst wären die hochmodernen instrumentellen Methoden der Diagnostik zu nennen, sicherlich auch das Vorhandensein einer Methodik zur Erstellung und Auswertung von klinischen Studien. So können wir oft (aber auch nicht immer!) feststellen, ob die Rückenschmerzen von einer einfachen Verspannung, einem ernsten Bandscheibenproblem oder doch von einem Nierenproblem herrühren. Was unserer westlichen Medizin aber fehlt, ist ein systemisches Gesamtverständnis. Wir haben eine fundamentale begründete Auftrennung von Körper und Geist in separate Einheiten, die es aber so nicht gibt. Das erklärt auch, warum Placebos und gutes Zureden so oft helfen. Die mentale Einstellung ist oft sehr wichtig für das körperliche Wohlbefinden und kann unsere Gesundheit fundamental beeinflussen. Da sind uns z.B. die buddhistischen Mönche in ihren Einsichten um Jahrhunderte voraus, und wir tasten uns erst jetzt sehr langsam über Studien und Forschung an diese Thematik heran.  Das Risiko der Quacksalberei besteht selbstverständlich in jeder fernöstlichen Medizin, und zum Glück ist man hier durch ein über lange Zeit erprobtes System der Ausbildung und Approbation von Medizinern einigermaßen gut vor Scharlatanerie geschützt. Allerdings ist auch die westliche Medizin weit davon entfernt, fehlerfrei zu sein. Auch hier kann es trotz überragender diagnostischer Methoden, klinischer Studien etc. zu verheerenden Behandlungsfehlern und Fehlentwicklungen kommen. Was auch oft passiert, ist, dass eine einzelne diagnostische Methode ein Ergebnis ergibt, dass sich nicht zweifelsfrei interpretieren lässt, weil das Verständnis um die Gesamtzusammenhänge fehlt. Das Ergebnis sind lange und kostspielige Diagnostik- und Behandlungsodysseen, die dem Patienten oft wenig helfen.

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